

Berlin/Brüssel - Die ungarische Regierung hat ein drastisches Gesetz zur Kontrolle der Medien durchgesetzt, jetzt hagelt es Kritik aus dem europäischen Ausland. Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärte: Ungarn dürfe die rechtsstaatlichen Prinzipien im Umgang mit den Medien nicht verletzen. Die Bundesregierung beobachte die Änderungen dort mit "großer Aufmerksamkeit", sagte Vize-Regierungssprecher Christoph Steegmans am Mittwoch in Berlin.
"Als künftige EU-Präsidentschaft trägt Ungarn natürlich eine besondere Verantwortung für das Bild der gesamten Europäischen Union in der Welt", fügte er hinzu. Auch deshalb sei es selbstverständlich, dass Ungarn den Werten der EU verpflichtet bleibe. Budapest übernimmt die Ratspräsidentschaft am 1. Januar.
Steegmans verwies ausdrücklich auch auf die Kritik der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) an den restriktiven Maßnahmen. Die OSZE-Medienbeauftragte Dunja Mijatovic hatte von einer Gesetzeslage "wie sonst nur unter autoritären Regimen" gesprochen.
Auf die Frage, ob Merkel mit dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban über das Thema telefoniert habe, gab Steegmans keine Antwort. Er sagte aber, die Stellungnahme der Bundesregierung lasse nichts an Deutlichkeit zu wünschen übrig.
EU-Kommission leitet eine Untersuchung ein
Nach dem vom Parlament in Budapest beschlossenen Mediengesetz kontrolliert die neue Medienbehörde NMHH jetzt auch private Fernseh- und Radiosender sowie Zeitungen und Internetportale. Bei Verstößen gegen das neue Gesetz drohen hohe Bußgelder. Seit dem Sommer überwacht die Behörde bereits die öffentlich-rechtlichen Medien. Auch müssen Journalisten dem Gesetz zufolge ihre Quellen offenlegen, wenn es um Fragen der nationalen Sicherheit geht.
Der Vorstand der ungarischen Medienbehörde besteht ausschließlich aus Vertretern der rechtsnationalen Regierungspartei Fidesz. Die NMHH-Präsidentin Annamaria Szalai wurde von Ministerpräsident Viktor Orban persönlich für neun Jahre ernannt. Laut geänderter Verfassung darf der NMHH-Präsident ohne parlamentarische Kontrolle Verordnungen und Vorschriften erlassen.
Die EU-Kommission hat eine Untersuchung eingeleitet: "Die EU-Kommission prüft, ob Ungarn mit seinem neuen Mediengesetz gegen EU-Recht verstößt", sagte ein Sprecher der Behörde am Mittwoch in Brüssel. Einschätzungen zu der umstrittenen Gesetzgebung in Ungarn machte er nicht. "Wir werden prüfen, in welchem Umfang europäisches Recht und europäische Prinzipien betroffen sind", sagte der Sprecher.
Trittin fordert Rücknahme des Gesetzes
Deutliche Kritik an der ungarischen Regierung äußerte auch Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin. Demnach kann das Land den EU-Ratsvorsitz am 1. Januar nur dann übernehmen, wenn es das umstrittene Mediengesetz zurücknimmt. Er sprach von einer fatalen Entscheidung. "Ein derartiger Anschlag auf die Pressefreiheit, wie ihn die rechtskonservative ungarische Regierung und die sie tragende Parlamentsmehrheit unternommen haben, ist mit der EU-Ratspräsidentschaft Ungarns unvereinbar." Trittin forderte die Bundesregierung und vor allem Außenminister Guido Westerwelle zum sofortigen Eingreifen auf.
Zuvor hatten bereits mehrere europäische Politiker entsetzt auf das neue Gesetz gezeigt. "Wir werden Ungarn sehr genau an den europäischen Standards zur Pressefreiheit messen", sagte der Fraktionschef der Sozialdemokraten, Martin Schulz, der "Frankfurter Rundschau". Sollten diese nicht erfüllt werden, werde Budapest "große Probleme bekommen". Der FDP-Europa-Abgeordnete Alexander Alvaro nannte es "äußerst fragwürdig", dass eine designierte EU-Präsidentschaft "kritische Medien im eigenen Land mundtot machen" wolle.
Der rechtspopulistische Bund Junger Demokraten, Fidesz, regiert das EU-Land Ungarn seit den Wahlen im April 2010 mit einer Zweidrittelmehrheit. Mit dieser Mehrheit kann problemlos die Verfassung geändert werden. Der Parteichef, Ministerpräsident Orban, trimmt den Staat zunehmend auf rechts. Ein neues "System der nationalen Zusammenarbeit" soll die angeblich chaotische Nachwende-Demokratie ersetzen.
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Nach der Verabschiedung des umstrittenen Mediengesetzes in Ungarn versammelten sich am 20. Dezember 2010 etwa 1500 Demonstranten vor dem Parlament in Budapest.
Nichts hören, nichts sehen, nichts sagen: Die Opposition befürchtet, dass sich die Medien aus Angst vor hohen Bußgeldern einer Selbstzensur unterwerfen werden.
Über Facebook organisiert: Die Demonstranten verbaten sich die Teilnahme von Politikern, um ihre Unabhängigkeit zu unterstreichen.
Weiße Schilder: Die Protestplakate sind eine Anspielung auf einige Zeitungen und Zeitschriften, die aus Protest mit leeren Titelseiten erschienen waren.
Sprechverbot: Wie die Demonstranten fürchten auch internationale Organisationen, dass das neue Gesetz die Presse- und Meinungsfreiheit gefährden könnte.
Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán: Demonstranten verglichen sein mit der Zweidrittelmehrheit der Partei Fidesz verabschiedetes Mediengesetz mit den Verhältnissen unter dem moskautreuen Kommunisten János Kádár.
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