Schwarz-gelbe Reformpläne Liberale werben bei SPD für rasche Steuersenkung

FDP-Spitzenmänner Lindner, Rösler: "Konstruktive Gespräche" mit der SPD
Foto: dapdBerlin - Die Einigung auf eine rasche Steuerreform ist gerade erst durchgesickert - jetzt buhlt die Bundesregierung um die Zustimmung beim politischen Gegner. "Die Opposition und gerade die SPD sollten sich diesem Problem nicht verschließen. Die Sozialdemokraten müssen übertriebene oppositionelle Abwehrreflexe überwinden", sagte FDP-Generalsekretär Christian Lindner der Nachrichtenagentur dpa in Berlin.
Die schwarz-gelbe Koalition hatte am Mittwoch verlauten lassen, noch vor der Sommerpause Steuersenkungen in zweistelliger Milliardenhöhe auf den Weg bringen zu wollen. Für die angestrebte Entlastung von Arbeitnehmern mit unteren und mittleren Einkommen braucht die Regierung die Zustimmung der Länder. Union und FDP haben im Bundesrat aber keine Mehrheit. Deshalb will die FDP nun die SPD mit ins Boot holen. Lindner setzt darauf, dass sich insbesondere SPD-geführte Länder dem Gedanken, die Mittelschicht mit einer Dividende am Aufschwung zu beteiligen, nicht widersetzen werden. "Ich lade sie zu einer konstruktiven Diskussion ein, wie eine Entlastung der Mitte möglich wird", sagte er.
Die geplante Steuerreform der Koalition sei eine Frage der Gerechtigkeit. Der Fiskus kassiere von Lohnerhöhungen 55 Prozent. "Gegenwärtig profitiert der Staat stärker als die fleißige Mittelschicht in Deutschland. Hier wäre es nur gerecht, wenn wir Politiker auf einen Teil der zusätzlichen Steuereinnahmen zugunsten der Menschen verzichten würden", betonte Lindner. Er begrüßte, dass auch Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) Spielräume für Steuersenkungen sehe. "Jetzt muss über die weitere Konkretisierung gesprochen werden."
Die Grünen kündigten Widerstand gegen die Reformpläne an: "Die Ankündigung von Steuersenkungen noch in dieser Legislaturperiode ist töricht", sagte der Vize-Vorsitzende der Bundestagsfraktion, Fritz Kuhn, Handelsblatt Online. "Merkels Geschenk an die darbende FDP bedeutet den Abschied von jeglicher Seriosität in der Haushaltspolitik."
Kuhn begründete seine Ablehnung mit den finanzpolitischen Herausforderungen: "Die Umsetzung der Schuldenbremse, die gewaltigen Risiken im Zuge der Euro-Krise und nicht zuletzt die Finanzierung der Energiewende lassen keinen Spielraum für Steuersenkungen", sagte er.
Plötzlich soll alles ganz schnell gehen
Die Entlastung der Bürger soll auf einer Kabinettssitzung Anfang Juli offiziell verkündet werden. Regierungsinsidern zufolge wird mit einem Entlastungsbetrag von bis zu zehn Milliarden Euro kalkuliert.
Eine Einigung im Steuerstreit zwischen Union und FDP hatte sich bereits abgezeichnet: Regierungssprecher Steffen Seibert hatte zu Wochenbeginn angekündigt, dass mögliche Steuererleichterungen wahrscheinlich beim geplanten Koalitionstreffen vor der Sommerpause Thema sein würden. Koalitionskreise ließen am Dienstag gegenüber SPIEGEL ONLINE durchblicken, dass Kanzlerin Angela Merkel FDP-Chef Philipp Rösler beim Lieblingsprojekt der Liberalen Entgegenkommen signalisiert habe.
Die Wirtschaftsforschungsinstitute bewerten die Pläne der Koalition gegensätzlich. Während das liberale Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) dafür ist, kommt vom gewerkschaftsnahen Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) scharfe Kritik. "Die Politik droht die alten Fehler zu wiederholen, wenn in wirtschaftlich guten Zeiten die Steuern gesenkt werden", sagte IMK-Direktor Gustav Horn.
"Genau diese Politik ist der Grund für die hohe Staatsverschuldung, denn beim nächsten Abschwung brechen die Steuereinnahmen wieder ein." Statt das Geld zu verteilen, müsse der Haushalt saniert werden, um für schlechtere Zeiten gerüstet zu sein. Die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse schränke den Handlungsspielraum der Politik ein, künftige Abschwünge mit Konjunkturprogrammen abzufedern. "Deshalb muss ein Sicherheitspolster angelegt werden für schlechtere Zeiten", forderte Horn.
Das IfW spricht sich dafür aus, die sogenannte kalte Progression zu entschärfen. Sie sorgt dafür, dass Arbeitnehmer bei Lohnerhöhungen in eine höhere Besteuerung hineinrutschen und damit ein Teil des Verdienstzuwachses nicht bei den Beschäftigten landet, sondern beim Staat. "Diese heimlichen Steuererhöhungen spülen dem Staat 2011 und 2012 insgesamt 9,5 Milliarden Euro an Mehreinnahmen in die Kassen", sagte IfW-Experte Alfred Boss, der dem Kreis der Steuerschätzer der Bundesregierung angehört.
Mit diesen Mehreinnahmen könne zwar auch das Staatsdefizit gesenkt werden. "Doch je näher die Bundestagswahl 2013 rückt, desto größer ist die Versuchung für die Regierung, Wahlgeschenke zu verteilen", sagte Boss. "Dann drohen neue Subventionen - angefangen von der Gebäudesanierung bis hin zu Elektroautos. Dann sollte man das Geld doch lieber den Bürgern zurückgeben."