Koalitionsbildung in Magdeburg Sachsen-Anhalt als Vorbild für die Republik?

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU), Unionskanzlerkandidat Armin Laschet
Foto:Sebastian Willnow / dpa
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Wenn es nach der Union geht, dann soll von Sachsen-Anhalt unbedingt ein Signal für die Bundestagswahl im Herbst ausgehen. Schließlich hat Reiner Haseloffs CDU die letzte Landtagswahl vor der Abstimmung im Bund am 26. September überraschend haushoch gewonnen. Rund 37 Prozent holten die Christdemokraten im Juni. Es ist ein Ergebnis, mit zuvor niemand gerechnet hat. Es ist ein Ergebnis, von dem Armin Laschet träumt.
Doch die Blicke aus Berlin richten sich dieser Tage aus einem anderen Grund nach Magdeburg. Denn im Politiklabor von Reiner Haseloff bahnt sich eine neue Koalitionsvariante an: CDU, SPD und FDP wollen gemeinsam ein Bündnis schmieden – farblich nicht ganz korrekt Deutschlandkoalition genannt.
Auch im Bund scheint die Koalitionsfrage offen wie nie. Umfragen ergaben Mehrheiten für Schwarz-Grün, eine Ampelkoalition, zeitweise auch für Rot-Rot-Grün. Die Fortsetzung der Großen Koalition will eigentlich keiner der Beteiligten, aktuell könnten Union und SPD aber womöglich auch rechnerisch keine Regierung mehr bilden. Mancher fragt sich, ob Sachsen-Anhalt da nicht auch ein Modell für die ganze Republik wäre.
Die Koalitionsverhandlungen in Magdeburg sollen bald beginnen. Wie kam es dazu? Welche Hürden gibt es noch? Und ist das Bündnis wirklich eine Option für den Bund? Die Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Warum regieren CDU und SPD in Sachsen-Anhalt nicht allein?
Tatsächlich hätten CDU und SPD im Landtag auch in einem Zweierbündnis eine hauchdünne Mehrheit. Die Sozialdemokraten hatten sich offen für diese Option gezeigt, aber der CDU, allen voran Ministerpräsident Reiner Haseloff, war das Regieren mit nur einer Stimme über den Durst ein zu großes Wagnis.
Die CDU-Landtagsfraktion gilt als widerspenstig. Haseloff musste in der Vergangenheit immer wieder erfahren, wie wenig die Abgeordneten auf Fraktionsdisziplin geben. Im Wahlkampf warb der Ministerpräsident mit einem abgewandelten Wahlspruch von Konrad Adenauer: »Jetzt ist nicht die Zeit für politische Experimente.« Die Deutschlandkoalition, die es zuletzt in den 1950er-Jahren in Bremen und im Saarland gab, ist zwar eines. Mit einer satten Mehrheit allerdings kein besonders gefährliches.
Wieso regieren die Grünen nicht mehr mit?
Seit 2016 hatte Deutschlands erste Keniakoalition Sachsen-Anhalt regiert, ein Bündnis aus CDU, SPD und Grünen. Immer wieder kriselte es, vor allem zwischen CDU und Grünen. Im Kabinett und in der Parteiführung kam man miteinander aus, aber in den hinteren Reihen gab es große Vorbehalte.
Während bei den Grünen gern über den unberechenbaren Chaoshaufen der CDU-Fraktion gelästert wurde, arbeitete man sich in der CDU am angeblich regierungsunfähigen Personal der Grünen ab. Landwirtschaftsministerin Claudia Dalbert war Teilen der CDU ein Dorn im Auge. Ein CDU-Abgeordneter erstattete sogar Anzeige gegen sie.
Auch diesmal hätte es Regierungsoptionen mit den Grünen gegeben. Eine Fortsetzung der Keniakoalition lehnten die Grünen ab, weil sie nicht als Reserverad der schwarz-roten Mehrheit zur Verfügung stehen wollten. Die Alternative wäre die Jamaikakoalition aus CDU, FDP und Grünen gewesen. Wie es heißt, hätten sich in den Sondierungen aber schwer überwindbare Hürden zwischen Grünen und CDU ergeben, vor allem in der Klimapolitik.

