Schweriner Landtag Eklat zur Parlaments-Premiere der NPD

Die NPD-Premiere im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern endete mit einem Eklat. Als die demokratischen Parteien über neue Regeln für die Parlamentsarbeit abstimmen wollten, eskalierte die Situation: Die Rechtsextremen nutzten einen Lapsus der Landtagspräsidentin aus.

Schwerin - Eigentlich wollten alle schon zu Hause sein. Doch dank einer Antragsflut der NPD-Fraktion war es reichlich spät geworden im Schweriner Schloss. Dann passierte, was die demokratischen Parteien bei der ersten Sitzung des neuen Landtags von Mecklenburg-Vorpommern unbedingt vermeiden wollten: Die NPD nutzte einen Verfahrensfehler der Sitzungsleitung - um genüsslich in die Opferrolle zu schlüpfen.

Das Missgeschick mit der Geschäftsordnung unterlief der alten und neuen Landtagspräsidentin Sylvia Bretschneider (SPD) am Ende der konstituierenden Sitzung. CDU, SPD, Linkspartei und FDP hatten verabredet, unmittelbar nach der konstituierenden Sitzung eine Sondersitzung des Landtages einzuberufen, um eine Initiative zur Änderung des Abgeordnetengesetzes einzubringen. Die Initiative richtet sich vor allem gegen die NPD. Als deren Abgeordneter Michael Andrejewski mit einem Geschäftsordnungsantrag Widerspruch einlegen wollte, überging ihn die Präsidentin.

Ein Lapsus. Doch dieser Lapsus ließ den Sitzungstag im Chaos enden. Die NPD hatte in der Geschäftsordnung entdeckt, dass im Falle eines Widerspruchs der Landtag abzustimmen hat.

Zeitweise zu dritt belagerte die NPD das Mikrofon

Schnell verbreiteten die Rechtsextremisten in der Pause, wie undemokratisch die Sitzungsleitung mit ihnen umgegangen sei. Auch das Präsidium hatte den Fehler inzwischen bemerkt - und versuchte, sich durch eine nachgeholte Abstimmung zu Beginn der neuen Sitzung aus der Affäre zu ziehen. Andrejewskis Widerspruch sei schlicht untergangen, war die Begründung, was wenig überzeugte: Hatte Andrejewski für die Aktion im Plenum doch höhnisches Gelächter geerntet.

Jetzt kam die NPD-Fraktion in Fahrt. Zeitweise zu dritt belagerten sie das Mikrofon, bezeichneten die Sitzung und damit die angestrebte Abstimmung als "illegal". Als das Präsidium dennoch fortfahren wollte, zog die NPD-Fraktion unter lautem Protest aus dem Sitzungssaal. "Wir verlassen die Volkskammer", tönte NPD-Landeschef Stefan Köster lauthals.

Die Sitzung ging zunächst weiter, wurde dann unterbrochen. Die siegessicheren Rufe der demokratischen Parlamentarier, die den Auszug der NPD begleiteten, verstummten schnell. Ratlosigkeit machte sich breit: Wie lässt sich der Fehler auffangen, ohne dass sich die NPD weiter in der Opferrolle präsentieren kann? Besonders ärgerlich an dem Chaos für die anderen Fraktionen: Der Widerspruch der NPD wäre natürlich geschlossen abgelehnt worden.

Man berief den Ältestenrat ein. Dieser beschloss, formal zu einer weiteren, zweiten Sondersitzung zu rufen. Die Idee dahinter: Gegen diese Sitzung hatte die NPD ja nicht Widerspruch eingelegt. Die NPD reagierte erbost, kündigte rechtliche Schritte an. Sie boykottierte die Sitzung. Bretschneider brachte wie geplant die Initiative für das geänderte Abgeordnetengesetz ein.

Kühler Empfang für die Rechtsextremen

Was in dem Geschäftsordnungschaos endete, hatte am Morgen mit einem kühlen Empfang für die Rechtsextremisten begonnen. Stefan Köster und Udo Pastörs bekamen vom Alterspräsidenten Henning von Storch (CDU) einen Handschlag. Diese Geste für den NPD-Landeschef und -Geschäftsführer sowie den NPD-Fraktionschef war's dann auch schon an sichtbarem Kontakt zwischen den Rechtsradikalen und den anderen Fraktionen. Ansonsten konnte man heute bei der konstituierenden Sitzung des neuen Landtags von Mecklenburg-Vorpommern den Eindruck haben, Rechtsextremismus sei eine ansteckende Krankheit. Ein extra-breiter Gang trennt die NPD im Plenarsaal des Schweriner Schlosses von ihren FDP-Nachbarn - während sich die anderen Parlamentarier dicht an dicht im wenig kommunikativen Plenarsaal des Schweriner Schlosses drängen.

