
Deutsche Politik Schluss mit dem AfD-Gekusche!


Anhänger der AfD demonstrieren am 28. Mai 2018 in Berlin
Foto: Kay Nietfeld/ dpaEs spricht für die Demokratie, nicht die reine Herrschaft der Mehrheit zu sein. Aber man kann es mit der Rücksicht auf Minderheiten auch übertreiben. Deutschland übertreibt es gewaltig. Minderheitenpolitik ist der Fetisch der Deutschen. Jede noch so unsinnige Forderung wird mit einem offenen Ohr belohnt. Jedem noch so maßlosen Anspruch wird mit Verständnis begegnet. Das muss endlich aufhören. Es ist Zeit, dass die Mehrheit der Gesellschaft sich Gehör verschafft!
Wie es um Mehrheit und Minderheit bestellt ist, konnte man am Wochenende in Berlin sehen: Da gab es zwei Kundgebungen. Eine große und eine kleine. Die eine hatte nach Polizeiangaben 25.000 Teilnehmer, die andere 5000 Teilnehmer.
Das ist ein Verhältnis 5:1. Die kleine Demonstration war von der AfD. Die große vom Rest der Deutschen. Wenn in Deutschland alles mit rechten Dingen zuginge, würden sich Politiker und Journalisten an der Mehrheit der Deutschen orientieren - und nicht an der Minderheit der AfD. Stattdessen kuschen sie vor der Minderheit.
Die Minderheit ist rechts, sie hat Angst, sie verachtet die Ausländer und sie sucht das Heil der Deutschen in der Vergangenheit. Das bedeutet nicht, dass die Mehrheit links sei und ohne Sorge in die Zukunft blickte.
Aber die Mehrheit der Deutschen hält die Migration für ein Problem unter vielen - und nicht für das wichtigste. Es gibt so viel zu tun in Deutschland: Die Mieten steigen, die Löhne in den unteren Gruppen sind zu niedrig, das Krankenkassensystem ist ungerecht, Krankenversorgung und Pflege sind gefährdet, Kindergartenplätze fehlen, die Schulen sind marode, das Internet ist zu langsam, das Mobilfunknetz mangelhaft. Das sind die Themen, die wirklich das Leben der Menschen betreffen.
Aber worüber regen sich Politiker und Presse auf? Dass in Bremen eine überschaubare Zahl von Asylbescheiden offenbar zu Unrecht vergeben wurde?
Natürlich soll eine Behörde wie das Bamf sauber arbeiten. Aber in den vergangenen Jahren haben die Leute dort unter ständig wechselnden gesetzlichen Regelungen und enormem öffentlichen Druck buchstäblich Millionen von Anträgen bearbeitet. Und nun kommt ans Tageslicht, dass einige Kollegen in Bremen besonders großzügig bei der Asylvergabe waren - es geht um bislang 3332 Fälle. Das ist nicht in Ordnung. Aber das ist eben auch keine Katastrophe. Und - soweit man bisher weiß - war nicht Geldgier das Motiv, sondern Menschenfreundlichkeit. Jetzt soll es in der Sache einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss geben? Herrje! Als hätten wir keine anderen Sorgen!
Jetzt will Heimatmuseumsminister Horst Seehofer die Flüchtlinge in sogenannten Ankerzentren unterbringt - was gleichzeitig irgendwie nach frischer Seeluft und totaler Sicherheit klingen soll. Aber die "heute-show" hatte schon recht, als sie kürzer einfach AZ vorschlug.
Es handelt sich um Internierungslager. Und die Polizeikräfte der Länder und des Bundes wissen schon, warum sie es bereits abgelehnt haben, da Dienst zu tun: Diese Lager werden eine Brutstätte von Gewalt, Kriminalität, Missbrauch und Verzweiflung sein. Warum tut Seehofer das?
Aus Angst vor der AfD. Es ist zum Kotzen.
Besonders ärgerlich ist es aber, wenn die Parteien, die eigentlich ein Bollwerk gegen politische Dumpfheit sein sollten, um erste Plätze im rechten Rattenrennen kämpfen. Andrea Nahles liegt da gerade ziemlich weit vorne.
In einem Interview hat sie gesagt: "Menschen, die weder geduldet noch als Asylbewerber anerkannt werden, müssen schneller Klarheit haben, dass sie nicht bleiben können und zurückgebracht werden. Das gehört unweigerlich zur Willkommenskultur dazu. Sie funktioniert nur zusammen mit einem durchsetzungsstarken Rechtsstaat. Wer Schutz braucht, ist willkommen. Aber wir können nicht alle bei uns aufnehmen."
Wenn die SPD-Vorsitzende geplant hatte, auf möglichst kleinem Raum eine möglichst große Fülle von Unwahrheiten und miesen Assoziationen unterzubringen, dann ist ihr das gelungen.
Wollen "alle" zu uns kommen? Wer hat gesagt, dass wir "alle" aufnehmen wollen? Und: Wer sind überhaupt diese "alle", von denen Nahles da spricht? Die Antwort auf diese Fragen der Reihe nach: Nein. Niemand. Keine Ahnung.
Nahles reagiert auf eine Forderung, die niemand im Ernst stellt. Sie spielt damit das Spiel jener kleinen Minderheit von fanatischen Rechtspopulisten, die unsere Öffentlichkeit so erfolgreich am Gängelband führen.
Und warum tut Nahles eigentlich so, als gebe es ein Spannungsverhältnis von "Willkommenskultur" und "Rechtsstaat"? Das ist wieder eine rechte Fiktion, der die SPD-Chefin unnötig nachgibt. Und die Idee, Willkommenskultur müsse "funktionieren", ist ganz abwegig. Der "FAZ"-Journalist Patrick Bahners hat dazu gesagt: "Die Willkommenskultur ist ein freiwilliger, nicht geschuldeter Beitrag der Zivilgesellschaft zum Funktionieren des Rechtsstaats." Das ist hübsch formuliert und wahr.
Schon im sogenannten Fernsehduell zwischen Angela Merkel und Martin Schulz war es verblüffend, welch großer Teil der Sendezeit dem Thema Migration gewidmet war. Aus einem Thema unter vielen, das für die meisten Menschen nicht das wichtigste ist, wurde in den vergangenen Jahren das beherrschende Thema gemacht. Daran sind nicht die Bürger schuld, sondern Politiker und Journalisten.
Unsere sogenannten politischen Eliten haben die AfD zur wirkmächtigsten politischen Kraft in Deutschland gemacht, während die Deutschen ihr nur 12,6 Prozent gegeben haben. War es Angst oder Sensationslust - oder eine stille Verachtung für die Wähler, denen man in Wahrheit immer das Schlechteste zutraut?