Schwarz-gelbe Atompolitik Kehrtwende mit Restrisiko
Berlin - Die Kanzlerin zeigte sich demonstrativ entschlossen: "Und ich sage ganz deutlich: Es gibt bei dieser Sicherheitsprüfung keine Tabus. Genau aus diesem Grund werden wir die erst kürzlich beschlossene Verlängerung der Laufzeiten der deutschen aussetzen. Und dies ist ein Moratorium, und dieses Moratorium gilt für drei Monate."
Mit diesen Worten vollzog am Montag beim Auftritt in der Berliner Regierungszentrale den ersten Schritt ihrer atompolitischen Kehrtwende. Der zweite folgte tags darauf: Sieben Altmeiler würden für die Zeit des Moratoriums für einen eingehenden Sicherheitscheck abgeschaltet - per "staatlicher Anordnung", wie es Merkel ausdrückte.
Klang überzeugend. Ist es aber nicht.
Denn nur einen Tag später erscheint Merkels nuklearer Notstopp nicht mehr ganz so wasserdicht. Erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Moratoriums und der Abschalt-Anordnung regen sich nicht nur in der Opposition. Auch in den eigenen Reihen haben sich notorische Mahner wie Bundestagpräsident Norbert Lammert zu Wort gemeldet, die meinen, das Parlament müsse einbezogen werden.
Die hält das nicht für notwendig. Dennoch hat man die kategorische Wortwahl vom Montag inzwischen relativiert. Von einer Aussetzung der Laufzeitverlängerung will jedenfalls niemand mehr etwas wissen. Man habe mit dem Moratorium eine "politische Aussage" getroffen, verteidigt sich Merkel im TV-Sender RTL. "Spitzfindig" nennt sie die rechtliche Diskussion darüber am Abend bei einem Wahlkampfauftritt in Baden-Württemberg.
Merkel wähnt sich für die Abschalt-Anordnung auf der sicheren Seite: Sie beruft sich auf den Gefahrenabwehrparagrafen des Atomgesetzes, nach dem AKW in Notlagen vorübergehend oder ganz stillgelegt werden können. "Die Länder haben jetzt einfach veranlasst, dass hier die älteren sieben Kernkraftwerke stillgelegt werden für den Zeitraum von drei Monaten, und damit bedarf es keiner Befassung des Deutschen Bundestages, weil es ein bestehendes und vom Deutschen Bundestag beschlossenes Gesetz ist."
Die gemäß den Atomgesetznovellen der schwarz-gelben Koalition gilt also weiter. Das heißt aber auch, dass sich die Kraftwerksbetreiber gegen die Abschalt-Anordnung rechtlich zur Wehr setzen könnten. Der Energiekonzern RWE kündigte am Mittwoch bereits an, die vorübergehende Stilllegung des Kernkraftwerks Biblis rechtlich prüfen zu lassen. Experten räumen einer Klage gute Chancen ein.
Dazu kommt: RWE, E.on und Co. könnten die Restlaufzeiten alter Meiler, denen nach dem Moratorium - wie derzeit bereits absehbar - die endgültige Stilllegung droht, auf jüngere Meiler übertragen. Das werde nicht genehmigt, betonte Merkel noch am Montag. Nur: Einer Genehmigung bedarf es gar nicht. Die Energieversorger müssten die Übertragung von einer stillgelegten Anlage dem Gesetz zufolge den zuständigen Aufsichtsbehörden nur mitteilen, heißt es im Gesetz. Darauf angesprochen widerspricht Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) dem nicht. Er sagt nur: "Ich halte das für abwegig." Man hofft auf den guten Willen der Konzerne.
Murren bei den Koalitionsabgeordneten
Röttgen prescht am Mittwoch mit sehr konkreten Vorstellungen über die künftige AKW-Landschaft vor. "Wenn's nach mir ginge, müssten wir schneller als beschlossen aus der Kernenergie aussteigen", sagt er dem "Stern". Keine Laufzeitverlängerung für die älteren Meiler, eine neue Debatte über die jüngeren - "zehn bis 15 Jahre" gibt der CDU-Vize der Atomkraft in Deutschland noch, bis maximal 2026 also. Das ist ziemlich nah dran am einstigen finalen Ausstiegstermin von Rot-Grün.
Mit solchen forschen Sätzen provoziert Röttgen viele in der Union, die sich mit der radikalen Atomwende der Kanzlerin ohnehin schwertun. Da mussten sich die Koalitionäre über Monate von den Atomkraftgegnern für die Laufzeitverlängerung prügeln lassen. Und nach den dramatischen Ereignissen in Japan sollen sie nun glaubwürdig die Schnell-Abschaltung von sieben Meilern vertreten.
Deutlich vernehmbar war das Murren über die rasante Kurskorrektur am Dienstagnachmittag in der Sitzung der Unionsfraktion. Repräsentativ für zahlreiche mahnende Stimmen zitierten Teilnehmer den CDU-Abgeordneten Thomas Jarzombek. Der verwies darauf, dass er einst auch in die Junge Union eintrat, weil diese sich klar für die Nutzung der Atomenergie einsetzte. Nun tue er sich schwer mit dem eingeleiteten "Paradigmenwechsel".
"Alter Käse"?
Das gilt auch für , den Chef der Unionsfraktion, der sich stets besonders offensiv für längere AKW-Laufzeiten einsetzte. "Ergebnisoffen" müsse die Diskussion während des Moratoriums nun sein, forderte er vor den Abgeordneten, man dürfe sich jetzt nicht gegenseitig überfordern. Die Töne Röttgens, zu dem Kauder ohnehin kein besonders gutes Verhältnis pflegt, fallen für ihn in genau diese Kategorie.
Als Atom-Vorkämpferin hat sich auch die CSU über Jahrzehnte geriert. Nun zeichnet sich dort ein Generationenkonflikt ab: Die Jüngeren in München und Berlin haben sich schnell auf die neue Lage eingestellt, stehen hinter dem Kurs von Merkel und Röttgen. "Japan verändert alles", gibt Bayerns Umweltminister Markus Söder den Ton vor.
Die Älteren hingegen, die seit den Achtzigern an den Info-Ständen den Kopf für die Risikotechnologie hinhalten, fühlen sich getäuscht. Ihnen verleiht Ex-CSU-Chef Erwin Huber eine Stimme: "Die Union darf nicht so tun, als wäre die Energiepolitik, die sie seit Jahrzehnten vertreten hat, plötzlich alter Käse."
Auch beim Koalitionspartner FDP erinnern sie sich noch an den letzten Wahlkampf, als sie sich auf der Straße als "Atomdeppen" beschimpfen lassen mussten, wie sich einer erinnert. Natürlich könne man nicht einfach zur Tagesordnung übergehen, sagt Martin Lindner, technologiepolitischer Sprecher der Fraktion. "Aber ich wende mich gegen diese Ad-hoc-Abschaltung von sieben Meilern." Er hätte von der Kanzlerin und ihrem Vize erwartet, die Fakten genauer gegeneinander abzuwägen. "Kühler Kopf und klare Führung sind gefragt", sagt Lindner.
Die Kanzlerin muss in den nächsten drei Monaten noch viel Überzeugungskraft leisten.