S.P.O.N. - Im Zweifel links Wulff, Lindner, Chaos
Wenn es so weitergeht, könnte aus Angela Merkel noch eine große Gestalt der Geschichte werden. Eine Art weiblicher Hiob der Deutschen. Welch früherem Kanzler hat das Schicksal in so rascher Folge solch harte Schläge versetzt? Während sich in Merkels Gebäude der Macht die Risse mehren, ist man beinahe versucht, Mitleid mit ihr zu empfinden. Nach den Entbehrungen der vergangenen zwei Jahre kommen nun in kurzer Folge nicht nur der Euro, sondern auch noch der Bundespräsident und die FDP ins Wanken. Oh, grimmes Schicksal, will man rufen, das hat doch die arme Physikerin aus der Uckermark nicht verdient.
Aber das wäre ein Missverständnis: Es sind nicht die missgünstigen Nornen, die Merkels Macht beschneiden wollen. In dieser Kanzlerschaft war von Anfang an ein Webfehler, und nun wird das politische Gespinst der Kanzlerin fadenscheinig.
Der Bundespräsident, den diese Kanzlerin für uns ausgesucht hat und der ja eine moralische Instanz sein sollte, ist offenbar keine moralische Instanz. Ist das eine Überraschung? Im Frühjahr hatte Merkel versucht, die politischen Standards im Land zu senken, als sie an Guttenberg festhalten wollte, obwohl er schon als Plagiator entlarvt worden war. Merkel hätte wissen können, dass Wulff, der aus dem niedersächsischen Sumpf stammt, in dem reiche Leute und ehrgeizige Politiker sich gegenseitig wärmen, als Vorbild nur bedingt tauglich ist. Es hat sie nicht gekümmert. Der andere Kandidat, der das Zeug zum Vorbild hatte, war der Kandidat der Opposition.
Für die Selbstentleibung der FDP haben Westerwelle und Brüderle gesorgt
Jetzt haben wir einen, der so ist wie wir alle: vom Häuslein in Burgwedel bei Hannover bis zum fragwürdigen Freundeskredit zum Vorzugszins. Dass von Christian Wulff kein einziges Zitat zur schlimmsten Systemkrise, die wir seit Bestehen der Bundesrepublik erleben, in Erinnerung ist, tut seiner Beliebtheit offenbar keinen Abbruch. Es bekommt jedes Volk den Präsidenten, den es verdient. Und wenn wir unseren plötzlich gern eine Nummer größer hätten, haben wir eben Pech gehabt.
So wie damals ihrem Guttenberg hat Merkel jetzt ihrem Wulff das "Vertrauen" ausgesprochen. Das ist ungewöhnlich, weil die Kanzlerin früher die Meinung vertreten hat, das eine Verfassungsorgan solle das andere nicht bewerten. Aber sie kann ihren Präsidenten schlecht links liegen lassen, während ihr zur gleichen Zeit der Koalitionspartner wegbröckelt. Für die Selbstentleibung der FDP ist Merkel nicht verantwortlich. Dafür haben Wirtschaftszyniker und Wertzersetzer wie Westerwelle und Brüderle gesorgt, die ihr politisches Stroh so lange gedroschen haben, bis vom Liberalismus nur noch das Thema Steuersenkungen übrig blieb. Und es ist eine große Ungerechtigkeit, dass nun ausgerechnet der aufrechte Christian Lindner über die Klinge springt, einer der letzten FDP-Politiker, der über Respekt nicht nur im eigenen Lager verfügte - unter den jungen der einzige.
Innenpolitisches Wachkoma
Wir erleben in diesen Tagen, wie das Halbgare dieser Regierung aufbricht, das sonderbar Unsolide. Die europäische Krise stellt die größte zivile Bedrohung dar, der sich Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg gegenübersieht. Und ein Koalitionspartner der Bundesregierung ist praktisch handlungsunfähig. Das ist kein Zufall.
Vom übernächtigten Koalitionsvertrag mit seinen irren Steuergeschenken an die Hoteliers über die verpatzte Wehrreform und den hastigen Atomausstieg bis zum außenpolitischen Desaster von Libyen war Merkels Regierung von einer langen Reihe schwerer handwerklicher Fehler gekennzeichnet. Und da ist noch gar nicht die Rede von den Dingen, die Merkel nicht gemacht hat. "Wachstum, Bildung, Zusammenhalt" lautete immerhin das Motto dieser bürgerlichen Traumhochzeit. Darauf folgte das innenpolitische Wachkoma: Die Gesellschaft zerfällt, die Wirtschaft stagniert, und wann war gleich das letzte Mal, dass über die Bildung gestritten wurde?
Wer sich nach zwei Jahren bürgerlicher Koalition immer noch wundert, warum eigentlich die erste Regierung Merkel einen vergleichsweise professionellen Eindruck hinterlassen hat, wird die Antwort beim Koalitionspartner finden. Ewigen Dank schuldet die Kanzlerin ihrem damaligen Vize Steinmeier und ihrem Finanzminister Steinbrück für die geräuschlose Abwicklung vier schwieriger Jahre. Es war der SPD zu verdanken, dass die Deutschen glauben konnten, Merkel könne es.
Sie kann es aber nicht. Unter normalen Umständen könnte Deutschland es gleichwohl aushalten, dieser Kanzlerin bis 2013 zuzusehen, wie sie sich durchwurstelt. Die Umstände sind aber nicht normal.
Strategie des Starrsinns
Europa zerfällt. Der Prozess hat bereits begonnen. England wendet sich ab. Eine Katastrophe der europäischen Politik, für die Angela Merkel die Verantwortung trägt. Es war immer das Geheimnis des europäischen Erfolgs, von den Partnern nicht mehr zu verlangen, als sie geben können, und dadurch die Integration in kleinen Schritten zu vertiefen.
Merkel hat an die Stelle dieser erfolgreichen Politik die Strategie des Starrsinns gesetzt. An ihrem uckermärkischen Dickkopf zerschellt jetzt Europa. Sie hat England vergrault. Und wenn sie so weitermacht, wird sie den Euro auf dem Gewissen haben.
Entweder man entmachtet die Märkte oder man spielt nach ihren Regeln. Merkel will weder das eine noch das andere. Dabei hätten längst die Eurobonds ausgegeben werden müssen, und längst hätte die Europäische Zentralbank die Aufgabe des "lender of last resort" (Kreditgeber der letzten Rettung) übernehmen müssen. Anders erobert sich die Politik die Glaubwürdigkeit nicht zurück, die sie verspielt hat. Anders werden die Märkte nicht mehr überzeugt, dass ihr Geld bei Euro-Staaten gut aufgehoben ist. Man muss es ganz deutlich aussprechen: Wenn der Euro eines Tages untergeht und das große Friedenswerk der europäischen Integration darüber zerfällt, dann trägt Angela Merkel ein Gutteil der Schuld daran.
Deutschland braucht Neuwahlen. Möglichst schnell.