Linken-Fraktionschefin Wagenknecht "Militärische Interventionen des Westens helfen dem IS"

Fraktionschefin Wagenknecht: "Das halte ich für eine Unterstellung"
Foto: Sean Gallup/ Getty ImagesMan kann den Syrien-Einsatz der Bundeswehr kritisieren. Man kann an die vage Strategie erinnern, die ungewissen Erfolgsaussichten. Oder man warnt vor einem Dritten Weltkrieg. So wie Sahra Wagenknecht.
Seit Mitte Oktober führt sie auch offiziell die Abteilung Attacke der Linkspartei, teilt sich mit Dietmar Bartsch die Fraktionsführung. Er vom Reformerflügel, sie die Parteilinke. Kann das gutgehen?
Im Interview mit SPIEGEL ONLINE spricht Wagenknecht über den Themenzank in ihrer Partei, Flüchtlingskontingente und den Bundeswehreinsatz in Syrien. Niemand habe den Verlauf des Krieges "wirklich in der Hand", sagt Wagenknecht.
Lesen Sie hier das Interview mit Sahra Wagenknecht:
SPIEGEL ONLINE: Frau Wagenknecht, die Bundeswehr geht in den Syrien-Einsatz, Sie warnen vorm Dritten Weltkrieg. Geht es auch eine Nummer kleiner?
Sahra Wagenknecht: Es geht mir nicht um Panikmache. Aber die Eskalationsgefahren sind extrem groß. In Syrien kämpfen jetzt 15 Staaten, mal miteinander, mal nebeneinander, mal gegeneinander. Es gibt keine gemeinsame Strategie. Es gibt noch nicht mal Einigkeit, ob der Kampf gegen den "Islamischen Staat" wirklich das wichtigste Ziel ist. Die Türkei etwa hat eindeutig andere Prioritäten. Deutschland beteiligt sich an einem Krieg, dessen Verlauf niemand wirklich in der Hand hat.
SPIEGEL ONLINE: Was ist Ihr Vorschlag?
Wagenknecht: Entscheidend ist, den IS von neuen Kämpfern, Waffen und Geld abzuschneiden. Das heißt, Erdogan muss unter Druck gesetzt werden, endlich seine verdeckte Terrorunterstützung zu beenden und die türkische Grenze für den IS zu schließen. Das gleiche gilt für Saudi-Arabien, dessen reichste Familien den Islamischen Staat großzügig finanzieren. Wenn der IS nicht mehr an Finanzen kommt, erodiert auch seine interne Machtbasis. Dann können die Armeen der betreffenden Länder irgendwann die besetzten Landesteile befreien. Militärische Interventionen des Westens dagegen helfen dem IS. Die Bombardierungen führen zu vielen zivilen Opfern. Das nährt den Hass. Ein Problem ist auch: die Amerikaner wollen nicht nur den IS bekämpfen, sondern mehr noch Assad stürzen.

Sahra Wagenknecht: Wandel durch Annäherung
SPIEGEL ONLINE: Die US-Luftschläge gelten islamistischen Gruppierungen, nicht den Truppen des Regimes.
Wagenknecht: Die Amerikaner haben Syrien über Jahre bewusst destabilisiert, um Assad zu stürzen. Das Pentagon hat selbst zugegeben, dass zu diesem Zweck anfänglich sogar der IS unterstützt wurde. Natürlich ist Assad ein Diktator, aber es ist Sache des syrischen Volkes und nicht der Amerikaner, wer in Damaskus regiert.
SPIEGEL ONLINE: Sie spielen auf einen Report des US-Militärgeheimdienstes DIA aus dem Jahr 2012 an, der Ihre Vorwürfe so allerdings nicht deckt. Welche Rolle sollte die US-Regierung im Nahen Osten spielen?
Wagenknecht: Die USA sollten sich militärisch aus dieser Region zurückziehen. Es waren ihre Kriege, vor allem der im Irak, die das Monster IS überhaupt erst geschaffen haben.
SPIEGEL ONLINE: US-Präsident Obama lehnt die Entsendung von Bodentruppen entschieden ab …
Wagenknecht: … aber die US-Republikaner rufen schon nach Bodentruppen.
SPIEGEL ONLINE: Die sitzen nicht im Weißen Haus.
Wagenknecht: Noch nicht, zum Glück.

