
S.P.O.N. - Im Zweifel links Die wahren Clowns sind wir Deutschen


Unternehmer Thomas Minder gab den Anstoß: Schweiz beschließt Regeln gegen "Abzocke"
Foto: MICHAEL BUHOLZER/ REUTERSIn der Schweiz haben die Bürger gegen die grenzenlose Bereicherung der Manager entschieden. In Italien wurde eine Regierung der Technokraten abgewählt. Es gibt einen Populismus der Vernunft, der nennt sich Demokratie. Die Leute haben die Nase voll vom gesellschaftszerstörenden Kapitalismus. Die Empörung nimmt zu, und die Wut wächst. Vor allem auf die Deutschen. Aber die fürchten nur um ihr Geld und schimpfen.
Die Clown-Affäre zeigt: Nicht einmal der Kanzlerkandidat der Sozialdemokraten begreift, was in Europa vor sich geht. Deutschland wird zum europäischen Problem - und Peer Steinbrück ist nicht die Lösung.
Glückliche Schweiz! Manchmal muss man das Land um seine Demokratie einfach beneiden. In einer Volksabstimmung haben die Schweizer am Wochenende den Irrsinn ausufernder Bonuszahlungen, Abfindungen und Gehälter gestoppt: Künftig sollen die Aktionäre darüber entscheiden und nicht mehr die Manager. Antrittsgelder und Abgangsentschädigungen sollen verboten werden. Die trauen sich was, die Schweizer.
Wie erbärmlich nehmen sich dagegen die Ergebnisse der EU-Bemühungen in der gleichen Sache aus: ein klitzekleines Boni-Reförmchen für Banker, das den Namen nicht verdient und dennoch zu lautem Wehklagen in der Londoner City geführt hat. Die Herren mit den Hosenträgern mögen es nicht, wenn das Volk sich meldet. Sie wollen ihren Geschäften ungestört nachgehen.
Merkels Sparkur ist die Hölle
Das zeigten auch die Reaktionen auf die italienische Wahl. Keine "klaren Verhältnisse", da reagierten "die Märkte" sofort. Sie sind der wahre Souverän und verhalten sich auch so. Die Ratingagentur Moody's drohte mit einer Herabstufung der Kreditwürdigkeit. Und auch der Anleihenmarkt reagierte: "Italien bekommt mit höheren Zinsen Quittung für Wahlchaos", meldete die Deutsche Presseagentur. Weil auch viele Journalisten es inzwischen offenbar für normal halten, dass "die Märkte" der Politik eine Quittung schreiben.
Man fragt sich: Warum bestimmen die Finanzmärkte nicht gleich die Regierung? Aber in Wahrheit ist das ja längst geschehen. Der Ökonomieprofessor Mario Monti in Italien und der Zentralbanker Loukas Papademos in Griechenland, das waren Technokratenherrscher, die von den Märkten eingesetzt worden waren - und von Angela Merkel.
Die deutsche Kanzlerin hat den Kontinent in die Ketten ihrer verheerenden Ideologie des Sparens gelegt. "Austerität", das klingt so kühl und vernünftig. Aber es ist die Hölle. Der Sparkurs lässt die Wirtschaft schrumpfen. Dadurch steigt die Schuldenquote. Vertrauen entsteht auf diese Weise nicht. Geld aber ist eine Frage des Vertrauens. Der kluge Wolfgang Münchau hat hier vor ein paar Tagen geschrieben: "Man nennt das auch eine Schuldenfalle. Da kommt man ohne äußere Hilfe nicht heraus. Und je mehr man strampelt, desto tiefer sinkt man."
Es ist nicht nur "unser" Euro
Die Leute in Europa haben von Merkel und den Märkten zusehends die Nase voll. "Der deutsche Traum ist der europäische Alptraum", hat die französische Tageszeitung "Le Monde" geschrieben. Nicht einmal 25 Jahre, nachdem das neue Deutschland seine volle Souveränität wiedererlangt hat, ist es in Europa auf dem Weg in die politische Isolation.
Das ist das politische Vermächtnis dieser Bundeskanzlerin. Merkel hat nicht verstanden, dass Europa ein politisches Projekt ist. Kein rechnerisches. Sie hat den Deutschen nicht erklärt, was europäische Integration bedeutet: Nicht nur die anderen müssen sich integrieren. Wir auch. "Schock nach Italien-Wahl. Machen sie jetzt unseren Euro kaputt?", schrieb die Online-Ausgabe der "Bild"-Zeitung. Da liegt eben das Missverständnis. Es ist nicht nur "unser" Euro.
Wahrscheinlich trifft die Zeitung aber die Stimmung der Bürger. Es ist, als hätten die Deutschen gar nicht begriffen, was derzeit auf dem Spiel steht. Sie beobachten die moralische Entkernung ihres Gesellschaftssystems mit eigenartiger Teilnahmslosigkeit. Die Occupy-Bewegung, die vor zwei Jahren ungeheuren Zulauf hatte, ebbte schnell wieder ab, und niemand vermisst sie. Die Finanztransaktionssteuer, die von so großer symbolischer Bedeutung war, wird von der Kleinstpartei FDP gebremst, und die Leute zucken nur mit den Schultern.
Aber auch Merkels Herausforderer Peer Steinbrück ist nicht derjenige, der den Deutschen die Bedeutung Europas erklären wird. Er begreift ja selbst nicht, was um ihn herum vor sich geht. Steinbrück beschimpft den Wahlsieger Beppe Grillo als "Clown" und hat gar keine Ahnung von den italienischen Verhältnissen.
Wo Korruption, Kriminalität und Kleptokratie herrschen, ist der Clown vielleicht die Alternative der Vernunft. Aber Grillo ist gar kein Clown. Er ist ein Moralist. Das ist man in der italienischen Politik nicht gewohnt - in der deutschen auch nicht. Seine Forderungen - Begrenzung der Amtszeiten, Reduktion der Diäten, Gesetze gegen Interessenkonflikte der Politiker - sind alles andere als clownesk. Und die "Grillini", die jetzt ins Parlament einziehen, sind eben keine Technokraten oder Lobbyisten, sondern Volksvertreter im besten Sinne.
Wäre Steinbrück ein Sozialdemokrat, er hätte Sympathie für diese Menschen und würde ihnen Glück auf ihrem schweren Weg wünschen.
Der Soziologe Oskar Negt hat geschrieben: "Die Gegenwart leidet an einer chronischen Unterernährung der produktiven Phantasie." Für Deutschland trifft das zu. Aber glücklicherweise nicht für ganz Europa.