Flüchtlinge Sachsens CDU-Generalsekretär verteidigt Ungarns Grenzzaun

Die CDU in Sachsen diskutiert über das Schengen-Abkommen und Kontrollen an deutschen Grenzen. Für Generalsekretär Michael Kretschmer liegt das wahre Problem aber an den Rändern der EU. Dass Ungarn dort durchgreift, gefällt ihm.
Sachsens CDU-Generalsekretär Kretschmer: "Die Kritik ist scheinheilig"

Sachsens CDU-Generalsekretär Kretschmer: "Die Kritik ist scheinheilig"

Foto: imago

Ungarn ist nicht gerade für seinen sensiblen Umgang mit Flüchtlingen bekannt. "Das Boot ist voll", hatte ein Regierungssprecher kürzlich gesagt. Zehntausende Migranten kamen in den vergangenen Monaten in das EU-Land. Das soll sich jetzt ändern. Auf 175 Kilometern lässt der nationalkonservative Ministerpräsident Viktor Orbán einen Stacheldrahtzaun an der Grenze zu Serbien errichten. Für den Bau werden auch Strafgefangene eingesetzt.

Ungarn hat das jede Menge Kritik eingebracht, von der EU, von Menschenrechtlern, auch von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Man dürfe sich nicht abschotten, sagte sie. Doch nicht jeder in der CDU teilt die Bedenken.

"Die Kritik an den Ungarn ist scheinheilig", sagt nun der sächsische CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer SPIEGEL ONLINE. "Es ist ihre Pflicht, illegale Migration zu kontrollieren." Mit Zäunen könne man die Flüchtlinge in bestimmte Bereiche lenken und sie dort besser registrieren. "Ich finde das richtig." Für Kretschmer liegt das Problem in erster Linie an den Außengrenzen der EU: "Viele Länder brechen die Verträge, indem sie Flüchtlinge nicht registrieren und sie einfach weiter nach Europa schicken." Seine Lösung für die deutsche Sicherheit: mehr internationale Streifen, Kooperationen mit Tschechien oder Polen statt fester Grenzkontrollen.

Gerade erst hat sein Parteikollege Christian Hartmann, innenpolitischer Sprecher der sächsischen CDU, das Schengen-Abkommen im MDR infrage gestellt. Solange Staaten an den EU-Außengrenzen Flüchtlinge nicht an der illegalen Einreise hinderten, "sollten wir Kontrollstellen einrichten". Personen und Fahrzeuge sollten demnach wieder überprüft werden. Nach dem Abkommen gibt es das zwischen EU-Staaten grundsätzlich nicht mehr.

CDU-Politiker Kretschmer, der auch Fraktionsvize seiner Partei im Bundestag ist, bremst Hartmann. "Schlagbäume" an der deutschen Grenze seien nur "die letzte Maßnahme". "Das wollen wohl die wenigsten", sagt er. Ohne Zäune und Barrieren würde das sowieso "möglicherweise nicht den gewünschten Effekt bringen".

Der Schengenraum

Für die Bürger des Schengenraumes sind die Grenzen innerhalb der EU fast unsichtbar geworden: Sie können sich ohne Passkontrollen innerhalb der Mitgliedstaaten bewegen. An den Schengen-Außengrenzen werden weiter Pässe kontrolliert. Grenzkontrollen zwischen Schengenstaaten dürfen in Ausnahmefällen vorübergehend wieder eingeführt werden.

Der Vertrag ist nach der Gemeinde Schengen in Luxemburg benannt. Am 14. Juni 1985 unterzeichneten Deutschland, Frankreich und die Benelux-Staaten ein Abkommen zum Wegfall der Grenzkontrollen untereinander. Dieses wurde dann zehn Jahre später umgesetzt.

Nach und nach traten weitere Staaten der Regelung bei. Inzwischen sind 26 europäische Länder vollständige Mitglieder des Schengenraums. Die EU-Mitglieder Großbritannien und Irland haben sich gegen einen Beitritt entschieden. Zypern, Rumänien, Bulgarien und Kroatien wenden die Schengen-Regeln bislang nur zum Teil an. Mit Norwegen, Island, der Schweiz und Liechtenstein gehören auch vier Nicht-EU-Mitglieder zum Schengenraum.