Vom Rednerpult aus gesehen, sitzen sie aufgereiht an der langen Fensterfront ganz rechts außen, die sechs Abgeordneten der rechtsextremistischen Partei, die bei der Landtagswahl vor vier Wochen 7,3 Prozent geschafft hatte. Ihr Abstand zum demokratischen Spektrum hat laut Landtagsverwaltung allerdings nicht mit der Gesinnung der braunen Abordnung zu tun. Der FDP-Politiker Ralf Grabow sitzt im Rollstuhl - und der brauche nun mal ein wenig Platz, um sich im Saal zu bewegen.

Die Demokraten mieden die NPDler, soweit es nur ging - und gaben ihnen zu verstehen, dass sie rechtsradikale Ausfälle im Parlament nicht dulden wollen. Erstmals gehöre dem Landtag eine Fraktion an, "die den Grund- und Wertekonsens der Demokratie für sich nicht gelten lässt", sagte die alte und neue Landtagspräsidentin Bretschneider nach ihrer Wahl vor den Abgeordneten. "Eine Partei, deren Mitglieder von sich selbst sagen, dass sie unser demokratisches System abschaffen wollen und Demokraten als Mitglieder von Systemparteien herabwürdigen wollen."

Die unerwünschten Neulinge ließen die Schelte mal regungslos, mal kopfschüttelnd über sich ergehen. Erst als Bretschneider mahnte, das Wahlergebnis vom 17. September sei Ausdruck eines Vertrauensverlusts der Wähler in die demokratischen Parteien und fehlender Bürgernähe - da wurde NPD-Fraktionschef Udo Pastörs auffällig. Als einziger im Plenarsaal klatschte er laut und lange.

Rügen für NPD-Fraktionschef

Bei seiner Premiere am Rednerpult lieferte der Uhrmacher aus dem Kreis Ludwigslust einen Vorgeschmack auf die rhetorische Qualität künftiger Wortbeiträge seiner Fraktion. Eifernd kritisierte er die Pläne der anderen Fraktionen, das Landtagspräsidium um einen dritten Vize-Posten zu Gunsten der FDP zu erweitern. Er wetterte gegen die "Unverfrorenheit", das "Postengeschacher" der "Blockparteien". Die vorangegangene Rede des FDP-Fraktionschefs Michael Roolf tat er als "Blabla" ab - und fing sich einen Rüffel von der Landtagspräsidentin ein.

Zuvor war der NPD-Politiker, der sich auf der Homepage der Partei in aller Bescheidenheit zum Oppositionsführer gekürt hat, schon für einen Zwischenruf gerügt worden. Er hatte CDU-Geschäftsführer Lorenz Caffier als "Schwätzer" tituliert. NPD-Bundeschef Udo Voigt und der sächsische Fraktionschef und Wahlkampfmanager Holger Apfel saßen auf der Besuchertribüne. Sie registrierten die ersten Auseinandersetzungen wohlwollend. Den Ordnungsruf für Pastörs wegen unangebrachter Kritik an der Sitzungsleitung bekamen sie nicht mehr mit.

Nachdem sich die NPD mit ihrem Nein zum erweiterten Präsidium erwartungsgemäß nicht durchsetzen konnte, stellten die Rechtsextremisten einen eigenen Kandidaten auf: den Kameradschaftsführer Tino Müller. Zur Erleichterung der anderen Fraktionen bekam er in der geheimen Abstimmung nicht mehr als die Stimmen der sechs NPD-Abgeordneten. In Sachsen war es der NPD gelungen, Stimmen aus dem demokratischen Lager einzusammeln, wenn über Anträge geheim abgestimmt wurde.

Neue Regeln gegen die Rechtsextremen

Um sich solche Unannehmlichkeiten zu ersparen, hatten sich die Fraktionen schon vor der heutigen Sitzung verständigt: Sie werden den NPD-Abgeordneten enge politische Fußfesseln anlegen. Die heute verabschiedete Geschäftsordnung sieht vor, dass die Abgeordneten nur noch bei Personalentscheidungen und in der Vertrauensfrage geheim abstimmen können.

