Schießbefehl-Dokument CDU-Politiker fordert Ermittlungen wegen Mordes
Berlin - Welche strafrechtliche Relevanz besitzt der uneingeschränkte Stasi-Schießbefehl gegen DDR-Flüchtlinge, der am Wochenende aufgetaucht ist? Während heute in Berlin an den Bau der Mauer vor 46 Jahren gedacht wird, ist ein Streit über das Dokument entbrannt: Für CDU-Fraktionsvize Arnold Vaatz ist die Angelegenheit eindeutig: Der Schießbefehl sei nichts anderes als ein Befehl zum Mord gewesen, sagte der frühere DDR-Bürgerrechtler der "Berliner Zeitung". Vaatz forderte Ermittlungen wegen Mordes. "Da gibt es keine Verjährung."
Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Günter Nooke (CDU), sagte im ZDF, das Dokument sei ein Beleg für einen flächendeckenden Schießbefehl an der DDR-Grenze. Die DDR sei von Leuten regiert worden, die angewiesen hätten, auf Frauen und Kinder zu schießen. "Das wäre heute Verbrechen gegen die Menschlichkeit, das gehörte nach Den Haag vor den Internationalen Strafgerichtshof."
Zurückhaltender äußerte sich Marianne Birthler, Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen. Sie will untersuchen, ob das nun öffentlich gemachte Dokument für strafrechtliche Ermittlungen von Bedeutung ist. Es "beschreibt eine Befehlslage, nicht die Durchführung einer Tötung, was Voraussetzung für eine Strafverfolgung wäre", sagte Birthler der Zeitung. "Es ist kein Befehl, der sich an die Grenzsoldaten richtete, sondern ein Befehl an eine besondere Stasi-Einheit, die die Fahnenflucht von Soldaten mit allen Mitteln verhindern sollte."
Der Bürgerrechtler und letzte DDR-Verteidigungsminister Rainer Eppelmann (CDU) meinte, der Fund müsse Anlass sein, "die umbenannte SED nach ihrem Schuldeingeständnis zu fragen". Der Fund sei überraschend. "Dass das Grenzregime grausam und faschistoid war, das war bekannt", sagte Eppelmann der "Mitteldeutschen Zeitung".
Der Leiter der Stasi-Gedenkstätte in Berlin-Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, dämpfte Hoffnungen auf eine juristische Aufarbeitung des am Wochenende aufgetauchten DDR-Schießbefehls. Er sei "ein bisschen zurückhaltend", sagte Knabe dem Radiosender MDR INFO. Die Staatsanwaltschaft müsse mögliche Folgen des Aktenfundes prüfen. "Das wird sicherlich nicht ganz einfach sein." Zunächst müssten die Urheber des Auftrags geklärt werden, dann die Frage, ob es daraufhin Tötungen gegeben habe.
Knabe kritisierte die Birthler-Behörde wegen möglicher Pflichtverletzungen. Der am Wochenende veröffentlichte Text war erstmals vor zehn Jahren in einem Fachbuch der Behörde publiziert worden, ohne auf größere Resonanz zu stoßen. Er frage sich, ob die Bundesbeauftragte beziehungsweise ihr Vorgänger Joachim Gauck "ihrem gesetzlichen Auftrag entsprochen haben und dieses Dokument auch an die Staatsanwaltschaften weitergegeben haben". Das Dokument enthalte "offenkundig Anhaltspunkte für Straftaten, die eben von alleine gemeldet werden müssen".
Kritik an der Birthler-Behörde äußerte auch Bodo Ramelow, Vize-Fraktionschef der Linken im Bundestag: Er könne nur mit Kopfschütteln registrieren, dass die Behörde der Öffentlichkeit nun selbst längst bekannte Dokumente als vermeintliche, sensationelle Geheimakten präsentiere, um ihre Arbeit zu rechtfertigen, sagte er der "Thüringer Allgemeinen".
Der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen im Bundestag, Volker Beck, forderte in der "Frankfurter Rundschau", nun sei "dringend zu prüfen", ob der Schießbefehl "neue Ermittlungen gegen die Verantwortlichen der Stasi ermöglicht, die bisher einer Strafverfolgung entgangen sind".
Der Schießbefehl war bei einer Recherche in Dokumenten der Magdeburger Außenstelle der Stasi-Akten-Behörde entdeckt und am Samstag von der "Magdeburger Volksstimme" veröffentlicht worden. In einer Dienstanweisung der Einsatzkompanie des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) vom Oktober 1973 stand demnach: "Zögern Sie nicht mit der Anwendung der Schusswaffe, auch dann nicht, wenn die Grenzdurchbrüche mit Frauen und Kindern erfolgen, was sich die Verräter schon oft zu nutze gemacht haben." Die Stasi-Kompanie wurde demnach 1968 gebildet und bestand bis 1985.
hen/AFP/dpa