Asyl-Blockade im Bundesrat Grüne Länder verunsichern die Kanzlerin
Angela Merkel setzte härtere Asylgesetze stets mithilfe der Grünen durch. Damit ist jetzt wohl Schluss: Im Bundesrat wollen sie höhere Hürden für Nordafrikaner verhindern.
Menschen aus Nordafrika kommen "zumeist aus asylfremden Gründen" nach Deutschland. So erklärt die Bundesregierung, warum sie Algerien, Marokko und Tunesien plötzlich als sogenannte sichere Herkunftsländer betrachtet. Wer im Maghreb geboren wurde, soll künftig schwerer Asyl bekommen und schneller abgeschoben werden können. Das haben die Große Koalition und der Bundestag bereits beschlossen.
Doch die Ausweitung der umstrittenen Herkunftsstaaten-Liste wird aller Voraussicht nach gestoppt, bevor sie in Kraft treten kann. Am Freitag soll der Bundesrat über die Neuregelung abstimmen. Dort wird sie sehr wahrscheinlich durchfallen.
Fast alle Grünen und Teile der SPD wollen das "Gesetz zur Einstufung der Demokratischen Volksrepublik Algerien, des Königreichs Marokko und der Tunesischen Republik als sichere Herkunftsstaaten" ablehnen oder sich enthalten. Union und SPD bekommen die erforderliche absolute Mehrheit in der Länderkammer wohl nicht zustande.
Damit droht eine der wichtigsten Asylrechtsverschärfungen von Angela Merkels Regierung zu platzen: Nach den sexuellen Massenübergriffen von Köln, an denen überwiegend Nordafrikaner beteiligt gewesen sein sollen, drängten Union und SPD auf höhere Hürden für Asylbewerber aus dem Maghreb.
"Sinnlose Ideologie"
Lange war nicht klar, ob die Grünen ihre Vetomacht im Bundesrat tatsächlich nutzen würden. Schließlich trug die Partei schon 2014 und 2015 ähnliche Asylrechtsverschärfungen mit.
Jetzt wird das sperrige Gesetz zum Symbol für die Rückkehr des Lagerkampfs in der Flüchtlingskrise. Der Streit gibt einen Vorgeschmack auf die aufgewühlte Zeit bis zur Bundestagswahl. "Eine Ablehnung wäre pure sinnlose Ideologie", warnt Innenminister Thomas de Maizière (CDU).
Im Moment liefern sich Regierung und Länder einen Polit-Krimi. Seit Montag sondiert das Kanzleramt mit einigen Ländern mögliche Optionen. Diskutiert wird, wie der Asylschutz für besonders gefährdete Gruppen aus diesen Ländern - etwa Homosexuelle, Oppositionelle und Journalisten - weiter gewährleistet werden kann.
Am Dienstag berieten sich mehrere Länderkabinette, am Donnerstag trifft sich Merkel mit den Ministerpräsidenten in Berlin. Es ist sogar denkbar, dass der Bundesrat seine Entscheidung verschiebt, um den Weg für weitere Gespräche frei zu machen.
Derzeit sieht es aber nicht nach einer schnellen Einigung aus. Viele - aus Sicht Merkels wohl zu viele - Länder haben sich bereits festgelegt.
- Eine absolute Mehrheit im Bundesrat braucht 35 der insgesamt 69 Stimmen. Die von Union und SPD regierten Länder kommen zusammen nur auf 20 Stimmen. Die Große Koalition benötigt Unterstützung von mindestens drei anderen Ländern.
- Die Grünen sitzen in zehn von 16 Landesregierungen. Bislang haben sie ihre Vetomacht kaum genutzt. Mehrere Asylrechtsverschärfungen kamen mit grünen Stimmen zustande.
- Dieses Mal kommt es wohl zum Boykott: Ein Nein oder eine Enthaltung zeichnet sich bei Schleswig-Holstein, Thüringen, Bremen, Hamburg, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Niedersachsen ab. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft kritisierte die geplante Ausweitung, die Landesgrünen in Hessen ebenfalls.
- Baden-Württemberg, regiert von Grünen-Ministerpräsident Winfried Kretschmann , könnte unter Umständen zustimmen - auch um die Koalition mit der CDU im Ländle nicht zu gefährden.
Emotional extrem aufgeladen
Warum kommt es ausgerechnet bei diesem Gesetz zum Showdown in der Länderkammer? Der ursprüngliche Anlass für die Ausweitung der sicheren Herkunftsstaaten ist politisch und emotional extrem aufgeladen. Hunderte Frauen waren zu Silvester am Kölner Hauptbahnhof von Männergruppen bedrängt und beraubt worden, auch Vergewaltigungen wurden angezeigt. Ein Großteil der etwa 160 Beschuldigten ist nach Angaben der Staatsanwaltschaft nordafrikanischer Herkunft.
Das Gesetz soll in erster Linie eine verunsicherte Öffentlichkeit beruhigen und potenzielle Zuwanderer aus dem Maghreb abschrecken. Das Leben der Menschen in Algerien, Marokko und Tunesien sei "grundsätzlich nicht gefährdet", sagt die Bundesregierung (mehr zur Rechtslage und zu sicheren Herkunftsstaaten: siehe Kasten unten).
Die Grünen hingegen wollen jetzt, gut ein Jahr vor dem Bundestagswahlkampf, ein Exempel statuieren und für menschenrechtliche Prinzipien werben. Sie prangern Verfolgung, Diskriminierung, Fälle von Folter in Nordafrika an, außerdem ist Homosexualität in allen drei Staaten strafbar. Aus Sicht der Grünen ist eine Einstufung als sichere Herkunftsländer unzumutbar - erst recht wenige Tage nach dem Anschlag auf einen Schwulenklub in Orlando.
Letzte Ausfahrt: Vermittlungsausschuss
Die Debatte wurde von Beginn an reichlich populistisch geführt - von allen Beteiligten. Migranten aus Nordafrika müssten Armut, aber keine Lebensgefahr fürchten, heißt es aus der Union, außerdem seien sie häufig an Straftaten beteiligt. Linke und Grüne wiederum lassen gern mal unter den Tisch fallen, dass es tatsächlich Probleme mit den Maghreb-Staaten gibt, sie abgelehnte Asylbewerber fast nie zurücknehmen.
Dabei ist die Gesamtsituation weniger angespannt als vor ein paar Monaten. Inzwischen kommen laut offizieller Statistik nur noch wenige Flüchtlinge aus diesen drei Staaten nach Deutschland. Das ist wohl auch ein Grund, warum das Kanzleramt nicht früher einen Kompromiss anstrebte - obwohl der Widerstand der grünen Länder schon vor Wochen absehbar war.
Kommt es am Freitag zur Abstimmung und scheitert sie, kann die Bundesregierung den sogenannten Vermittlungsausschuss anrufen. Dann müsste man weiter mit den Grünen nach einer Einigung suchen. Was der Partei wiederum Zeit verschaffen würde, ein Alternativmodell zur Herkunftsstaaten-Liste einzuspeisen.
Dann geht das Gerangel von vorne los.