Schlammschlacht vor dem Reichstag Joschka wieder im Straßenkampf

Jeder gegen jeden, und im Wahlkampf sind alle Mittel recht: Berliner Studenten inszenierten vor dem Reichstag eine handfeste politische Schlammschlacht - und kamen der schmutzigen Wahrheit verblüffend nah.

Berlin - Joschka wirft wieder. Diesmal nur mit Schlamm, aber das wirkt, denn Stoiber ist aus Pappe. Schröder geht in Deckung, wenn Merkel ausholt und Weichei Westerwelle zieht den Kopf ein, weil eine Lufthansa-Maschine an ihm vorbeirauscht: Gefährliche Nähe zu den Bonusmeilen.

Beim Straßenkampf vor dem Reichstag bleibt kein Auge trocken. Bewaffnet mit Eimern voller Dreck, aufblasbaren Flugzeugen, feuchten Wasserpistolen und trockenen Politik-Phrasen liefern sich Studenten der Freien Universität in Berlin hinter Pappmasken mit den Gesichtern der üblichen Politik-Verdächtigen eine Schlammschlacht.

Das Ganze ist als "Politische Demonstration" angemeldet und soll auch so verstanden werden, aber alles andere als ein Ausdruck von Politikverdrossenheit. "Politikfabrik" nennt sich das Unternehmen, das in seinem Projekt "Die Wahl-Gang" Erst- und Jungwähler an die Urne treibt. Mit diesem Event-Marketing der Schlammkur wollen die Jungpolitiker die Bundesgrößen daran erinnern, wie abschreckend ihre Gefechte gerade auf Erstwähler wirken. "Wir zeigen Erstwählern, dass es auch Spaß machen kann, sich in die Politik einzumischen", sagt Daniel Holefleisch, der standesgemäß als Geschäftsführer der Politikfabrik als einziger Saubermann aus der Schlacht hervorgeht.

Die anderen Pappkameraden trifft es hart. Stoiber zögert zu lange und verliert fast sein (falsches) Gesicht, weil ihn Schröder mit einer Pumpgun in die rechte Ecke abdrängt. "Zurück in den Container, Sie Playmobilfahrer", brüllt Joschka, der - feigefeige - Westerwelle von hinten die weiße Weste versaut.

Gerd, der Medienkanzler, verzögert geschickt die nächste Schlammschleuder Richtung Merkel bis er sich sicher ist, dass ihn auch alle Objektive im Visier haben. Denn die Journalistenmeute ist selbstredend nicht weit, wenn sich im politischen Dreck wühlen lässt. Für ein gutes Foto würde der Bundes-Deichgraf sogar in Zeitlupe werfen und der Bild-Künstler durch den Schlamm robben. Politik und Medien in einem Boot, von dem aus sie dann anschließend gemeinsam betroffen seufzend die zunehmende Inszenierung von Inhalten beklagen.

Die Pappnasen sind aufgeweicht. "Kauft Hunzinger eigentlich auch ihre Badehosen?" will Merkel von Scharping wissen, bevor sie ihm mittels Wasserpistole zu weiteren entspannten Badeerlebnissen verhilft. Angesichts des ungewissen Ausgangs der Schlacht finden sich seltsame Koalitionen auf Zeit. Stoiber ("Oberlehrer") mit Gysi ("Oppositionsostler") gegen Möllemann ("Tiefflieger") und Fischer ("Bush-Besen") mit Merkel ("Hängebacke") gegen Schröder ("Grinse-Gerd"). Westerwelle hält sich am liebsten raus, seine Frisur könnte ja verrutschen, hat aber zu allem eine Meinung: "Mit uns gibt es weder blaue Briefe noch rote Socken".

Keiner wird gewinnen. Die Schlacht dauert nur so lange, bis ihnen der Schlamm ausgeht. Danach: Wunden lecken, Einschläge zählen, Betroffenheit simulieren und mit dem schmutzigen Zeigefinger auf den jeweils anderen zeigen. Westerwelles T-Shirt lässt nur noch ahnen, dass es mal gelb war, so unsichtbar wie das Liberale in der FDP. "Alle haben was abbekommen. Ich glaube, es ist ziemlich ausgeglichen abgelaufen", sagt Joschka, der das als erfahrener Straßenkämpfer am besten beurteilen kann. Hier hat sich keiner mit Ruhm bekleckert. Nur mit Dreck. Auch die Medien sind schmutzig. Soll ja vorkommen.

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