Wagenknecht, Bartsch: Neues Duo an der Spitze der Linksfraktion
Foto: FABRIZIO BENSCH/ REUTERSSPIEGEL ONLINE: Ihr Erklärmuster scheint immer gleich: Die Amerikaner sind schuld. Dann sagen Sie uns doch mal, was Wladimir Putin alles richtig macht in Syrien.
Wagenknecht: Vielleicht fange ich zunächst mal damit an, was er falsch macht. Auch er bombardiert Syrien - und auch hier ist die Zahl der zivilen Opfer hoch. Richtig ist das Bestreben, eine gemeinsame Strategie jener Akteure zu finden, die den IS tatsächlich bekämpfen wollen. Ohne russischen Druck hätte es die Wiener Konferenz nicht gegeben. Dieser Weg in Richtung einer Friedenslösung muss weiter gegangen werden.
SPIEGEL ONLINE: Putins Luftschläge treffen bisher vornehmlich die Assad-Opposition, nicht den IS.
Wagenknecht: Das halte ich für eine Unterstellung. Im Übrigen sind al-Nusra und andere islamistische Terrorgruppen auch Teil der Opposition gegen Assad, und die sind um nichts besser als der IS.
SPIEGEL ONLINE: Welche Rolle kann die Türkei spielen?
Wagenknecht: Es ist schäbig, Erdogan zu hofieren, während der seine Opposition mundtot macht, Journalisten verfolgt und mit dem IS kungelt. Die EU will der Türkei drei Milliarden Euro für das Versprechen geben, ihre Grenze für Flüchtlinge zu schließen, aber die Grenze zum "Islamischen Staat" ist immer noch offen. Jede Nacht passieren sie über hundert vollbewaffnete Dschihadisten auf dem Weg in den Krieg. Solange Erdogan sich in der Rolle des Terrorpaten gefällt, verbieten sich schmutzige Deals mit ihm.
SPIEGEL ONLINE: Wie viele Flüchtlinge kann Deutschland aufnehmen?
Wagenknecht: Die Aufnahmekapazität hängt natürlich auch von der Politik ab. Wenn Städte und Gemeinden volle Kassen hätten, weil beispielsweise eine Millionärsteuer die öffentlichen Einnahmen erhöht, und wenn wieder sehr viel mehr erschwingliche Wohnungen gebaut würden, gäbe es auch bessere Möglichkeiten, Flüchtlinge zu integrieren. Und der Missbrauch von Flüchtlingen für Lohndumping ließe sich leichter verhindern, wenn der Arbeitsmarkt besser reguliert wäre. Aber klar ist auch: Wir können nicht jedes Jahr eine Million Menschen aufnehmen. Deshalb muss Deutschland viel mehr dafür tun, dass nicht mehr so viele Menschen ihre Heimat verlassen müssen. Die Kriege sind ja die Fluchtursache Nummer eins.
SPIEGEL ONLINE: Braucht es eine Obergrenze?
Wagenknecht: Es braucht eine europäische Flüchtlingspolitik. Wenn Kontingente bedeuten, dass auch andere EU-Länder Flüchtlinge in größerer Zahl aufnehmen und wenn damit legale Einwanderungswege geöffnet werden, wären Kontingente auf jeden Fall eine Verbesserung. Im Moment haben Flüchtlinge keine Wahl als illegale Wege nach Europa zu nutzen, die lebensgefährlich sind und bei denen sie sich in die Hände krimineller Schlepper begeben müssen. Das kann nicht so bleiben.

Parteitag in Bielefeld: "Wir reden über Staatsversagen"
Foto: Oliver Berg/ dpaSPIEGEL ONLINE: Wie gehen Sie damit um, dass ein Teil Ihrer Anhänger in dieser Frage mit Pegida sympathisiert?
Wagenknecht: Also in meinem Wahlkreis in Düsseldorf habe ich noch keinen Linke-Anhänger getroffen, der Pegida toll findet. Ich halte es allerdings genauso für falsch, jeden, der Probleme anspricht, die wir infolge der Flüchtlingskrise haben, oder der sich Sorgen macht wegen steigender Mieten oder Kürzungen an anderer Stelle, in die Pegida-Ecke zu stellen. Pegida schürt rassistische Ressentiments, wir reden über Staatsversagen und die Verantwortung der Politik.
SPIEGEL ONLINE: Der Euro, die Frage von Regierungsbeteiligungen - wann werden diese großen Streitthemen in Ihrer Fraktion wieder für Unmut sorgen?
Wagenknecht: Zur Zukunft Europas und seiner Währung diskutieren wir verschiedene Konzepte, und ich finde es spricht für uns, dass wir das tun, statt wie Merkel mit dem Diktum "Scheitert der Euro, scheitert Europa" jede Debatte zu ersticken. Da, wo wir uns aktuell positionieren mussten, etwa zum erneuten Griechenlandpaket im Sommer, haben wir das in größerer Geschlossenheit getan als alle anderen Fraktionen und haben es nahezu einstimmig abgelehnt.
SPIEGEL ONLINE: Ist eine Koalition mit der SPD durch den Syrien-Einsatz noch unwahrscheinlicher?
Wagenknecht: Das kommt darauf an, wie begeistert die SPD jetzt in diesen Krieg zieht. Ich jedenfalls hatte bei Frank-Walter Steinmeier nicht das Gefühl, dass er den Einsatz mit großer Überzeugung verteidigt. Wenn die SPD sich irgendwann daran erinnert, dass schon Willy Brandt Kriege als ultima irratio bezeichnet hat, als höchste Form der Unvernunft, könnten wir in dieser Frage durchaus zueinander finden.

Sahra Wagenknecht, 46, wurde in Jena geboren. Sie studierte Philosophie, Literatur und promovierte in Volkswirtschaftslehre. Seit 2009 sitzt sie für die Linkspartei im Bundestag, ab 2011 war sie stellvertretende Fraktionschefin. Am 13. Oktober löste sie Gregor Gysi gemeinsam mit Dietmar Bartsch als Vorsitzenden ab.