Jakob Augstein

S.P.O.N. - Im Zweifel links Die Jesus-Alternative

Die Tatsachenmenschen haben abgewirtschaftet: In der Krise wird deutlich, dass Kapitalismus und Neoliberalismus keine Hoffnung bereithalten. Die Aufgabe der Politik wäre es, ihnen mit der Kraft der Utopie zu begegnen. Ostern, das Fest der Auferstehung, erinnert an diese Kraft.
Osterparade in Valencia: Was ist, wenn der Kapitalismus sein Versprechen nicht einlöst?

Osterparade in Valencia: Was ist, wenn der Kapitalismus sein Versprechen nicht einlöst?

Foto: Manuel Bruque/ dpa

Man muss kein Christ sein, um die Bedeutung der Auferstehung schätzen zu lernen. Die Auferstehung ist der Sieg des utopischen Denkens. Und zwar im Diesseits. Nicht in irgendeinem Wolkenkuckucksheim. Das ist der Triumph der Utopie über die Hoffnungslosigkeit des Todes. Der Tod kommt daher wie ein Finanzkapitalist und sagt "There is no alternative" - und dann straft die Auferstehung Christi diese Worte Lügen. Das ist unerhört. Es gibt eine Alternative. Daraus lässt sich lernen, auch für die Politik.

Im September 2012 wurde ein junger Mann fotografiert, wie er ein Geschäft in München verlässt. In seinem Gesicht trägt er ein Lächeln. Beide Arme sind zum Himmel gereckt. In einer Hand hält er eine kleine, weiße Schachtel. Hinter ihm stehen rechts und links zwei schwere Männer in uniformähnlichen Jacken und lächeln. Der 21-jährige Ralf M. hatte das erste iPhone 5 von München gekauft. "Es ist einfach Kult, ein iPhone zu kaufen", sagte er einer Zeitung, die noch erwähnte, dass die Mitarbeiter des Geschäfts ihm rhythmisch klatschend applaudierten.

Walter Benjamin hätte das verstanden. Er hat den Kapitalismus als "reine Kultreligion" bezeichnet, "vielleicht die extremste, die es je gegeben hat". Keine Dogmatik, keine Theologie, nur Kult. Im Gesicht des Apple-Jüngers aus München war ein Zustand zu erkennen, der nicht so ohne weiteres herzustellen ist: Glück, ja Exaltation. Aber was ist, wenn der Kapitalismus sein Versprechen nicht mehr einlöst, wie in Spanien und Griechenland? Dann verschwindet das Lächeln aus den Gesichtern der Leute und man muss sie mit dem Polizeiknüppel daran erinnern, dass die Interessen der Finanzmärkte auch ihre Interessen sind.

Kapitalismus und Demokratie bedingen sich keinesfalls

Die Tatsachenmenschen haben mit ihrer Logik der Märkte die Welt an den Rand des Kollaps geführt. Eigentlich wäre es folgerichtig, dieser Logik eine Absage zu erteilen. Stattdessen lautet das Rezept unserer Politiker: Mehr davon! Die Demokratie muss noch vollständiger "marktkonform" gemacht werden, bis der Punkt politischer Paradoxie erreicht ist, dass wir die Ergebnisse von demokratischen Wahlen fürchten, weil sie den Märkten nicht gefallen könnten. Kapitalismus und Demokratie bedingen sich keineswegs, wie die angelsächsischen Liberalen uns einreden wollten. Manchmal bestehen sie zufällig zur gleichen Zeit nebeneinander. In der Krise wird deutlich, dass Kapitalismus und Neoliberalismus keine Hoffnung bereithalten. Es sind dystopische Ideologien. Im säkularen Zeitalter wäre es die Aufgabe der Politik, ihnen mit der Kraft der Utopie zu begegnen. Aber die Politik versagt. In der Krise zeigt Angela Merkel einen erschreckenden Mangel an politischer Phantasie.

Die Konservativen hassen die Utopien. Sie kommen ihnen in die Quere. Was war das für eine Erleichterung, die in den Worten Joachim Fests erklang, des konservativen Intellektuellen par excellence, der 1991 schrieb: "Zersprungen sind all die scharfsinnigen Träume über die Menschheitszukunft, die aus der Welt ein riesiges Schlachthaus gemacht haben. Der Aufruhr der zurückliegenden Jahre war, über seine vordergründigen Anlässe hinaus, vor allem ein Aufruhr gegen den Terror der Ideen und die Befreiung, die endlich kam, eine Befreiung zur Realität." Damals war gerade der Osten zusammengebrochen und mit ihm die "Abgrenzungsrealität" (Oskar Negt), vor der der Westen sich immerhin rechtfertigen musste. Ein großes konservatives Aufatmen war da zu vernehmen: Endlich kein Grund mehr, sich mit der Vorstellung einer anderen Welt herumzuschlagen! Endlich Stille!

Das Christentum ist die Religion der Unterdrückten

Aber das ist ein Irrtum! Denn die "scharfsinnigen Träume" sind uns eingeschrieben und selbst wenn es sonst keine Sozialutopie mehr gäbe, dann wäre die Bibel noch immer ihr Handbuch. Die christliche Kultur ist in ihrem Wesen eine utopische Kultur. Im Hintergrund des Christentums ist immer das Murren zu vernehmen. Mit diesem schönen Wort bezeichnet Luther den Ausdruck der wütenden Sehnsucht nach einer besseren Welt. Der Prophet Amos empört sich, "dass sie die Gerechten um Geld und die Armen um ein Paar Schuhe verkaufen". Und sein Kollege Jesaja prophezeit: "Denn es wird ein Ende haben mit den Tyrannen und mit den Spöttern aus sein, und es werden vertilgt werden alle, die darauf aus sind, Unheil anzurichten."

Das Christentum ist die Religion der Unterdrückten. Und man sollte nicht vergessen, dass Jesus selbst gleichsam der erste Kommunarde war, von dem es in der Apostelgeschichte heißt: "Die Menge aber der Gläubigen war ein Herz und eine Seele; auch keiner sagte von seinen Gütern, dass sie sein wären, sondern es war ihnen alles gemein."

Das ist immer noch lebendig, jederzeit abrufbar. Wenn sich ein neuer Papst den Namen des Heiligen Franziskus "auferlegt" - so heißt es in der lateinischen Formel - also den Namen eines Mannes, der sein Hab und Gut unter die Armen teilte, dann versteht in der Ära der menschenfeindlichen Gier des Finanzkapitalismus die ganze Welt diese Botschaft. So korrupt kann die Kirche nicht sein, so verdorben kein Priester, dass das verschüttet würde. Und das erinnert uns auch daran, was wir Heutigen eigentlich mit einem Mann anfangen würden, der mit Tieren spricht. Keine Frage, die Ärzte wüssten eine Lösung: drei Wochen geschlossene Abteilung, täglich 25 mg Zyprexa - und dann wäre Schluss mit der ganzen Heiligkeit.

Ernst Bloch hat an einer berühmten Stelle im "Prinzip Hoffnung" geschrieben: "Der Mensch lebt noch überall in der Vorgeschichte, ja alles und jedes steht noch vor Erschaffung der Welt, als einer rechten. Die wirkliche Genesis ist nicht am Anfang, sondern am Ende, und sie beginnt erst anzufangen, wenn Gesellschaft und Dasein radikal werden, das heißt sich an der Wurzel fassen."

Nur das Radikale ist realistisch.

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