Könnte bald eine größere Rolle in Sachsen-Anhalt spielen: Lydia Hüskens (FDP)
Foto: Matthias Bein / dpaIst die FDP überhaupt fit für die Regierung?
Für die Liberalen war die Wahl in Sachsen-Anhalt ein Erfolg. Zehn Jahre waren sie nicht mehr im Landtag vertreten. Dabei gibt es im Bundesland eine liberale Tradition, es ist das Geburtsland von Hans-Dietrich Genscher, 1990 errang Uwe Lühr für die FDP in Halle sogar ihr letztes Direktmandat. Nun sollen sie mitregieren, obwohl sie rechnerisch eigentlich nicht gebraucht würden.
Derzeit ist die FDP in keiner Landesregierung in Ostdeutschland beteiligt. Aus der CDU heißt es, die Liberalen seien bei den Gesprächen optimal vorbereitet gewesen. Es gebe keine Zweifel an der Regierungsfähigkeit.
Welche Hürden gibt es für die Regierungsbildung?
In der kommenden Wochen wollen CDU, SPD und FDP formal darüber entscheiden, ob Koalitionsverhandlungen aufgenommen werden. Bei Christdemokraten und Liberalen entscheiden die Führungsgremien, die Sozialdemokraten werden einen Parteitag dafür einberufen.
Die Koalitionsverhandlungen sind ab dem 19. Juli für drei Wochen angesetzt. Während bei der FDP ein Parteitag im September über das Ergebnis abstimmen soll, wollen CDU und SPD ihre Mitglieder einbinden.
Die größten Vorbehalte dürfte es bei den Sozialdemokraten geben. Die Partei geht geschwächt aus den Wahlen hervor, manche etwa bei den Jusos hatten schon bei der Keniakoalition genug von der CDU, nun soll auch noch die FDP dazukommen.
Wie könnte das Kabinett aussehen?
Die SPD-Minister dürften im Falle erfolgreicher Koalitionsverhandlungen wohl weitermachen. Neu ins Kabinett rücken könnte CDU-Landeschef Sven Schulze, bisher Abgeordneter im EU-Parlament. Vakant ist etwa der für die Landespolitik entscheidende Platz im Innenministerium. Schulze dürfte auch als künftiger Anwärter für das Amt des Ministerpräsidenten gelten.
Ein Problemfall wurde bereits abgeräumt: Die bisherige Justizministerin Anne-Marie Keding (CDU), die sich manchen Schnitzer erlaubte, wurde auf den Posten der Landtagsvizepräsidentin versetzt. Für die Liberalen dürfte auf jeden Fall Spitzenkandidatin Lydia Hüskens ein Ministeramt übernehmen.
Hätte die Deutschlandkoalition eine Chance im Bund?
Schwarz-Grün, eine Ampel, Rot-Rot-Grün, Jamaika, Kenia, die GroKo – vorstellbar sind viele Koalitionen im Bund, auch wenn rechnerisch den aktuellen Umfragen zufolge nicht alle möglich wären. Die Deutschlandkoalition spielte bisher kaum eine Rolle in den Farbenspielen. Sachsen-Anhalt könnte das ändern.
»Eine neue und interessante Option« nannte etwa CSU-Generalsekretär Markus Blume das schwarz-rot-gelbe Bündnis, FDP-Chef Christian Lindner erklärte zu den Entwicklungen in Magdeburg gegenüber dem »Münchner Merkur«: »Gegen das neue Koalitionsmodell Deutschland spricht aus Sicht der FDP prinzipiell nichts.«
Dahinter dürfte auch die Botschaft stecken, dass eine Regierungsbildung auch ohne starke Grüne möglich wäre. Dennoch bleibt das vorerst Theorie. Denn in der SPD würde eine Deutschlandkoalition auf heftige Widerstände stoßen.
An der Basis der Genossinnen und Genossen gab und gibt es Frust über die Große Koalition. Sollten die aus der GroKo-Müdigkeit heraus gewählten SPD-Vorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans die Partei ausgerechnet in eine De-facto-Fortsetzung des schwarz-roten, um die FDP verlängerten Bündnisses führen wollen, wäre das der eigenen Partei nur schwer vermittelbar – schon gar nicht, wenn es mit einer grün oder rot geführten Ampel eine Alternative gäbe.