
Schuldenkrise Griechenlands Woche der Wahrheit
Berlin - Evangelos Venizelos kennt sich aus mit martialischer Sprache. Der neue Finanzminister Griechenlands war bislang für Verteidigung zuständig. Und so ganz scheint er sein altes Amt noch nicht abgestreift zu haben. Er ziehe jetzt "in den wahren Krieg", sagt er.
Das ist eine rustikale, aber im Kern durchaus treffende Umschreibung für die Aufgabe, vor der er steht. Es gilt, eine historische Herausforderung zu meistern: Venizelos muss Griechenland vor dem Bankrott retten, er muss gigantische Löcher stopfen, er muss sanieren und modernisieren. Ansonsten droht nicht nur sein Land, sondern gleich ein ganzer Kontinent auseinandergerissen zu werden.
Denn längst stellt der Fall Griechenland den gemeinsamen europäischen Geist auf die Probe. In den Hauptstädten stürmen empörte Bürger die Straßen, wächst der Spalt zwischen Regierungen und Regierten. In Athen und Madrid fürchten sich die Menschen vor den Härten immer neuer Sparprogramme, in Berlin und Paris empören sie sich über die Höhen immer neuer Rechnungen. Griechenland steht auf der Kippe. Europa steht auf der Kippe.
Venizelos hat sein Amt zur rechten Zeit angetreten. Sein Land steht vor einer wichtigen Woche, zwei Spitzentreffen auf europäischer Ebene sollen die Griechenlands Zukunft sichern. Bis Montag tagen die Euro-Finanzminister in Luxemburg, um über weitere Hilfen für die Hellenen zu beraten, ab Donnerstag kommen in Brüssel die Staats- und Regierungschefs zusammen. Und dazwischen stellt der griechische Ministerpräsident Giorgos Papandreou die Vertrauenfrage.
Bei den EU-Treffen geht es um Geld, viel Geld. Neben einem neuen, zusätzlichen Notpaket von bis zu 120 Milliarden Euro geht es auch um die Freigabe einer für Mitte Juli geplanten Zwölf-Milliarden-Kredittranche der Europäer und des Internationalen Währungsfonds (IWF) aus dem bisherigen Hilfsprogramm. Sollten die Milliarden nicht fließen, wäre Griechenland pleite.
Ob das zusätzliche Hilfspaket schon in dieser Woche auf den Weg gebracht wird, ist ungewiss. Die Europäer streiten um die Details und um die Frage, inwieweit sich private Gläubiger an den Hilfen beteiligen sollen. Vor allem Kanzlerin Angela Merkeldrängt auf eine Beteiligung, wohlwissend, dass mehr als eine freiwillige Lösung nicht durchsetzbar ist. Es ist ein Balanceakt zwischen zwei Polen, den Bürgern und den Märkten.
Wie verlaufen die Frontlinien? Und wie könnte ein Kompromiss aussehen? SPIEGEL ONLINE beantwortet die wichtigsten Fragen.
Worüber streitet die EU?
Immerhin: Dass Griechenland geholfen werden muss, darüber sind sich die Euro-Länder einig. Doch der Weg bleibt umstritten, die Regierungen verzetteln sich im Krisenmanagement. Vor allem die Frage, ob und wie Banken und Versicherungen an der Rettung der Hellenen beteiligt werden können, sorgt für erhebliche Konflikte. Wie tief die Differenzen in Sachen Umschuldung sind, zeigt sich daran, dass selbst die freiwillige Lösung,
auf die Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy sich am Freitag einigten, ziemlich unterschiedlich gedeutet wird.
So erwartet die Bundesregierung trotz der Freiwilligkeit eine umfassende Einbeziehung der Gläubiger. Deren Beitrag müsse "substantiell" und "quantifizierbar" sein, sagte Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU). Und Merkel sagte, es müsse versucht werden, in den Verhandlungen einen "substantiellen Beitrag" der privaten Geldgeber zusammenzubringen, wenn auch nicht "auf der offenen Straße".
Euro-Gruppen-Präsident Jean-Claude Juncker will das verhindern. Er stellte am Wochenende abermals klar, dass er in einer Umschuldung eine große Gefahr sieht. Sollten sich Privatgläubiger an der Rettung Griechenlands beteiligen, könne das dazu führen, dass die Rating-Agenturen das Land als zahlungsunfähig einstuften - mit womöglich katastrophalen Folgen: "Die Pleite kann Portugal anstecken und Irland und dann wegen der hohen Schulden auch Belgien und Italien, noch vor Spanien." Dann gute Nacht - so Junckers Botschaft.
Ähnlich sieht das die Europäische Zentralbank. Auch sie zeigt sich bislang wenig angetan von einer Gläubigerbeteiligung. Kein Wunder, sitzt sie doch selbst auf Bergen griechischer Staatsanleihen. Bei der Notenbank in Frankfurt am Main fürchtet man, weitaus länger als beabsichtigt auf den Anleihen sitzenzubleiben, sollten die Rating-Riesen das Land in Folge der Umschuldung als bankrott einstufen.
