Schuldenkrise in Athen Der Griechenland-Fluch
Die Krise in Griechenland will einfach kein Ende nehmen: Kurz vor dem EU-Gipfel sorgt Athens dramatische Lage für Nervosität in der Bundesregierung. Kanzlerin und FDP wollen nichts von zusätzlichen Hilfen wissen - aber können sie die harte Linie wirklich durchhalten?
Berlin/London - Es ist wie so oft in den vergangenen Monaten: Der sensibelste Punkt soll mal wieder ausgeklammert werden. Wenn die europäischen Staats- und Regierungschefs am Montag in Brüssel zusammenkommen, um über die Schuldenkrise zu beraten, soll über Wirtschaftshilfen diskutiert und der sogenannte Fiskalpakt beschlossen werden. Die Lage in Griechenland steht nicht auf dem Programm.
Offiziell jedenfalls.
Doch nach Lesart vieler Beobachter werden die Staatenlenker nicht umhinkommen, sich auch mit Athen zu befassen. Schon wird über eine Sondersitzung am Montagabend spekuliert. Die neusten Nachrichten zur Situation in Griechenland sind ernüchternd: Die Lage, so schildert es EU-Währungskommissar Olli Rehn, habe sich noch mal verschlimmert. Die geplanten Notmaßnahmen - Gläubigerbeteiligung und Rettungshilfen in Höhe von 130 Milliarden Euro - reichten nicht aus, um das Land aus der Krise zu führen. Heißt im Klartext: Athen braucht mehr Geld. Wieder einmal.
Die Botschaft aus Brüssel schreckt die Bundesregierung auf. Schon seit Tagen sieht sich die Koalition Forderungen ausgesetzt, den Euro-Rettungsschirm aufzustocken - und nun auch noch das. Es ist wie ein Fluch. Die Griechenland-Krise will einfach kein Ende nehmen.
Ungewöhnlich deutlich ließ die Kanzlerin am Freitag den Währungskommissar zurechtweisen. Spekulationen über neue Hilfen machten derzeit keinen Sinn. "Sie sind eigentlich eher geeignet, Verunsicherung zu schüren", kritisierte Angela Merkels Sprecher Steffen Seibert. Zunächst gelte es, den nächsten Bericht der "Troika" aus Internationalem Währungsfonds, EU und Europäischer Zentralbank abzuwarten. Auch Außenminister Guido Westerwelle (FDP) zeigte sich irritiert. "Ich halte nichts davon, dass wir bei jeder politischen Veranstaltung jedes Mal neue große Milliardenbeträge ins Schaufenster legen", stichelte er Richtung Brüssel.
Debatte ist Gefahr für Schwarz-Gelb
Hinter dem Rüffel stecken mehrere Gründe. Zum einen fürchtet die Bundesregierung, dass Gerüchte um neue Hilfen für Athen und eine Aufstockung des Rettungsfonds bei den Märkten den Eindruck entstehen lassen könnten, als hielten die Regierungschefs ihre im vergangenen Jahr beschlossenen Maßnahmen selbst schon wieder für überholt. Zudem hat man in Union und FDP die Sorge, dass eine vorauseilende Zusage für weitere Finanzspritzen Griechenland vom Spardruck befreie. Dass trotz der milliardenschweren Rettungspakete die Reformen stocken, sorgt für Ärger. "Der Druck auf Griechenland muss größer werden", fordert Unions-Fraktionschef Volker Kauder. Athen müsse klargemacht werden: "Geld gibt es nur, wenn das Land straff geführt wird."
Es sind markige Worte, die freilich auch innenpolitisch motiviert sind. Eine Debatte über eine Ausweitung der Griechenland-Hilfen können Union und FDP nicht gebrauchen. Im Saarland und in Schleswig-Holstein stehen wichtige Landtagswahlen an. Sollte sich herausstellen, dass in Sachen Griechenland erneut nachgebessert werden muss, obwohl die Bundesregierung dies bislang stets ausgeschlossen hatte, stünde Schwarz-Gelb blamiert da. Zu oft schon ist im Verlauf der Rettungsbemühungen der Eindruck entstanden, als sperre sich die Koalition gegen etwas, das eigentlich unabwendbar ist.
