Schwacher Spendenstrom Koalition der Geizigen
Berlin - Hilfsorganisationen haben Flüchtlingslager aufgebaut, Medikamente, Nahrungsmittel, Decken eingekauft, Personal und Anlagen zur Wasseraufbereitung in die Region gebracht. Aber es kommt kaum Geld rein. Bei den Hilfsorganisationen kursieren zwei Erklärungen für die Spenden-Ebbe: Für die einen ist die Not der Zivilbevölkerung noch nicht sichtbar genug. Andere vermuten, dass die Menschen grundsätzlich bei Kriegen nicht spenden, schon gar nicht wenn sie dagegen eingestellt sind. Sie haben dann das Gefühl, den Krieg zu unterstützen.
Der Irak-Krieg hemmt die Spendenbereitschaft der Deutschen. "Die Spendenwilligen sind verunsichert", sagte der Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Sozialmarketing, Thomas Röhr, am Dienstag in Magdeburg mit Blick auf den unklaren Verlauf des Krieges. Auch die wirtschaftliche Lage trage zur Verunsicherung bei.
"Im Gegensatz zu Naturkatastrophen spenden die Leute ungern bei Kriegen", sagt Lübbo Roewer, Sprecher des Deutschen Roten Kreuzes (DRK). Viele würden sich fragen: "Warum sollen wir dafür zahlen, was die Amerikaner zerbomben", erzählt der DRK-Mitarbeiter. Frontbilder bewegen die Herzen, öffnen aber nicht die Geldbörsen. "Es fehlen eindringliche Bilder der leidenden Zivilbevölkerung", begründet Helga Kuhn von Unicef die Spendenflaute.
Peanuts für große Probleme
Die Aktion "Deutschland hilft" als Zusammenschluss von neun karitativen Organisationen konnte bis Ende vergangener Woche gerade mal 70.000 Euro einnehmen. Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen sammelte bis zum gleichen Zeitpunkt in Deutschland 100.000 Euro. Die Welthungerhilfe vergleicht solche Zahlen mit einem "durchschnittlichen Spendenmonat März - ohne Naturkatastrophen". Alles in allem eine äußerst geringe Summe angesichts von rund 2,2 Milliarden Euro, die Deutsche jährlich spenden. Als vergangenen Sommer in Deutschland die Flut kam, sprudelten auch die Gelder: Bis zu zehn Millionen Euro, Tag für Tag.
Kriege machen Spender misstrauisch und vorsichtig. "Für Afghanistan wurden seit Herbst 2001 rund drei Millionen Euro gespendet - das ist verhältnismäßig wenig", klagt das DRK. "Spenden hat etwas mit Emotionen zu tun", erklärt Herbert Röhrig, Vorsitzender der "Aktion Deutschland hilft". Noch zeigten die Fernseh- und Zeitungsbilder meist einen ,sauberen Krieg': "Wir sehen Explosionen, aber kaum die Menschen, die davon getroffen werden." Wenn sich die Bilder ändern, wenn mehr Opfer zu sehen sind, gehe üblicherweise auch mehr Geld bei den Hilfswerken ein.
Doch davon ist nicht jeder überzeugt. Der Chefredakteur des Fachmagazins "Fundraising" sieht "schlechte Motivation" bei den potenziellen Geldgebern. "Viele denken: Wer den Krieg begonnen hat, soll ihn bezahlen", sagt Christoph Müllerleile. Nicht der Beginn des Krieges, sondern der Flüchtlingsströme markiert erfahrungsgemäß Spenden-Wellen", sagt Iris Schöninger von der Welthungerhilfe. Aber genau dieses zyklische Verhalten ist für viele Hilfsorganisationen ein Problem.
"Wir brauchen die Spenden jetzt", sagte TV-Moderatorin Sabine Christiansen am Dienstag, die für Unicef wirbt. Auch wenn bis heute keine Flüchtlingsströme an den Grenzen aufgetaucht seien, gebe es keinen Grund für Entwarnung, sagt auch Stefan Telöken, Sprecher von UNHCR Deutschland. Viele Iraker würden von der Flucht abgehalten, hätten sich für die erste Zeit des Krieges mit Vorräten eingedeckt oder befürchteten, auf dem Fluchtweg für Soldaten gehalten und angegriffen zu werden. Auch müssten bis zur Grenze 500 bis 600 Kilometer durch die Wüste zurückgelegt werden.
