Bundestagswahl 2017 So realistisch ist Schwarz-Grün

Deutschlands populärster Grüner, Winfried Kretschmann, drängt auf Schwarz-Grün auf Bundesebene. Aber könnten sich die Partner überhaupt inhaltlich einigen? Der Check.
Angela Merkel, Winfried Kretschmann

Angela Merkel, Winfried Kretschmann

Foto: Thomas Niedermueller/ Getty Images

Woran Schwarz-Grün bislang scheiterte? Das will im Rückblick niemand eindeutig erklären. Nach der letzten Bundestagswahl trafen sich die Spitzen von CDU, CSU und Grünen immerhin zu Sondierungsgesprächen. Sie fremdelten miteinander, Angela Merkels und Horst Seehofers konservativer Law-and-Order-Trupp verband nur wenig mit der Öko-und-Veggieday-Partei. Am Ende waren die Differenzen zu groß, nach zwei Schnupperrunden war Schluss. Es fehlte wohl auch an Vertrauen.

Drei Jahre später sieht die Lage harmonischer aus.

  • In den Landesregierungen von Hessen, Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt arbeiten CDU und Grüne professionell zusammen.
  • Im Bundesrat verhandelte das Kanzleramt mehrfach mit den Grünen über Knackpunkte, man lernte sich besser kennen.
  • In der Flüchtlingskrise wurden die Grünen so etwas wie Merkels heimliche Verbündete aus der Opposition.
  • Der einzige wirkliche Störfaktor für die Option Schwarz-Grün scheint gerade der strikte Antiflüchtlingskurs der CSU.

Unterm Strich sind die Chancen für Schwarz-Grün gestiegen. Die Große Koalition hat viele ermüdet, und mehrere Landtagswahlen haben gezeigt, dass alte Gesetze der Bündnisbildung nicht mehr gelten. Im Prinzip kann jeder mit jedem regieren, abgesehen vielleicht von Union und Linken. Koalitionen mit der AfD gelten als ausgeschlossen.

Jetzt drängt auch noch der populärste Grüne Deutschlands, Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann, offensiv wie nie auf Schwarz-Grün 2017. Die Kombination "passe einfach in unsere Zeit", sagte er dem SPIEGEL. Kürzlich traf er sich mit Merkel zu einem vertraulichen Abendessen.

Der linke Grünen-Flügel dürfte darüber nicht begeistert sein, aber Kretschmann trifft mit seinem Vorstoß einen Nerv. Viele Streitpunkte, die Schwarz-Grün im Weg standen, sind ausgeräumt. Die Union hat Atomkraft und Wehrpflicht mit abgeschafft. Die Grünen sind wirtschaftsfreundlicher geworden, lehnen Kampfeinsätze nicht pauschal ab und tragen Asylrechtsverschärfungen mit.

Welche Ziele teilen die Parteien, was trennt Schwarz-Grün? Die Inhalte im Überblick (zur Großansicht der Tabelle bitte klicken):


Foto: SPIEGEL ONLINE


Schaut man sich die Themengebiete konkret an, zeigt sich ein gemischtes Bild - mit Chancen und Hürden:

Beim Thema Innere Sicherheit hat man sich angenähert, alle wollen mehr Personal bei Polizei und Behörden. Aber: Ein Verbot der Vollverschleierung, wie es die CSU fordert? Mehr Videoüberwachung und Geheimdienstbefugnisse oder Gesichtskontrollen an Flughäfen, wie es CDU-Innenminister Thomas de Maizière will? Da graut es Spitzengrünen. Allerdings gelten die Grünen in diesem Gebiet als unerfahren, Innenpolitik ist klassisches Unionsrevier. Bei möglichen Koalitionsgesprächen würden die Grünen wohl viele Zugeständnisse machen müssen.

Bei der Flüchtlings- und Integrationspolitik teilt man einige Ansichten. Merkel hat mit ihrer faktischen Grenzöffnung im vergangenen Jahr einen Flüchtlingskurs eingeschlagen, den die Grünen weitgehend stützen. Und alle drei Parteien wollen, dass diejenigen, die jetzt hier sind, gut integriert werden. Auf welche Weise Integration gelingen soll, dürfte jedoch Diskussionen auslösen. Ebenso die Frage, wie viele Flüchtlinge man in Zukunft aufnehmen will. Womöglich könnte Schwarz-Grün auch Anstoß für ein deutsches Einwanderungsgesetz geben. Das wäre spannend.

In der Familien- und Gesellschaftspolitik attackiert man sich scharf. Ex-CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt bezeichnete Schwule und Lesben einst als "schrille Minderheit", das ist auf Grünen-Seite nicht vergessen. Unionsvertreter lästern über Feminismus und vermeintlichen "Genderwahn" bei den Grünen. Hier müssten beide Seiten verbal abrüsten. Die Ehe für alle dürfte eine der wichtigsten Forderungen sein, die die Grünen der Union abtrotzen wollen würde.

Bei Umwelt, Klima und Verbraucherschutz liegen Union und Grüne gar nicht so weit auseinander, etwa beim Thema nachhaltige Landwirtschaft. Wenn es aber um Reformen im Verkehrsbereich geht, etwa um Tempolimits oder weniger Steuerprivilegien im Luftverkehr - da kann man sich Schwarz-Grün plötzlich sehr schwer vorstellen.

In der Steuerpolitik ist noch zu viel Bewegung, um mögliche Tendenzen feststellen zu können. Die Grünen wollen grundsätzlich mehr Umverteilung von oben nach unten, streiten aber über das geeignete Instrument. In der Union ist man sich uneins, ob der aktuelle Haushaltsüberschuss für Steuerentlastungen genutzt werden kann.

Das vorläufige Fazit: Nichts ist unmöglich. Die Grünen wollen nach mehr als zehn Jahren in der Opposition unbedingt wieder in Regierungsverantwortung. Und die Union hätte gern mehr Optionen als die Große Koalition und Schwarz-Gelb, sollte es die FDP überhaupt wieder in den Bundestag schaffen.

Allerdings kann zurzeit niemand voraussagen, welche Bündnisse nach der Bundestagswahl 2017 rein rechnerisch möglich sind. Auch die Option Rot-Rot-Grün ist nicht vom Tisch (lesen Sie hier den Check für ein Bündnis zwischen SPD, Linken und Grünen).

Und am Ende geht es bei der Frage, ob Parteien miteinander verhandeln wollen und können, immer auch um Kompromissbereitschaft - von allen Beteiligten.


Zusammengefasst: Schwarz-Grün könnte nach der Bundestagswahl 2017 eine Win-win-Situation sein. Zwei prominente Schwarz-Grün-Fans haben sich gerade miteinander getroffen: Kanzlerin Angela Merkel und Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Inhaltlich nähert man sich an, in einigen zentralen Fragen liegen CDU, CSU und Grüne aber auch weit auseinander.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren