S.P.O.N. - Im Zweifel links Wir sind "Bild"

Der Skandal um die "News of the World" zeigt: Auf dem deutschen Boulevard geht es kuscheliger zu als auf dem britischen. Das ist aber noch kein Anlass zur Freude: Denn eigentlich sind Murdoch und Springer doch nicht so verschieden.

Man kann die "Bild"-Zeitung für verderbt halten. Aber für so verderbt wie die englische "News of the World", die vor kurzem eingestellt wurde, kann man sie nicht halten: Mordopfer und Soldatenfamilien abhören - auf die Idee würden Springers Witwenschüttler vielleicht kommen, aber sie würden sie verwerfen.

Nicht so die Kollegen in England. Die schicken die Privatdetektive los und lassen die Drähte zu den geschmierten Polizisten heiß laufen. "Bild" dagegen hält sich, weitgehend, an die Gesetze und legt Wert auf einen zivilisierten Ruf. Dennoch haben Springer-Verlag und Murdochs News Corporation mehr gemein, als es den Anschein hat: Beide Häuser machen vordergründig Medien für die Massen, verbreiten aber in Wahrheit die Meinung der Mächtigen.

Aus deutscher Sicht schien das britische Pressewesen immer ein wenig sonderbar. Die Brutalität des Boulevards dort ist sprichwörtlich und ebenso der geradezu selbstzerstörerische Gleichmut, mit dem die Öffentlichkeit den lustvollen Schlammschlachten beiwohnt, die das öffentliche Leben auf der Insel zur Räuberpistole machen: Gute Güte, es ist schockierend, ist es nicht?

Aber die Engländer haben die moderne Demokratie erfunden und den Deutschen nach dem Krieg die Pressefreiheit gebracht. Außerdem sind die nationalen Presselandschaften ohnehin alle sehr verschieden und kaum vergleichbar. Mit einem Wort: Zurückhaltung ist angebracht. Angesichts des Presse-Skandals um die nun eingestellte Sonntagszeitung "News of the World" kann man aber schon mal auf die Unterschiede zwischen deutschen und englischen Presse-Sitten hinweisen.

Unsere Skandale sind überschaubar: Die "Bunte" musste sich Anfang 2010 gegen den Vorwurf wehren, eine "Agentur" damit beauftragt zu haben, Informationen über Franz Müntefering und Oskar Lafontaine zu beschaffen. Das war ein Grenzgang von der journalistischen Recherche hin zur privatdetektivischen Observation. Die "Bunte" machte gerichtlich erfolgreich geltend, nichts von den Methoden der Agentur gewusst zu haben.

Aber es liegt in der Natur der Recherche, dass die Arbeit des Reporters und die des Detektivs einander ähneln. Nicht umsonst tritt Kermit der Frosch als Sesamstraßen-Reporter im Philip-Marlowe-Look mit Trenchcoat und Schlapphut auf. Die "Bunte" sah sich damals von einer solchen Welle der Empörung überrollt, dass man mit einem Lerneffekt rechnen darf.

Gar nicht vorstellbar aber ist, dass "Bild" oder "Bunte" ihren Lesern Auszüge aus dem Krankendossier eines Politikerbabys präsentieren, das an der schlimmen Erbkrankheit Mukoviszidose leidet, wie im Fall des früheren britischen Labour-Premiers Gordon Brown; dass sie sich Zugang zum Mobiltelefon eines vermissten Mädchens besorgen, wie im Fall der 13-jährigen Milly D., die später ermordet aufgefunden wurde oder dass sie überhaupt massenhafte Abhören von Politikern und Prominenten veranlassen, wie es Murdochs "News of the World" vorgeworfen wird. Deutsche Zeitungen - und deutsche Gerichte - neigen, wenn es um das Privatleben öffentlicher Personen geht, im Gegenteil mehr und mehr dazu, den Hahn zu schließen und den Informationsfluss zu stoppen. Die Presse-Anwälte setzen sehr gern auf einstweilige Verfügungen, und auch im Berliner Politikbetrieb gilt noch die alte Bonner Regel: Es wird nicht alles geschrieben, was bekannt ist.

Die Illusion, die Interessen der Vielen zu vertreten

Mag es an der unterschiedlichen Pressekultur liegen oder an der Klugheit der Springer-Strategen: "Bild" als größte deutsche Zeitung hat eine andere Richtung eingeschlagen als die britischen Boulevardblätter: mehr Zivilität, Seriosität und Qualität. Ihre Seite 2 ist seit geraumer Zeit die wichtigste politische Seite einer deutschen Tageszeitung, und "Bild" ist das meistzitierte Medium des Landes, noch vor SPIEGEL und "Süddeutscher Zeitung."

Aber egal ob britische oder deutsche Boulevard-Medien: beide nähren die Illusion, die Interessen der Vielen zu vertreten, während sie in Wahrheit das System stabilisieren, das den Wenigen nützt. Das ist das Wesen des Populismus.

Das amerikanische Tea Party Movement macht das gerade exemplarisch vor. Man tut so, als wende man sich gegen die Eliten, wird aber von ihnen bezahlt und benutzt. Die milliardenschweren Industriellen David und Charles Koch standen bei der Gründung Pate, und Murdochs Hetz-Sender "Fox News" ist das Sprachrohr der "Bewegung".

Bei "Bild" ist es ähnlich: Wenn es darum geht, die Vermögenden stärker zu belasten, den Unternehmern mehr Rechte für ihre Angestellten abzuringen oder den sozial Schwachen mehr Gerechtigkeit zukommen zu lassen - dann möge bitte niemand glauben, die "Bild-Zeitung" sei der Anwalt des "kleinen Mannes".

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