Wie sieht ein möglicher Kompromiss aus?
Dass die Finanzminister sich bis Montag auf die Details eines neuen Hilfspakets einigen, ist äußerst unwahrscheinlich. Die konkrete Ausgestaltung, vor allem was die Frage einer freiwilligen privaten Gläubigerbeteiligung angeht, dürfte noch einige Zeit auf sich warten lassen. Klar ist nur: Will man die Märkte und Athen nicht weiter verunsichern, muss ein Kompromiss her. Und das möglichst schnell. Nur wie könnte er aussehen?
Als Vorbild gilt die sogenannte Wiener Initiative aus dem Jahr 2009. Damals standen einige Staaten in Osteuropa wegen der weltweiten Finanzkrise am Abgrund. Um einen Bankrott zu verhindern, einigten sich die westeuropäischen Gläubigerbanken darauf, Anleihen der betroffenen Staaten nach Ende der Laufzeit nicht abzustoßen, sondern in neue Papiere umzutauschen. So verringerte sich zwar nicht die Schuldenlast, aber immerhin bekamen die taumelnden Staaten mehr Zeit zum Abzahlen. Warum sollte das nicht auch im Falle Griechenlands funktionieren?
Weil die Umstände andere sind. Die Griechen-Krise ist aus europäischer Sicht existentieller. Deswegen wird Brüssel selbst, so das Kalkül vieler Banken, alles dafür tun, um eine Pleite des Staates zu verhindern. Dennoch ist zumindest nicht auszuschließen, dass die Privatgläubiger sich auf ein ähnliches Szenario wie 2009 einlassen. Schließlich biete die Wiener Initiative den Finanzinstituten den Vorteil, faktisch nicht auf Forderungen verzichten zu müssen. Gleichzeitig erhielte die Regierung in Athen aber eine kleine Atempause. Es wäre eigentlich eine recht günstige Angelegenheit.
Auch die EZB könnte geködert werden. Finanzminister Schäuble will der Notenbank nach SPIEGEL-Informationen einen Kompromissvorschlag unterbreiten. Nach den Plänen seines Ministeriums wird die griechische Regierung im Rahmen eines zweiten Rettungspakets außer Hilfszahlungen von 90 bis 120 Milliarden Euro auch Anleihen des europäischen Rettungsschirms EFSF erhalten. Diese soll sie an heimische Banken weiterreichen, die die Papiere als Sicherheiten für ihre Geldausstattung bei der EZB hinterlegen können. Eine Art doppelter Boden gewissermaßen.
Wie verlaufen auf deutscher Ebene die Fronten?
Für die Kanzlerin ist die Griechen-Krise die bisher wohl härteste Bewährungsprobe. Die Frage nach dem richtigen Kurs spaltet nicht nur Regierung und Opposition, sondern auch die schwarz-gelbe Koalition selbst. Kern des Konflikts ist das mögliche zweite Hilfspaket für die Hellenen, über das der Bundestag voraussichtlich im Herbst abstimmen wird. Vor allem die Liberalen quält die Aussicht, dass wohl abermals der Steuerzahler für den maroden südeuropäischen Staat aufkommen muss.
Nur mit viel Überzeugungsarbeit konnten Merkel und Finanzminister Schäuble zuletzt die eigenen Reihen einigermaßen schließen. In einem Entschließungsantrag hatten Union und FDP vergangene Woche beschlossen, neue Milliardenhilfen nur im Falle einer "angemessenen" Beteiligung des Privatsektors mitzutragen. Weil die Kanzlerin sich mit Frankreichs Präsident Sarkozy aber nur auf eine freiwillige Lösung einigte, droht neuer Ärger. Manche aus den eigenen Reihen werfen ihr vor, hinter den Entschließungsantrag zurückgefallen - und auf die Märkte reingefallen zu sein. "Das ist nicht die Gläubigerbeteiligung, die der Bundestag gefordert hat", kritisiert Frank Schäffler, Finanzpolitiker der FDP, im SPIEGEL. Und CSU-Chef Horst Seehofer mahnt: "Mir sagen Experten seit einem Jahr, dass eine Umschuldung Griechenlands nötig ist. Jetzt ist die Zeit für den Beginn einer Beteiligung privater Gläubiger gekommen."
Der innerkoalitionäre Streit bietet der Opposition reichlich Angriffsfläche. Dort hält man im Falle einer Bundestags-Abstimmung im Herbst gar ein Ende von Merkels Regierung für möglich. Die Europa- und Finanzpolitik sei "die Sollbruchstelle" der schwarz-gelben Bundesregierung, sagt der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann. "Wenn die Kanzlerin bei der Abstimmung über neue Griechenland-Hilfen im Bundestag keine eigene Mehrheit mehr hat, ist Merkel gescheitert. Dann ist die einzige Antwort darauf: Wir brauchen Neuwahlen."
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