Streit über Paragraf 218 Sind Abtreibungen bald nicht mehr strafbar?

Die Ampel überlegt, den Schwangerschaftsabbruch aus dem Strafgesetzbuch zu streichen. Eine Kommission soll in Kürze die Entkriminalisierung durchspielen. Nun stehen nach SPIEGEL-Informationen deren Mitglieder fest.
Spruchband auf einer Demonstration gegen den Paragrafen 218 des Strafgesetzbuches, im Mai 2021 in Frankfurt am Main

Spruchband auf einer Demonstration gegen den Paragrafen 218 des Strafgesetzbuches, im Mai 2021 in Frankfurt am Main

Foto: Christoph Hardt / Future Image / IMAGO

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Es dürfte eine der größten gesellschaftspolitischen Debatten dieser Legislaturperiode werden: Die Ampelkoalition hat sich vorgenommen, »Regulierungen für den Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuchs« zu prüfen. So steht es im Koalitionsvertrag.

Für diese Prüfung soll eine Kommission eingesetzt werden, deren 18 Mitglieder nun nach SPIEGEL-Informationen feststehen, darunter verschiedene Juristen und Medizinethikerinnen.

Minister Lauterbach

Minister Lauterbach

Foto: IMAGO/Jens Schicke

»Gerade die politische Entscheidung komplexer ethischer Fragen braucht eine gute wissenschaftliche Basis«, so Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zum SPIEGEL. Er sei sehr dankbar, dass sich 18 »hochdekorierte« Expertinnen und Experten bereit erklären hätten, in der »Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin« mitzuwirken.

»Es geht um äußerst schwierige Fragen: ob ein Schwangerschaftsabbruch auch außerhalb der jetzt geltenden Gesetze möglich sein soll, ob Eizellspenden legalisiert werden und ob wir Leihmutterschaft erlauben«, sagte Lauterbach. Ihm sei bewusst, dass damit eine emotionsgeladene Diskussion angestoßen werde. »Alle Seiten dabei mitzunehmen und dann zu einem gesellschaftlich respektierten Konsens zu kommen, ist das Ziel dieses Prozesses.«

Kann Streichung vor dem Verfassungsgericht bestehen?

Unter den Mitgliedern ist etwa die Vorsitzende des Deutschen Juristinnenbundes, Maria Wersig. Ihr Verein hatte bereits ein Gutachten erstellt, in dem die Juristinnen feststellen, wie der Paragraf 218 aus dem Strafgesetzbuch gestrichen werden könnte und anmerken, wie rückschrittlich das deutsche Recht in diesem Punkt ist.

Andere Juristen bezweifeln, ob eine Streichung des Paragrafen vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand hätte. Diese Zweifel bringt etwa immer wieder FDP-Justizminister Marco Buschmann vor.

In der Union ist man über das Vorhaben allgemein entsetzt: Die CSU hatte bereits angekündigt, im Falle einer Streichung des Paragrafen vor das Verfassungsgericht zu ziehen. Das hatte zuletzt 1993 in der Sache geurteilt.

Nach Paragraf 218 Strafgesetzbuch sind Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland verboten. Erfolgen sie innerhalb der vorgegebenen Fristenregelung und unter Vorlage eines Beratungsscheins, sind sie allerdings straffrei.

Straffrei sind sie auch dann, wenn das Leben der Schwangeren bedroht ist oder nach einer Vergewaltigung. Diese Regelung war maßgeblich durch Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts geprägt worden.

Zu Beginn des Jahres hatte Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) einen Vorstoß gemacht, den Paragrafen 218 abschaffen zu wollen. Die Einsetzung der im Koalitionsvertrag vereinbarten Kommission verzögerte sich allerdings. Ursprünglich hatte man sich wohl Ende Februar zu einer konstituierenden Sitzung treffen wollen.

Einen Termin für ein erstes Treffen gibt es auch jetzt wohl noch nicht, heißt es. Im Hintergrund war von Terminschwierigkeiten die Rede. Es dürfte sicher auch die Prioritätensetzung in den verschiedenen Ministerien eine Rolle gespielt haben. Der juristischen Argumentation Buschmanns dürfte die Tatsache Vorschub leisten, dass die FDP deutlich konservativere Wähler ansprechen will als die Grünen.

Eine der eher konservativeren Stimmen in der Kommission ist die Medizinethikerin Christiane Woopen, die bis 2007 Mitglied im Verein »donum vitae zur Förderung des Schutzes des menschlichen Lebens e. V.« war, der Schwangerschaftskonfliktberatungen mit christlichem Hintergrund anbietet. Woopen leitete auch schon den Deutschen Ethikrat und hat sich bereits im Auftrag der Bundesärztekammer mit Schwangerschaftsabbrüchen und Pränataldiagnostik auseinandergesetzt.

219a abzuschaffen war einfach

Die Ampelregierung hatte zu Beginn der Legislatur bereits einen anderen Paragrafen aus dem Strafgesetzbuch getilgt: Der Paragraf 219a hatte Ärztinnen und Ärzte verboten, darüber zu informieren, dass sie Abbrüche durchführen. Inzwischen dürfen sie darüber Auskunft geben.

Die Verfassungsrechtlerin Frauke Brosius-Gersdorf, nun ebenfalls Mitglied der künftigen Kommission, hatte 219a in einem Gutachten schon 2020 für verfassungswidrig erklärt. Damals ging es konkret um den Fall der Ärztin Kristina Hänel .

Das Vorhaben um 219a war ein schneller Erfolg der Ampel, die damit die gesellschaftspolitischen Unterschiede zur Vorgängerkoalition deutlich machen konnte. In der Großen Koalition hatte es noch ein Ringen um den Paragrafen gegeben. In der SPD wollte man ihn gern abgeschafft sehen, die Union konnte diesen Schritt kaum mitgehen.

Stattdessen gestattete der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) eine Liste bei der Bundesärztekammer, auf der sich Ärztinnen und Ärzte, die Abtreibungen durchführen, eintragen konnten. Damit schien ihm der Informationsbedarf um das Thema gedeckt. Zusätzlich ließ er eine viel kritisierte Studie zu den psychischen Folgen von Abbrüchen aufsetzen, deren Ergebnisse sein Nachfolger Karl Lauterbach wohl diesen Sommer entgegennehmen darf.

Das Thema Paragraf 218 dürfte gesellschaftliche Gräben aufreißen, die mit der Fristenregelung zugeschüttet wurden. Ein Jahr lang soll die Kommission tagen. Die Kommissionsarbeit entbindet die Ampelregierung nicht davon, andere Probleme rund um das Thema Abtreibungen anzugehen.

So will Ministerin Paus etwa ein Gesetz gegen die »Gehsteigbelästigung« vor den Abbruchpraxen erlassen. Immer wieder stehen sogenannte Lebensschützer vor den Eingängen zu den Ärztinnen und Ärzten und versuchen Frauen einzuschüchtern. Die Lobby dieser Aktivisten wächst, während es zeitgleich immer weniger Ärztinnen und Ärzte gibt, die Abbrüche durchführen.

Auch hier kann sich die Ampelregierung kümmern, indem sie die Versorgungslage verbessert. Lauterbach könnte etwa die ärztliche Ausbildung anpassen oder Krankenhäusern vorschreiben, Abbrüche anbieten zu müssen. Das alles ginge ganz ohne Kommission.

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