Shoan Vaisi will in den Bundestag »Ich bin nicht von Angst beherrscht«

Nach dem Rückzug des Syrien-Flüchtlings Tareq Alaows sagt Shoan Vaisi: »Jetzt erst recht.« Er will für die Linke in den Bundestag – auch um Rassisten die Stirn zu bieten.
Ein Interview von Timo Lehmann
Shoan Vaisi: »Der Staat muss gegen rechte Strukturen in den Behörden wie etwa der Polizei vorgehen«

Shoan Vaisi: »Der Staat muss gegen rechte Strukturen in den Behörden wie etwa der Polizei vorgehen«

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privat

SPIEGEL: Herr Vaisi, Sie wollen in den Bundestag, bewerben sich spontan bei den Linken in Nordrhein-Westfalen auf einen aussichtsreichen Listenplatz, auch eine Wahlkreiskandidatur soll folgen. Warum machen Sie das?

Vaisi: Ich bin seit Jahren politisch aktiv. Über eine Bundestagskandidatur hatte ich schon länger nachgedacht. Schlussendlich überzeugt hat mich der Rückzug des Flüchtlings und Grünenpolitikers Tareq Alaows, der hier in NRW für den Bundestag kandidierte und nun wegen Rassismuserfahrungen doch nicht mehr ins Parlament einziehen will. Da dachte ich mir: Das kann einfach nicht sein! Da macht einer das, was die Mehrheit der Deutschen von uns Flüchtlingen erwartet: Er engagiert sich für die Gesellschaft, bringt sich hier ein. Und dann passiert so etwas. Meine Genossen haben mich bestärkt, diesen Schritt zu gehen.

SPIEGEL: Tareq Alaows äußert sich bislang nicht auf Nachfragen, es gibt allein die Pressemitteilung seines Grünen-Ortsverbands Dinslaken, in der er mit den Vorwürfen zitiert wird. Kennen Sie ihn, haben Sie mit ihm gesprochen?

Vaisi: Nein, bisher hatte ich keinen Kontakt zu ihm.

SPIEGEL: Fürchten Sie persönlich rassistische Angriffe im Wahlkampf?

Vaisi: Ich habe in Iran schon von klein auf Politik gemacht. In einem Land, in dem man wegen seines politischen Engagements nicht belohnt, sondern verfolgt und bestraft wird. Insofern: Ich bin nicht von Angst beherrscht. Meine Partei steht hinter mir. Zudem war ich als Profisportler in der Zweiten Ringer-Bundesliga, weiß mich im Notfall also zu wehren. Aber damit das nicht falsch verstanden wird: Ich kann die Entscheidung von Tareq Alaows absolut verstehen. Wenn ich nun auch nicht kandidieren würde, wäre das ein Gefallen für die Rechtsaußen. Für mich gilt: jetzt erst recht.

SPIEGEL: Wie gehen Sie selbst mit Rassismus um?

»Wenn ich nun auch nicht kandidieren würde, wäre das ein Gefallen für die Rechtsaußen.«

Vaisi: Ich lebe seit mehr als neun Jahren in Deutschland und habe oft Rassismus erlebt. Dennoch versuche ich immer, das Glas als halb voll und nicht als halb leer zu sehen. Ich will mich davon nicht unterkriegen lassen.

SPIEGEL: Was kann der Staat tun, um Ihnen mehr Sicherheit zu geben?

Vaisi: Der Staat muss gegen rechte Strukturen in den Behörden wie etwa der Polizei vorgehen. Zudem brauchen wir mehr Unterstützung für die zivilgesellschaftlichen Vereine, die sich gegen Rassismus einsetzen. Der Staat darf nicht ausgerechnet jenen Steine in den Weg legen, die sich tagtäglich für eine offene Gesellschaft einsetzen.

SPIEGEL: Sie sind 2011 aus Iran nach Deutschland geflohen. Wie kam es dazu?

Vaisi: In Iran gehöre ich der Minderheit der Kurden an, was allein schon zu Konflikten mit dem Staat führt. Ich bin seit meiner Jugend politisch aktiv, habe mich vor allem für die Rechte von Minderheiten und Frauen eingesetzt. Direkt nach dem Abitur wurde ich wegen meines politischen Engagements vom Staat verfolgt. Am Ende hatte ich die Wahl: Entweder ich würde für viele Jahre in Iran ins Gefängnis gehen und gefoltert werden, oder ich verlasse das Land. So bin ich dann zu Fuß in die Türkei gelaufen und schließlich in Deutschland gelandet. Schnell habe ich mich hier bei den Linken engagiert. In Iran gehörte ich ebenfalls einer linken Gruppierung an.

SPIEGEL: Auch heute noch werden Kurden aus der Europäischen Union nach Iran abgeschoben.

Vaisi: Ja, das ist unmenschlich. Wir Linken fordern generell einen Abschiebestopp für alle. Kurden werden in Iran verfolgt. Obwohl sie eine kleine Minderheit sind, machen sie einen großen Teil der Gefangenen in Iran aus.

SPIEGEL: Was wollen Sie im Bundestag bewegen, sollten Sie den Sprung ins Parlament schaffen?

Vaisi: Ich bin Sozialarbeiter, und mein Hauptanliegen ist die Kinder- und Jugendarbeit. Ich will vor allem dafür kämpfen, dass alle die gleichen Bildungschancen haben, unabhängig vom Migrationshintergrund und der sozialen Schicht. Natürlich möchte ich auch die Flüchtlingspolitik verändern.

SPIEGEL: Wenn es eine Mehrheit für ein grün-rot-rotes Regierungsbündnis gäbe nach der Wahl, sollte die Linke das nutzen?

Vaisi: Das ist ein kontroverses Thema bei uns. Für mich geht es darum, bei meinem politischen Kampf auch etwas für die Menschen zu erreichen. Wenn wir in einer grün-rot-roten Bundesregierung Bundeswehr-Auslandseinsätze verhindern, mehr in der Klimapolitik und mehr für sozial Benachteiligte tun können, dann sollten wir das machen und mitregieren.

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