Die Gefahr einer Katastrophe für die Menschen in Irak ist nicht gebannt, nur weil sie noch nicht zu sehen ist. Bundesregierung und deutsche Hilfsorganisationen wiesen in Berlin darauf hin, dass die Vorräte der Iraker zu Ende gehen und Hilfslieferungen kaum ins Land kommen. Der Krieg in Irak wird nach UN-Angaben vor allem für Kinder mit jedem Tag zu einer größeren Lebensbedrohung. Ohne massive Hilfe könnten viele Kinder und schwangere Frauen den Krieg nicht überleben, warnte der Leiter des Irak-Programms des UN-Kinderhilfswerks, Carel de Rooy, am Dienstag in Berlin. Die vor dem Krieg von den Hilfsorganisationen verteilten Lebensmittel und Medikamente in Irak reichten schätzungsweise nur für vier Wochen.
Helfer suchen Unabhängigkeit
Neben dem schwachen Spendenstrom haben die Hilfsorganisationen aber noch andere gravierende Probleme. De Rooy beklagte, dass es wegen der Luftangriffe der US-geführten Streitkräfte auf Bagdad jetzt auch am Tag für Hilfsorganisationen immer schwerer werde, sich zu bewegen. Unicef hat 200 Mitarbeiter in Irak, davon 60 in Bagdad. Die Organisation arbeitet laut De Rooy nicht mit dem US-Militär zusammen, da sie über eigene hohe Sicherheitsstandards verfüge. Außerdem darf die humanitäre Hilfe nach Ansicht von Unicef nicht unter Leitung des Militärs stehen, da die Streitkräfte weder neutral seien noch die nötige Professionalität für die Verteilung besäßen.
Die Bilder von Massen, die LKW mit Hilfslieferungen stürmen, sind in den Augen einiger Helfer inszenierte Aktionen, die die USA als Befreier einer hungernden Bevölkerung erscheinen lassen sollen. Mit durchorganisierter Hilfe habe das nichts zu tun, bei einem solchen Verteilverfahren herrscht das Gesetz des Stärkeren.
Die Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Kerstin Müller, forderte am Dienstag deshalb ebenfalls, dass die humanitäre Hilfe in Irak unabhängig von den Kriegsparteien geleistet werden müsse. Wie andere Hilfsorganisationen auch, lehnt es die Deutsche Welthungerhilfe ab, Hilfe nur mit einer von den Militärbehörden erteilten Genehmigung zu leisten. Hilfe für Hungernde und Flüchtlinge müsse von den Vereinten Nationen koordiniert werden, verlangt Generalsekretär Hans-Joachim Preuß.
US-Militär überwacht die Helfer
Organisationen, die von Kuweit aus Hilfe in Irak leisten möchten, brauchen eine Genehmigung und Ausweise des sogenannten Humanitarian Operation Center, einer in Kuweit ansässigen gemeinsamen Einrichtung des US-Verteidigungsministeriums und der kuweitischen Regierung. Die erzwungene Zusammenarbeit mit militärischen Stellen verletze den Grundsatz, dass Hilfe "strikt neutral sein und auf zivilen Wegen koordiniert und geleistet" werden müsse, sagt Preuß.
Die Schweiz hat für kommenden Mittwoch Vertreter von 30 Ländern und 15 internationalen Organisationen zu Beratungen über die humanitäre Notlage in Irak nach Genf eingeladen. Auch die USA haben ihre Teilnahme zugesagt. Ein Thema soll der dringende Spendenaufruf der Vereinten Nationen für zusätzliche Hilfe im Umfang von 2,2 Milliarden Dollar und die Koordination der Hilfe sein. Denn neben den privaten Spenden, beteiligen sich auch Staaten mit Geld an der Irak-Hilfe. Und zumindest auf der Ebene ist Deutschland Mitglied in der Koalition der Willigen: Mit einem Beitrag von 50 Millionen Euro für humanitäre Hilfe in Irak ist die Bundesregierung der drittgrößte Geber nach den USA und Großbritannien. "Auch wenn die Bundesregierung den Krieg für falsch hält, so hat Deutschland doch die Pflicht, den Menschen in Irak zu helfen", sagte Kerstin Müller am Dienstag. Ein Vorbild, auch für private Spenden, hofft sie.