Die sächsische CDU tut sich schwer, eine Haltung in der Flüchtlingsfrage zu finden. Sie wirkt seit Monaten getrieben - und das in ihrer Hochburg, die Christdemokraten regieren in Sachsen seit der Wende durch. Zu Pegida-Hochzeiten kündigte Innenminister Markus Ulbig Polizei-Sondereinheiten für straffällige Asylbewerber an. Die AfD machte vor einem Jahr erfolgreich Wahlkampf mit der Forderung, alte Grenzposten wieder zu besetzen. Ein Thema, das die rechtskonservative Partei gebetsmühlenartig immer wieder anbringt - und damit die CDU stark unter Druck setzt.

Zuletzt waren während des G7-Gipfels in Elmau wieder Einreisende in Bayern und Sachsen kontrolliert worden. Der Ruf nach dauerhaften Kontrollstationen wird seitdem vor allem in diesen beiden Ländern immer lauter.

Doch es gibt juristische Zweifel an der Idee, das Schengen-Abkommen zeitweise auszusetzen. "So verständlich dieser Vorschlag ist, er wird aber wohl nicht die erhoffte Wirkung haben", sagt Wolfgang Bosbach (CDU), Vorsitzender des Innenausschusses im Bundestag, SPIEGEL ONLINE. "Flüchtlinge, die unsere Grenzen erreichen, könnten an Ort und Stelle einen Asylantrag stellen und nicht ohne Weiteres zurückgeschoben werden. Auf die Prüfung der Sach- und Rechtslage könnten wir auch in diesem Fall nicht generell verzichten."

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Politik zu Flüchtlingsansturm: Verzweifelt und überfordert

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Bundesinnenminister Thomas de Maizière, Mitglied der sächsischen CDU, will über sein Ministerium den Vorstoß seines Parteikollegen Hartmann nicht kommentieren. Grundsätzlich gelte für die Bundesregierung, dass die Reisefreiheit einer der wichtigsten Werte in der EU sei, sagte ein Ministeriumssprecher am Mittwoch in der Bundespressekonferenz. "Dies sollte nach Ansicht des Bundesinnenministers derzeit auch nicht infrage gestellt werden."

Der Sprecher schränkte die Aussage aber mit Blick auf die Probleme ein, die bei der Umsetzung des Dublin-Abkommens herrschen. Laut dem Vertrag müssen Flüchtlinge in dem EU-Land Asyl beantragen, in dem sie zuerst ankommen. Das führt zu erheblichen Ungleichgewichten innerhalb des Staatenbundes, da insbesondere die südlichen Länder erste Ziele von Flüchtlingen sind, die aus Nordafrika oder dem Nahen Osten fliehen.

Sollte es im Zusammenhang mit dem Dublin-Abkommen weiterhin Probleme geben, "dann muss man auch die Reisefreiheit in den Blick nehmen", bekräftige der Ministeriumssprecher die Haltung de Maizières.

In der Kritik stehen seit Längerem Griechenland und Italien. Ihnen wird vorgehalten, Flüchtlinge in den Norden der EU - vor allem nach Deutschland und Frankreich - weiterreisen zu lassen. De Maizière hatte bereits im Juni am Rande einer EU-Innenministerkonferenz erklärt, wenn die "Verantwortlichkeiten nicht erfüllt werden, dann könnte am Ende das Ende vom freien Verkehr in Europa stehen".


Zusammenfassung: Sachsens CDU sucht nach einer Haltung in der Flüchtlingsfrage. Während der innenpolitische Sprecher Christian Hartmann ein Aussetzen des Schengen-Abkommens befürwortet, unterstützt Generalsekretär Michael Kretschmer den Bau eines Zauns an der Grenze zwischen Ungarn und Serbien. Wolfgang Bosbach, Vorsitzender des Innenausschusses im Bundestag, zweifelt an dem Erfolg fester Kontrollen an Deutschlands Grenzen.

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