Volksinitiative gegen Ausländer Stimmt die Schweiz für eine Zwei-Klassen-Justiz?

Flüchtlinge vor dem Schweizer Armee-Camp Glaubenberg: Tief gespalten
Foto: © Ruben Sprich / Reuters/ REUTERSDie Schweiz ist politisch ein tief gespaltenes Land. Und unabhängig davon, welche Seite bei der hoch umstrittenen Volksabstimmung gewinnt - eines hat die rechtskonservative Schweizerische Volkspartei (SVP) mit ihrer sogenannten Durchsetzungsinitative bereits erreicht: Sie hat den Graben im Land noch vertieft.
Auf der einen Seite stehen jene, die das Land im Sinne der SVP verändern wollen: gegen Zuwanderung, gegen die EU, gegen internationale Institutionen und das Völkerrecht. Auf der anderen Seite jene, die den konservativen Umbau des Landes ablehnen. Beide Lager stehen einander unversöhnlich gegenüber.
Sicher ist: Es könnte diesen Sonntag sehr knapp werden, in der letzten Umfrage lagen die Gegner mit 49 Prozent nur knapp vor den Befürwortern mit 46 Prozent.
Die radikale "Durchsetzungsinitiative" hat wie jede SVP-Volksinitiative einen griffigen Namen. Was sich dahinter verbirgt? In der Schweiz wohnhafte Ausländer sollen künftig automatisch abgeschoben werden, wenn sie straffällig werden - unabhängig davon, ob sie im Land geboren wurden und ohne Einzelfallprüfung durch einen Richter. Das soll nicht nur bei schweren Verbrechen gelten, sondern auch bei diversen Bagatelldelikten. Die falsche Abrechnung einer Kinderzulage und ein Straßenverkehrsdelikt binnen zehn Jahren führen zur automatischen Abschiebung - oder wie es in der Schweiz heißt: Ausschaffung. Die Gegner befürchten eine Zwei-Klassen-Justiz, die weite Teile der Bevölkerung betreffen würde - denn 25 Prozent der Schweizer Bevölkerung verfügen nicht über die Schweizer Staatsbürgerschaft.
Beispiellose Gegenkampagne der Zivilgesellschaft

Die Schweiz hat schon viele bittere Abstimmungskämpfe erlebt, doch selten waren im Vorfeld beide Lager derart mobilisiert. Die SVP hat dank ihrem Sponsor und Übervater, dem Milliardär Christoph Blocher, fast unbegrenzte Geldmittel zur Verfügung. Sie pflasterte in den vergangenen Wochen das ganze Land mit ihren Plakaten - sie zeigen ein weißes Schaf, das ein schwarzes Schaf aus dem Land kickt, dazu die Worte: "JA zur Ausschaffung krimineller Ausländer!" In TV-Debatten versuchten SVP-Politiker Zweifel daran zu säen, dass auch in der Schweiz geborene Ausländer von der Abschiebung betroffen wären. Der Initiativtext lässt an dieser Frage allerdings keinen Zweifel zu - sie wären betroffen.
Im vergangenen Herbst wollten laut Umfragen noch rund zwei Drittel der Stimmberechtigten Ja zur "Durchsetzungsinitiative" sagen. Doch in den vergangenen Monaten begannen die Gegner der SVP eine bisher beispiellose Gegenkampagne. Sie wurde nicht von Parteien oder Wirtschaftsverbänden getragen, sondern von der Zivilgesellschaft. Im Zentrum der Kampagne steht eine Gruppe von jungen Akademikern, die den Verein Operation Libero gründeten - als Antwort auf die "Masseneinwanderungsinitiative", die vor zwei Jahren angenommmen wurde und seither die Beziehungen der Schweiz zur EU belastet, weil sie eine Begrenzung der Zuwanderung aus der EU verlangt.
Die Gegner hatten zwar nicht viel Geld, doch sie schafften es, ihren Argumente vor allem im Netz, in den sozialen Netzwerken, eine große Wucht zu verleihen - und die Abstimmung als Wahl zwischen Rechtsstaat und Unrechtsstaat darzustellen. Selbst gemachte Videos und GIFs erzeugten eine virale Wirkung. Auch Künstler wie die Musikerin Sophie Hunger, der Rapper Knackeboul oder der Schauspieler Emil Steinberger wendeten sich an die Stimmbürger, rund hundert Rechtsexperten unterzeichneten einen Aufruf gegen die Initiative - und auf Facebook kam eine große Mobilisierungskampagne in Gang mit der Botschaft an alle Gegner, unbedingt zur Abstimmung zu gehen.
Empörung über Hakenkreuzplakate
Die Zustimmung zur Initiative sank seither in den Umfragen konstant. Sollte sie abgelehnt werden, hätten die Gegner gezeigt, dass die SVP, die finanziell und marketingtechnisch bisher stets überlegen schien, doch geschlagen werden kann. Die meisten Schweizer haben schon in den vergangenen Wochen per Brief abgestimmt, die Urnen schließen am Sonntagmittag - und zu Beginn des Nachmittags werden erste Trends und Hochrechnungen erwartet.
Wie die Abstimmung ausgeht, ist am Ende des erbitterten Kampfes gänzlich offen. Zwar glauben die meisten Demoskopen inzwischen an eine knappe Ablehnung, doch auch bei vergangenen SVP-Initiativen zeigten Umfragen eine Nein-Mehrheit - am Ende wurden sie dennoch angenommen.
Einen strategischen Fehler könnten einige der Initiativgegner noch auf den letzten Metern der Kampagne begangen haben: Sie ließen in den Bahnhöfen von Zürich und Genf geschmacklose Plakate aufhängen - darauf war ein Schweizer Kreuz zu sehen, das sich in ein Hakenkreuz verwandelt. Die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) entfernten es schließlich, weil es die Gefühle von Kunden "in tiefster Weise verletzt" habe. Die SBB mussten sich daraufhin den Vorwurf gefallen lassen, noch nie Plakate der SVP entfernt zu haben - obwohl sich auch von deren meist drastischen Motiven sicher mancher Schweizer in seinen Gefühlen verletzt fühlt.