Saarlands CDU-Ministerpräsident Hans »Wir sollten restriktiv bleiben«

CDU-Politiker Hans
Foto: Oliver Dietze / picture alliance / dpaSPIEGEL: Herr Ministerpräsident, waren Sie eigentlich schon beim Friseur?
Hans: Nein, ich lasse erst mal diejenigen vor, die es dringender brauchen. Hier und da habe ich selbst mit der Schere nachgearbeitet.
SPIEGEL: Kurz vor der Ministerpräsidentenkonferenz mit der Kanzlerin zeigt sich ein überaus widersprüchliches Bild: Die Infektionszahlen steigen, die Mutationen schlagen durch, Deutschland impft im Schneckentempo – trotzdem wollen Sie und Ihre Kollegen am Mittwoch lockern. Wie passt das zusammen?
Hans: Ich will keine weitreichenden Lockerungen, weil mich genau das umtreibt, was Sie da beschreiben: Die Zahlen gehen nach oben. Wir sind bereits in der dritten Welle, das ist eine neue Pandemie in der Pandemie. So langsam wie die Impfkurve steigt, müssen wir auch die Kurve der Neuinfektionen flach halten. Leider ist die von uns festgelegte 35er-Inzidenz-Grenze, ab der eigentlich gelockert werden sollte, in weite Ferne gerückt. Deshalb sollten wir jetzt nur weitergehend lockern, wenn wir gleichzeitig Tests in den entsprechenden Bereichen verpflichtend machen.
SPIEGEL: Warum reden wir überhaupt von Lockerungen in dieser Situation?
Hans: Vor allem Kinder und Familien müssen nach all den Monaten des Shutdowns entlastet werden, aber mit großer Vorsicht. Hier im Saarland planen wir mit zwei Schnelltests pro Woche in Schulen und Kitas. Und bestimmte körpernahe pflegerische Leistungen sind mit strengen Hygieneauflagen wieder möglich. Darüber hinaus sehe ich ohne zusätzliche Tests wenig Spielraum. Komplette Öffnungen, etwa von Baumärkten finde ich schwer vorstellbar, wir sollten restriktiv bleiben. Für mich gilt: Ohne Tests kann man nur das ermöglichen, was absolut notwendig ist.
SPIEGEL: Ihr bayerischer CSU-Amtskollege Söder hat Baumärkte und Gartencenter bereits wieder geöffnet. Welche Botschaft muss aus Ihrer Sicht von Ihrem Treffen mit der Kanzlerin am Mittwoch ausgehen?
Hans: Dass wir den erneuten Anstieg der Infektionszahlen sehr ernst nehmen und nicht unsere Erfolge der letzten Monate aufs Spiel setzen. Zugleich müssen wir mehr testen und schneller und vor allem zielgerichteter impfen.
SPIEGEL: Wie meinen Sie das?
Hans: In unserem französischen Nachbar-Département Moselle gibt es einen massiven Anstieg bei der Verbreitung der südafrikanischen Virusmutation, bei uns im Saarland liegt der Anteil dieser Mutante ebenfalls deutlich über Bundesdurchschnitt. Der französische Staat stellt den Menschen im Département Moselle nun vermehrt Impfstoff zur Verfügung, verteilt also aus anderen Regionen um, sodass der Ausbruch unter Kontrolle kommt. Das halte ich für sinnvoll: Dort, wo hohe Ausbruchsherde sind, sollten wir mehr und gezielt impfen.
SPIEGEL: Wünschen Sie sich mehr Impfstoff fürs Saarland?
Hans: Wir sollten in jenen deutschen Grenzregionen, in denen es Infektionseinträge aus den Nachbarstaaten gibt, das Impftempo nach oben fahren. Die betroffenen Bundesländer oder Regionen müssten dann mehr Impfstoff vom Bund zugeteilt bekommen, ja. Wir haben jeden Tag 16.000 Einpendler aus Frankreich ins Saarland, einen solch intensiven Austausch gibt es in keiner anderen Region Europas.
SPIEGEL: Werden Sie Ihren Amtskolleginnen und -kollegen am Mittwoch solch eine Saar-Abgabe vorschlagen?
Hans: Wir werden das diskutieren. Was in Frankreich funktioniert, kann auch eine Lösung für Deutschland sein. Das geht aber nur, wenn das alle in der Ministerpräsidentenkonferenz mittragen.
SPIEGEL: Die letzten Wochen waren zehrend, nun steht alles wieder auf dem Spiel. Warum wurde die Zeit nicht genutzt, um die Infektionszahlen stärker zu drücken, wie es etwa die Vertreter der No-Covid-Strategie gefordert haben?
