Schlossdebatte Honeckers später Sieg

Mit dem Abriss des Palastes der Republik in Berlin soll kommende Woche begonnen werden. Eine deutsche Debatte geht damit zu Ende, die Gegner und Befürworter in feindliche Lager spaltete. Dabei gab es nie eine Alternative zum Schlossaufbau.

Berlin - Die Sehnsucht nach dem Berliner Schloss hatte auch irgendwann Erich Honecker erfasst. Ausgerechnet den SED-Chef, der 1976 den Palast der Republik als Wohlfühlhalle der Werktätigen mit großem Pomp eingeweiht hatte. Honecker, ein Schlossbefürworter? Wo doch, wie die alttreuen Genossen unken, mit dem Abriss der Palastruine auch ein Zeugnis der DDR beseitigt werden soll? Ja, doch, Erich Honecker.

1988, von Staatsempfängen in Madrid und Paris zurück, äußerte der SED-Chef im engeren Kreis sein Bedauern über die Beseitigung des Schlosses durch seinen Vorgänger Walter Ulbricht. Gäbe es das Gebäude noch, dann könne man nämlich DDR-Besuchern eine ähnliche Zeremonie wie in Paris oder Madrid bieten, erzählte Honecker damals in einer Runde von Politbüro-Größen. So schildert die denkwürdige Szene Eberhard Fensch, einst Vize-Leiter der Abteilung Agitation im ZK der SED, in seinem Buch "So und nur noch besser".

Heute muss mit staatsrepräsentativen Gesten nicht mehr aufgewartet werden, heute muss kein Bundeskanzler sich als Nachfolger des Preußenkönigs fühlen, um für den Wiederaufbau des Schlosses zu werben. Es gibt in diesen, entspannteren Zeiten, ein einziges, zwingendes Argument: Die Ruine ist der hässlichste Ort in dem mit Hässlichkeiten reichlich gesegneten Berlin. Und sie muss weg, hätte schon lange weg gemusst. Nun ist es endlich so weit, noch im Januar soll damit begonnen werden, die Reste abzutragen.

Bald wieder eine weitere öde Brache

In der Mitte Berlins findet eine Quälerei ihr vorläufiges Ende - doch die nächste beginnt, denn niemand weiß, ob das Schloss an seiner Stelle entsteht, auch wenn der Bundestag mehrheitlich, zuletzt 2003, den Beschluss zum Abriss des Palastes und zum Wiederaufbau des Schlosses bekräftigte. Kommende Woche wird das Parlament noch einmal über das Schloss debattieren - an der Haltung zum Abriss wird das nichts mehr ändern. Was bleibt, sind viele Fragezeichen: Die Finanzierung ist offen, die Nutzung als Museensammlung noch nicht ausgereift, Berlin hochverschuldet und die Zuneigung des Bundes zu seiner Hauptstadt hält sich in Grenzen. Schlechte Voraussetzungen, also.

Immerhin, die Lücke, die bei langsamen Abbau des Palastes entsteht, ist die größte Hoffnung. Je unerträglicher sie wird, umso größer wird der Druck werden, sie bald zu füllen. Das ist die Hoffnung der Schlossanhänger. Es könnte aber auch ein Zustand eintreten wie nach 1950, als das Schloss gesprengt worden war - und der Platz bliebe für eine lange, lange Zeit eine große Leerstelle. Ein wenig begrünt, so wie es geplant ist, im besten Falle als Liegewiese für Touristen, im schlechtesten als zentrale Erleicherungsstelle für Berliner Hunde.