Diesmal scheint man sich ein Hintertürchen offen lassen zu wollen. Ob die Ausweitung des Euro-Rettungsfonds oder die Aufstockung der Griechenland-Bürgschaften - stets garnieren Merkel und Co. ihre Kritik mit feinen Einschränkungen. "Gegenwärtig", "im Augenblick", "derzeit" stünde die Frage eines stärkeren deutschen Engagements nicht an, betonen die Spitzen von Union und FDP. Das lässt genügend Spielraum.
Tatsächlich ist höchst unklar, ob sich der harte Kurs durchhalten lässt. Auch in der Koalition ist man sich bewusst, dass das Risiko groß wäre, Athen im Zweifel im Regen stehen zu lassen. Zu unkalkulierbar wäre eine Pleite, zu unvorhersehbar die Folgen eines möglichen Ausscheidens Griechenlands aus der Euro-Zone. Und auch eine Aufstockung des Euro-Rettungsschirms ESM ist noch lange nicht verhindert. Beim letzten Krisengipfel Anfang Dezember hatten die Staats- und Regierungschefs vereinbart, im März zu überprüfen, ob die Mittel für den ESM ausreichen. Die Obergrenze von 500 Milliarden Euro könnte dann erneut diskutiert werden.
Merkel spricht neuerdings von Wachstumsimpulsen
Die Erwartungshaltung in Brüssel scheint täglich zu wachsen. Dass das an Berlin nicht spurlos vorübergeht, zeigt sich auch an anderer Stelle. Überraschend setzte die Kanzlerin in dieser Woche ein neues Thema auf die Tagesordnung des EU-Gipfels. In einem Interview mit mehreren europäischen Zeitungen kündigte Merkel an, dass der Gipfel vor allem über Arbeitsplätze und Wachstum debattieren werde. Sparen allein reiche nicht, um die Krise zu überwinden. Auch die Konjunktur in den Krisenländern müsse angeschoben werden.
Das ist ein neuer Akzent, denn gerade die Kanzlerin war bislang vor allem als oberste Haushaltspolizistin aufgefallen. Offensichtlich hat die internationale Kritik eine gewisse Wirkung gezeigt. Zuletzt hatte selbst der IWF gewarnt, dass zu viel Austerität die Krise in Europas Süden verschlimmern werde. Auch die Weltbank hatte von Europa ein Konjunkturprogramm gefordert.
Jetzt fordert Ratspräsident Herman Van Rompuy in seinem Einladungsschreiben zum EU-Gipfel plötzlich "sofortiges Handeln" - gegen Jugendarbeitslosigkeit, Hilfen für kleine Unternehmen, Strukturreformen am Arbeitsmarkt und Maßnahmen für Bürokratieabbau. Und kostenneutral soll das Ganze natürlich auch sein: Das Geld soll aus bestehenden EU-Töpfen kommen. Ungenutzte Milliarden aus Strukturfonds und Sozialfonds sollen in den Krisenländern zielgerichteter eingesetzt werden, um Wachstum und Arbeitsplätze zu schaffen.
Prompt legte die EU-Kommission Einspruch ein. Es sei kaum freies Geld in den EU-Fonds verfügbar, sagte EU-Regionalkommissar Johannes Hahn der "Süddeutschen Zeitung". Es sei eine "Fehleinschätzung", dass die Mittel nicht genutzt würden. Damit droht Merkels Vorstoß zu verpuffen. Manch einer in Brüssel mutmaßt ohnehin, dass es sich bei dem Vorschlag der Kanzlerin vor allem um ein Ablenkungsmanöver handelte, um nicht über die unangenehmen Fragen sprechen zu müssen.
Die Aufstockung des Rettungsschirms etwa. Oder eben neue Bürgschaften für Athen.