Eine ganze Reihe neuer Regeln soll den brauen Spuk im Schweriner Schloss in der kommenden Legislaturperiode eindämmen. Das Parlament will künftig Ausschussvorsitze nicht mehr nach dem Hare-Niemeyer-Verfahren verteilen, sondern nach dem d'Hondt'schen Auszählverfahren. Die Folge: Erst bei zehn Ausschüssen stünde auch der NPD ein Vorsitz zu. In der vergangenen Wahlperiode gab es neun.

Außerdem haben sich die demokratischen Kräfte auf eine geänderte Fraktionsfinanzierung geeinigt. Sie trifft vor allem die kleinen Fraktionen: Die Grundbeträge werden gekürzt, deshalb kann die NPD nur noch mit 600.000 Euro statt ursprünglich 847.000 Euro rechnen. Die Liberalen willigten ein - obwohl auch sie auf mehr als 200.000 Euro verzichten müssen.

Erstmals in einem deutschen Parlament müssen außerdem Fraktions- und Wahlkreismitarbeiter in Mecklenburg-Vorpommern demnächst ein polizeiliches Führungszeugnis vorweisen. Nur für unbescholtene Mitarbeiter bekommen die Abgeordneten künftig Geld. Bretschneider begründete dies mit Hinweisen, denen zufolge die NPD Vorbestrafte in die Parlamentsarbeit einbinden will.

Köster droht Aufhebung der Immunität

Genau diese Gesetzesinitiative war es, die am Montagabend nach dem Geschäftsordnungschaos schließlich doch noch eingebracht wurde - ohne Beteiligung der NPD. Fraktionsgeschäftsführer Köster hatte zuvor bereits erklärt: "Das betrifft uns alles nicht". Trotzdem kündigt die NPD an, eine Klage am Landesverfassungsgericht in Greifswald zu prüfen.

Sehr wohl betrifft Köster ein weiteres Vorhaben: Das Landgericht Itzehoe will seine Immunität aufheben lassen. Das Amtsgericht hatte den NPD-Landeschef im Mai wegen schwerer Körperverletzung zu sechs Monaten Haft auf Bewährung verurteilt: Er soll am Rande eines Landesparteitages in Steinburg in Schleswig-Holstein eine Gegendemonstrantin getreten haben, die am Boden lag.

Köster und die Staatsanwaltschaft hatten gegen das Urteil Rechtsmittel eingelegt. Als Abgeordneter genießt Köster jetzt Immunität; das Verfahren wird deshalb womöglich ausgesetzt. Um das zu verhindern, sollte der Landtag noch heute über die Aufhebung seiner Immunität beraten. Landtagspräsidentin Bretschneider kündigte außerdem an, dass das Parlament womöglich die Immunität von zwei weiteren Abgeordneten aufheben will. Namen nannte sie vorerst nicht.

Stundenlange Verzögerung durch Antragsflut

Auf diese parlamentarische Ausbrems-Taktik der Demokraten reagierte die NPD heute in der Sitzung mit einer eigenen Strategie - einem nervenaufreibenden Verzögerungsspiel: 17 kurzfristige Änderungsanträge stellten sie allein zum Entwurf der neuen Geschäftsordnung, den CDU, SPD, Linkspartei und FDP gemeinsam ausgearbeitet hatten. Der NPD-Abgeordnete Michael Andrejewski aus Anklam sprach von einer "Geschäftsordnung der Willkür". Die Abstimmung über den Entwurf boykottierte die NPD-Abordnung demonstrativ: Sie stimmten weder mit Ja oder Nein noch mit Enthaltung.

Immer wieder suchten die NPD-Abgeordneten später während der Sitzung das Gespräch mit dem Fraktionsgeschäftsführer Peter Marx, der aus dem sächsischen Landtag nach Schwerin gewechselt ist. Sie forderten namentliche Abstimmungen für Anträge oder getrennte Wahlgänge für die Wahl der Vizepräsidenten des Landtags. Die Sitzung verzögerte sich dadurch um Stunden.

Die SPD war bei der Landtagswahl vor vier Wochen trotz massiver Verluste erneut stärkste Kraft geworden - vor CDU, Linkspartei und FDP. Weil Sozialdemokraten und Linke nur noch über eine Stimme Mehrheit verfügen würden, wollen künftig SPD und CDU das Land in einer Großen Koalition regieren, nach acht Jahren Rot-Rot. Die Verhandlungen sind noch nicht abgeschlossen.

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