Bereits zu DDR-Zeiten Pläne geschmiedet

Bis auf den Grund soll der Palast der Republik geschleift werden. Am Ende bleibt nur die Betonwanne im Boden, aus statischen Gründen, denn sonst könnten andere Gebäude in der Umgebung Schaden nehmen. Viele Visionen sind in den letzten Jahren durchgespielt worden, um das Schloss wenigstens in seiner äußeren Form wiederherzustellen. Schon zu DDR-Zeiten, 1987, hatte der Arzt Joachim Müller eine Eingabe bei Honecker gemacht - mit dem Ziel, den Palast durch einen Schlossbau zu ergänzen. Honecker erhielt den Brief des DDR-Bürgers am 17. Februar desselben Jahres und schrieb über den Kopf: "Gen. G. Mittag - Jemand beauftragen, um mit dem Schreiber zu sprechen". So geschah es dann auch, 45 Minuten wurde Müller im ZK-Gebäude, in dem heute das Auswärtige Amt residiert, empfangen und hörte dort, unter Honecker wäre die Kriegsruine nicht abgerissen, sondern für einen späteren Wiederaufbau gesichert worden. Das Ende des Palastes in seiner Ursprungsform begann also in manchen Köpfen der DDR-Funktionäre schon lange, bevor die Mauer fiel.

Erhitzte Debatten

Dennoch hielt sich zäh Ulbrichts Erbe - der Glaube nämlich, der Abriss sei irgendwie doch gerechtfertigt gewesen. Der SED-Chef, der das Schloss vor 56 Jahren als Ausdruck des preußischen Militarismus sprengen und anschließend abtragen ließ, um an seine Stelle eine gigantische Aufmarschfläche anlegen zu lassen, hatte selbst dort noch seine Verteidiger, wo die Verteidiger noch nie etwas von Ulbricht gehört hatten.

Denn das war das eigentlich beschämende am langjährigen Streit - dass mit ihr noch einmal nachträglich die Beseitigungspolitik unter Ulbricht gerechtfertigt wurde. Fast in Vergessenheit geriet, dass die Straße Unter den Linden ohne das Schloss nicht denkbar ist - angelegt wurde sie einst als Reitertrasse vom Palast in den Tiergarten -, und dass Schinkel seine Bauten am Schloss orientierte.

In den Schlachten der vergangenen Jahre ging es fast nie um solche Details, auf denen der Stadtgrundriss Berlins gründet. Es ging meist ums Grundsätzliche, um Ideologie. Mit kruden Ängsten vor einem Wiederauferstehen des Preußentums speisten Schlossgegner den Kampf, als würden die Toten der Hohenzollern ihren Gruften im nahen Dom entsteigen und Besitz nehmen vom alten Erbe. Und zu den unbelehrbaren SED-Altgenossen gesellten sich ebenso sture Ostalgiker aus dem Westen.

Die Schlossdebatte war vor allem eines - eine zutiefst deutsche Debatte. Maßlos in ihren Übertreibungen und in der Abneigung, ja, dem Hass, in den sie mitunter entglitt. Surreal war die Debatte, eine Projektion der deutschen Selbstängste. Vergleichbar allenfalls mit der Polemik, mit der die Bonn-Befürworter 1990 vor der Hauptstadt Berlin warnten. In den Endkampf ziehen die Schlossgegner derzeit mit härtesten Bandagen. Journalisten erhielten ein Papier des Architekten Philipp Oswalt, in dem die Spendenpraxis der Schlossbefürworter um Wilhelm von Boddien attackiert wird.

Berlins größtes Problem

Dabei geht es um etwas sehr einfaches: ein Bauwerk wiederzuerrichten, das das Bild der Stadt über Jahrhunderte prägte. Während die Palastfans in Anzeigen Trauerarbeit leisten - jüngst mit Günter Grass an der Spitze -, steht es um das seelische Heil der Schlossanhänger kaum besser. Ihre eigentliche Tragik ist der mangelnde Ehrgeiz der Stadtbewohner. Nichts deutet darauf hin, dass die internatonale Sammelaktion für die Frauenkirche in Dresden sich noch einmal wiederholen ließe. So ist der Aufbau des Schlosses so abhängig wie Berlin ansonsten vom Willen des Bundes. Er müsste den wohl über eine Milliarde teuren Aufbau bezuschussen, denn von der Industrie, die die Hauptstadt auch sonst meidet und Arbeitsplätze eher abzieht und verlagert, ist nicht allzuviel zu erwarten. Selbst der Wiederaufbau der erst 1962 abgerissenen Bauakademie, die mit 25 Millionen Euro vergleichsweise billig wäre und bislang nur als Attrappe steht, kommt nicht voran. So bleibt Berlin auf das Wohlwollen des Bundes angewiesen. Das aber wäre wohl die schlechteste Werbung für eine Stadt, die sich oft gern selbst genügt.

