Einwanderung über Balkan und Mittelmeer Seehofer hält neue Maßnahmen gegen irreguläre Migration für nötig

Bundesinnenminister Horst Seehofer ist mit den Ergebnissen der deutschen Migrations- und Flüchtlingspolitik zufrieden, rechnet jedoch mit neuen Problemen. Es zeichne sich ab, »dass die Migrationszahlen wieder deutlich steigen, insbesondere auf der Balkanroute«, sagte der CSU-Politiker.
»Darüber werde ich mit meiner Fraktion reden. Wir müssen etwas tun, damit wir nicht wieder in bedenkliche Größenordnungen kommen«, so Seehofer.
In der Vergangenheit habe es für den Zuzug von Geflüchteten immer dann eine breite Akzeptanz der Bevölkerung gegeben, wenn pro Jahr nicht mehr als 200.000 aufgenommen worden seien. »Wenn es deutlich mehr wurden, sind gesellschaftliche und politische Probleme entstanden.« Dies habe Parteien wie den Republikanern genutzt – »auch die AfD hat das 2015 zu ihrem Thema gemacht«.
Seehofer möchte sich nach der Bildung der nächsten Bundesregierung aus der aktiven Politik zurückziehen. »Ich bin überzeugt, dass das Thema Migration auch bei meiner Amtsübergabe noch aktuell sein wird«, sagte er.
Im vergangenen Jahr war für 102.581 Ausländer erstmals ein Asylantrag in Deutschland gestellt worden. Darunter waren 26.520 Anträge auf Schutz, die in Deutschland geborene Kinder im Alter von unter einem Jahr betrafen. 2019 waren beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 142.509 Asylerstanträge eingegangen. Der Verein Pro Asyl hatte im vergangenen Januar kritisiert, »diese geringen Zugangszahlen sind eine Folge der rigorosen Grenzabriegelung Europas«. Die griechisch-türkische Landgrenze sowie die ungarische und kroatische EU-Außengrenze seien systematisch geschlossen worden.
Mehr Migranten kommen nach Lampedusa
Indes steigt momentan die Zahl Geflüchteter auf der italienischen Insel Lampedusa. Über 2100 Männer, Frauen und Kinder waren Anfang der Woche in nur 24 Stunden eingetroffen. Agenturangaben zufolge war der Andrang zu groß, um nach einem Standardverfahren – Aufnahme der Daten, Coronatests, Transport in ein Auffanglager, auf Quarantäneschiffe oder nach Sizilien – zu verfahren. Mehrere Hundert Bootsmigranten mussten so auf der Hafenmole der Insel schlafen.
In Italien insgesamt haben sich die Migrantenankünfte 2021 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum verdreifacht – auf rund 13.000 bis Wochenbeginn. Gründe hierfür sind das mildere Wetter und die sich verbessernde Coronasituation in Europa, die mehr Flüchtende zur Überfahrt über das Mittelmeer veranlasst. Seit Jahresbeginn stammten die meisten aus Tunesien (15 Prozent), aber auch der Elfenbeinküste (13 Prozent) und sogar aus Bangladesch (10 Prozent).
EU-Problem oder nationale Kompetenz
»Der Zustrom hat sich verändert«, sagte der Bürgermeister Lampedusas, Totò Martello, in der Zeitung »La Repubblica«. Lange seien es kleine Boote mit 15 bis 20 Personen aus dem nahen Tunesien gewesen. Jetzt würden aus Libyen zweistöckige Fischerboote mit 200 oder 300 Passagieren an Bord starten. Er forderte ein Einschreiten der Regierung in Rom. »Das ist eine politische Frage.«
Der zuständige Regionalpräsident Siziliens, Nello Musumeci, beklagte das Wegdrücken von Verantwortung, obwohl die Überfahrten häufig zur Todesfalle werden. Nach Uno-Angaben starben allein 2021 mindestens 511 Migranten auf der Route im zentralen Mittelmeer. »Aber niemand rührt einen Finger, weder in Rom noch in Brüssel«, so Musumeci. Die Regierung Mario Draghis in Rom versucht seit Wochen, die Behörden in Tunesien und Libyen zu strengeren Kontrollen zu bewegen.
Die EU-Kommission betont, die Seenotrettung sei nationale Kompetenz. Trotzdem dringt die schwedische EU-Innenkommissarin Ylva Johansson auf mehr Zusammenarbeit. Seit 2014 seien mehr als 21.000 Menschen auf See gestorben oder würden vermisst. Eine nachhaltige Lösung wäre für Johansson, wenn es auf EU-Ebene nach jahrelangem Streit doch eine Einigung auf eine Asylreform gäbe. Diese ist allerdings nicht absehbar.
Ängste der Deutschen nahmen ab
Laut der Umfrage »Die Ängste der Deutschen« gingen die Sorgen im Zusammenhang mit neuer Zuwanderung deutlich zurück. Sie lagen 2020 auf dem niedrigsten Stand seit dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise im Jahr 2015. Das Thema Migration werde dennoch »auch für die nächste Regierung eine erhebliche Rolle spielen«, sagt der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Mathias Middelberg (CDU). Die Zahl der Asylanträge sei 2020 wegen der Coronapandemie gesunken. »Wir sehen aber jetzt schon wieder wachsende Zuwanderung über das Mittelmeer und zudem ein massives Weiterwandern innerhalb Europas vor allem mit dem Ziel Deutschland.«