
Wulff-Nachfolge: Zerreißprobe für Schwarz-Gelb
Schwarz-Gelb nach Gauck-Nominierung Angriff von innen
Berlin - "Foulspiel", "dicker Hammer", "stilloses Verhalten", ein "klarer Affront" - das sind nur einige verbale Giftpfeile, die am Montag aus dem Führungszirkel der Union nach außen dringen. Adressat ist die FDP: Die Unionsspitze ist nach dem Kür-Krimi um den künftigen Bundespräsidenten Joachim Gauck entsetzt über den überraschenden Alleingang ihres Koalitionspartners.
Die Kanzlerin, so viel ist klar, wurde von der Solo-Entscheidung der Liberalen, den ehemaligen DDR-Bürgerrechtler zu unterstützen, kalt erwischt. Eigentlich hatte sich Angela Merkel jegliche parteitaktischen Spielchen in der heiklen Personalfrage verbeten. Ausgerechnet ihr Koalitionspartner machte dann aus der Suche nach einem Wulff-Nachfolger eine Machtprobe - und aus der Regierungschefin eine Getriebene. Das wirkt nach.
Der Angriff von innen hat das Vertrauen im ohnehin maroden Bündnis nachhaltig gestört. Führende Unionspolitiker drohen offen mit Konsequenzen für die weitere Zusammenarbeit. CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach ätzte: "Man sieht sich im Leben immer zweimal." Andere sagen hinter vorgehaltener Hand, dass man nun keine Rücksicht mehr auf die Befindlichkeiten der FDP nehmen werde. Zwar versucht die Parteispitze der Union, den Eindruck von Geschlossenheit zu wahren. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe riet dazu, "nicht öffentlich nachzukarten". Das CSU-Präsidium segnete die Entscheidung für Gauck einstimmig ab, Parteichef Horst Seehofer schrieb auf Facebook: "War ein hartes Wochenende. Bin froh, dass wir einen guten Bundespräsidenten gefunden haben." Doch der Schaden ist angerichtet.
Döring: "Bewiesen, dass wir auf Risiko setzen können"
Aus Sicht vieler Christdemokraten ist die FDP mit ihrem Gauck-Manöver endgültig zum unberechenbaren Faktor in der Koalition geworden. Gut anderthalb Jahre vor der nächsten Bundestagswahl wächst in der Union die Furcht davor, die Liberalen könnten die Präsidenten-Kür als Blaupause für ihre künftige Rolle in der Koalition verstehen. Einst waren die Freidemokraten mit ihrem zweistelligen Wahlergebnis stolzer Königsmacher. Jetzt sind sie Mitregierende am Rande des politischen Existenzminimums, die offensichtlich alles dafür tun würden, um nicht unter die Räder zu geraten - so sehen es nicht wenige in den Reihen des Koalitionspartners. War der Sonntag womöglich nur der Anfang einer Reihe machtpolitischer Provokationen?
Das neue Auftreten der Liberalen schürt in der Union Misstrauen. Die FDP konnte es sich am Montag nicht verkneifen, ihre Rolle im Kandidatenkarussell genüsslich hervorzuheben. "Wir haben in der Koalition bewiesen, dass wir auf Risiko gehen können, wenn wir von einer Sache überzeugt sind", sagte FDP-Generalsekretär Patrick Döring. Man muss wieder mit uns rechnen, so die verklausulierte Botschaft.
Anlässe, sich auf Kosten des Koalitionsfriedens zu profilieren, gibt es in nächster Zeit genug. Die Landtagswahlen im Saarland und Schleswig-Holstein stehen vor der Tür. Und Schwarz-Gelb steht vor wichtigen Aufgaben. Bald muss wieder über milliardenschwere Griechenland-Hilfen beraten werden, die Etat-Planung für 2013 steht ebenso auf dem Programm wie die Energiewende. Schon seit längerem schwelt der Streit um die Solarförderung und die Vorratsdatenspeicherung. Auch die Pflegereform, die eigentlich das Prestigeprojekt des Gesundheitsministers werden sollte, muss noch durchs Kabinett. Die kommenden Monate, das schwant manchem Christdemokraten, könnten schwieriger denn je werden. Und die Aussichten der Kanzlerin für 2013 könnten sich entsprechend verdüstern.
Starthilfe für Rot-Grün
Besonders ärgerlich aus Unionssicht: Der Gauck-Poker hat sich nicht nur als Aufbauprogramm für die FDP erwiesen, sondern gleichermaßen für Rot-Grün, jedenfalls vorerst. Angesichts der erstaunlichen Stärke Merkels war bei SPD und Grünen zuletzt die Zuversicht geschwunden, die Kanzlerin 2013 ablösen zu können. Nun schöpft man neuen Mut. Grüne und Sozialdemokraten lästern über den Zustand der Koalition und schmücken sich mit Gauck, nicht allzu offensiv, aber doch wahrnehmbar. "Gauck war der Kandidat von Rot-Grün", frohlockt SPD-Chef Sigmar Gabriel. 2010 habe Schwarz-Gelb ihn nicht gewollt. "Wir freuen uns, dass die Regierung diesen Fehler nun revidieren will."

Joachim Gauck: Der Demokratielehrer
Die Personalie Gauck, so das Kalkül der rot-grünen Strategen, soll die Parteienlandschaft ruhig ein bisschen in Unordnung bringen. In Wahlkampfzeiten kann das nicht schaden. Die Theorien, 2013 könne die FDP die Seiten wechseln und Merkel gemeinsam mit Rot-Grün per Ampelkoalition aus dem Kanzleramt jagen, machen schon die Runde.
Für solche Prophezeiungen ist es reichlich früh, keine Frage. Aber auch auf Unionsseite hegt seit Sonntag mancher den Verdacht, das heikle Gauck-Manöver sei in Wahrheit der Versuch der FDP gewesen, die Fühler schon mal in Richtung Opposition auszustrecken, um im Zweifel auch noch eine andere Option zu haben als Schwarz-Gelb. Dass die Spitzen von Roten, Grünen und Gelben am Sonntag recht eng in Kontakt standen und Gauck sich am Ende auch von dem Dreierbündnis zum Präsidenten hätte wählen lassen, ist den Christdemokraten jedenfalls nicht verborgen geblieben. Diese Aussicht dürfte der Union am Sonntagabend die Sinnlosigkeit des weiteren Widerstands erst vor Augen geführt haben. Und so erklärt es sich, dass in CDU und CSU sogar vom Verrat die Rede ist, von einem heimlichen Pakt mit Rot-Grün.
Einziger Trost aus Unionssicht: Wer weiß, ob Sozialdemokraten und Grüne wirklich so viel mit einem Bundespräsidenten Joachim Gauck werden anfangen können. Der Freiheitsprediger ist bei weitem nicht so unumstritten in den eigenen Reihen, wie Gabriel und seine grünen Amtskollegen das öffentlich gerne darstellen. Seine teils erzkonservative Haltung in sozial- und integrationspolitischen Fragen ist alles andere als anschlussfähig an die rot-grüne Programmatik. Die Differenzen zu seinen "Erfindern" dürften in Gaucks Amtszeit des öfteren zu Tage treten.
Allerdings - neues Vertrauen in der schwarz-gelben Koalition schafft das noch lange nicht.