Ein Hoffnungsträger könnte die Rückbesinnung auf bürgerliches Engagement sein. Doch das ist in Berlin noch schwerer mobilisierbar als im Rest der Republik. Es gibt in Berlin zudem kein Bürgertum mehr, das diesen Namen verdiente. Berlin, das ist heute die Stadt der kleinen Angestellten und der vielen Arbeitslosen. Als Unterstützer blieben nur die jungen urbanen Milieus, die mit Ideen und Phantasie den Kontrapunkt zu Berlins ökonomischer Tristesse setzen. Doch hier gilt immer noch die Devise: das Schloss ist rechts und damit ist in der mehrheitlich links regierten Stadt wenig zu holen. Zwar ist Klaus Wowereit für den Aufbau, aber ein Regierender Bürgermeister macht noch kein gesellschaftliches Engagement. Auch der Einsatz der früheren Bundestags-Vizepräsidentin Antje Vollmer, die damit das übliche Rechts-Links-Schema durchbrach, wird in ihrer eigenen Grünen-Partei unter Alterserscheinung milde belächelt.

Wer das Schloss verteidigt, der spürt förmlich, wie im Blicke der anderen die Pickelhaube auf dem eigenen Kopfe wächst. Oft sind es dieselben Schloss-Gegner, die von imposanten Bauten in Italien schwärmen und am liebsten in sanierten Altbau-Vierteln leben. Wenn es aber um den Hohenzollern-Bau geht, dann ist in Berlin ein Kalter-Krieg-Revival zu erleben: handfeste ideologische Debatten, feindselige Blicke, Streit im engsten Freundeskreis.

Neue Lust an der Ruine

Wie stark das Schloss die Stadt spaltet, war jüngst wieder nachzulesen. In den letzten Monaten überboten sich die Feuilletons der Hauptstadt-Blätter in charmierenden Artikeln über die Strahlkraft der Ruine und ihres kulturellen Nutzwertes. Die Palastfans sind ein buntes Häufchen. Die einen wollen ihn als Überbleibsel der DDR, andere den großen modernen Entwurf, viele als Raum für Kultur. Wenn alles nicht mehr hilft, dann bedienen sie sich des Allerlei aus dem Fundus der sozialpolitischen Argumente: Wäre das Geld nicht besser in Kitas und Schulen angelegt?

Die Argumente der Schlossgegner, so unterschiedlich sie sind, laufen auf eines hinaus: den Wiederaufbau zu verzögern, bis die nächste Generation daran die Lust verloren hat. Denn in Berlin verlaufen viele Debatten mit sicherer Präzision andersherum: Hier darf es, bitte, schön hässlich sein. Je hässlicher, umso authentischer, lebensnaher. Am besten als Ruine. Und immer, wenn den Gegnern nichts mehr einfällt, ob bei der Neubebauung des Potsdamer Platzes oder der Schlossplatz-Ödnis, wurde das Hohelied der Brache besungen. Als hätte Berlin nicht genug davon und bräuchte gerade das Gegenteil - die geschlossene Bebauung in möglichst ästhetisch reizvollem Gewand.

Denn um das Naheliegende ging es fast nie: Dass der Palast, selbst zu seinen sogenannten Glanzzeiten, eine einzige ästhetische Zumutung war. Dass das Schloss allemal besser ist als alles, was moderne Architekten und ihre Büros an Alternativen aufboten.

Nahe dem Schlossplatz steht seit zwei Jahren die Kommandantur. Schon ihr äußerlicher Wiederaufbau mit neuem Kern wurde mit denselben Argumenten bekämpft wie heute das Schlossprojekt. Es sei eine Kopie - als sei das an sich verwerflich und hätte nicht eine ganze Baugeschichte vom Kopieren gelebt. Am Ende baute die Bertelsmann-Stiftung ihr Haus. Seitdem erfreut es die (meisten) Flaneure. Denn das ist auch wahr: Der Mensch will durch Kulissen verzaubert werden.

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