Hans: Natürlich wäre es schön, wenn wir jetzt Werte wie im letzten Sommer hätten, also unter 10. Realistischerweise ist das in einem offenen Europa kaum zu machen. Allerdings hat die No-Covid-Bewegung in einem Punkt recht: Jede einzelne Neuinfektion muss von den Gesundheitsämtern verfolgt werden können – beispielsweise durch das moderne IT-System Sormas. Zudem braucht es Luftreinigungsgeräte in jedem Klassenzimmer, in jeder Kita. Im Saarland haben wir bereits rund 170 mobile Luftfiltergeräte für Schulen bewilligt.
SPIEGEL: Was braucht es noch?
Hans: Technologisch sind wir zu langsam, die Corona-App müsste längst besser sein: Zertifizierte Tests, die per App angezeigt werden, gibt es doch bereits im Markt.

Saarlands Ministerpräsident Hans im Gespräch mit Teilnehmern der Ministerpräsidentenkonferenz und Kanzlerin Merkel (im März 2020)
Foto:Bernd von Jutrczenka/ dpa
SPIEGEL: Was halten Sie von der privat entwickelten Luca-App?
Hans: Zunächst mal müssen wir die Corona-App weiterentwickeln. Aber wenn der Markt eine bessere Lösung bereithält, sollten wir dafür offen sein.
SPIEGEL: Haben Sie eine Erklärung dafür, warum sich ausgerechnet ein so technikaffines Land wie Deutschland in dieser Krise so schwertut?
Hans: Weil wir immer versuchen, erst mal eine perfekte Infrastruktur für alles zu schaffen, bevor wir an die praktische Nutzung denken. Das ist genau falsch herum. Wir müssen lernen, von der Nutzung her zu denken. Wenn wir Apps haben, mit denen man beispielsweise einen Restaurantbesuch über einen hinterlegten Test buchen kann, dann wird auch die entsprechende Infrastruktur wachsen: Schnelltestzentren, Anbieter von Kontrollschranken zur Überprüfung der Tests. Dafür müssen wir die gesetzlichen Rahmenbedingungen schaffen, ohne auf die perfekte Infrastruktur zu warten.
SPIEGEL: Beim Thema Schnelltests droht schon der nächste Rückschlag…
Hans: Beim Thema Testen hinken wir hinterher, das ist keine Frage, auch im europäischen Vergleich. Dabei brauchen wir angesichts der steigenden Infektionszahlen viel mehr Tests. Auch hier kann der Markt helfen, wenn es durch Dritte zertifizierte Selbsttests gibt. Wer sich so ausweisen kann, soll dann auch Möglichkeiten zum Einkaufen oder zum Restaurantbesuch haben.
SPIEGEL: Ist es sinnvoll, beim Thema Impfen umzusteuern und jetzt so vielen Menschen wie möglich die erste Dosis zu verabreichen?
Hans: Das darf nicht die Politik entscheiden. Wir sollten uns darauf verlassen, was die Ständige Impfkommission und der Ethikrat sagen. Es wäre nicht verzeihlich, wenn plötzlich breit geimpft wird und dafür besonders Vulnerable sterben, etwa über 80-Jährige.
SPIEGEL: Da der Impfstoff AstraZeneca nur sehr schleppend nachgefragt wird, gibt es Forderungen, ihn grundsätzlich freizugeben. Eine gute Idee?
Hans: AstraZeneca ist hochwirksam. Ich bin dagegen, die Impfreihenfolge aufzulösen. Das führte zu einem Impfchaos.
SPIEGEL: Würden Sie sich mit AstraZeneca impfen lassen?
Hans: Ja, das würde ich. Aber erst, wenn ich an der Reihe bin.
SPIEGEL: Hielten Sie es für eine gute Idee, wenn die Kanzlerin, die Ministerpräsidenten und andere führende Politikerinnen und Politiker vorrangig geimpft würden – auch im Sinne einer Vorbildfunktion?
Hans: Nein, davon halte ich nichts. StiKo und Ethikrat orientieren sich streng am Infektionsrisiko. Polizisten zum Beispiel sind nun mal sehr viel gefährdeter als Politiker. Ich werde mich bestimmt nicht vordrängeln.
SPIEGEL: Die Kritik an Bundesgesundheitsminister Spahn wächst – seine Beliebtheitswerte in der Bevölkerung schrumpfen. Wozu raten Sie Ihrem Parteifreund?
Hans: Wozu ich auch den Landes-Gesundheitsministern rate, die alle im Moment einen schweren Stand haben: Kurs halten, Nerven bewahren und nicht zu sehr unter Druck setzen lassen.