Sicherheitsdebatte Mehrheit wünscht sich Überwachungskameras

Obwohl die Akzeptanz in der Bevölkerung da ist, hat Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Ländern einen riesigen Nachholbedarf bei Überwachungskameras. Datenschützer warnen dennoch vor einem Trend hin zur "Überwachungsgesellschaft".
Von Moritz Küpper

Berlin - Anfangs war es gewöhnungsbedürftig: "Als ich vor vier Jahren aus einer deutschen Kleinstadt in die Metropole London zog", schreibt Elisabeth von Glasenapp in einem Leserbrief in die deutsche Heimat, "fühlte ich mich von den endlosen Überwachungskameras furchtbar belästigt." Inzwischen weiß sie die "digitalen Augen" zu schätzen und wünsche sich, bei ihren Heimatbesuchen "in so mancher dunkler U-Bahn-Station eine gewisse Überwachung".

Die Ausweitung der Video-Überwachung wird seit langem in Deutschland diskutiert - erst vergangene Woche hatte nach den beiden Bombenfunden auf den Bahnhöfen in Koblenz und Dortmund Politiker von CDU und SPD verstärkte Videoüberwachung an Bahnhöfen gefordert.

Inzwischen - so das Ergebnis einer Studie, befürwortet die Mehrheit der Bevölkerung den Einsatz von Überwachungskameras. Die Studie "Urbaneye" hat zwischen 2001 und 2004 im europäischen Vergleich Ausmaß und Akzeptanzbedingung der Videoüberwachung gemessen. Laut Eric Töpfer vom Zentrum für Technik und Gesellschaft in Berlin, das die Untersuchung vornahm, sollen vor allem öffentlich Einrichtungen wie Hauptbahnhöfe überwacht werden.

Ähnliche Schlüsse zieht auch das Institut für Kriminologische Sozialforschung von der Universität Hamburg aus seiner aktuellen Studie: "Eine große Mehrheit stimmt den Kameras zu", sagt Stefan Czerwinski, "die Menschen machen sich relativ wenig Gedanken, um die Auswirkungen der Überwachung."

"Akzeptanz ohne Terroranschläge nicht denkbar"

Sein Kollege Töpfer erklärt das Phänomen des schwindenden Widerstands mit der technischen Entwicklung: Fotohandys, im Netz publizierte Privatbilder und -videos haben die Hemmschwelle sinken lassen, erklärt der Wissenschaftler. Auch die Terroranschläge in den letzten Jahren und die erfolgreiche Videoüberwachung bei der Fußball-Weltmeisterschaft im Sommer haben zu einer breiten Akzeptanz geführt.

"Bemerkenswert ist vor allem, dass sich der Diskurs in den letzten Jahren verschoben hat", sagt Töpfer. "Bei der Einführung der Überwachungskameras war die Präventionscharakter das entscheidende Argument." Studien hätten aber gezeigt, dass Kameras keine Präventivfunktion hätten. "Heute geht es darum, nach der Tat Aufklärungs- und Beweismaterial zu haben", so Töpfer. "Eine Akzeptanz bei dieser reibungslosen Verschiebung wäre ohne die Terroranschläge nicht denkbar."

Doch obwohl es in der deutschen Bevölkerung grundsätzlich Zustimmung gibt, ist die Videoüberwachung im europäischen Vergleich noch nicht weit verbreitet. "Es herrscht eine riesige Diskrepanz zwischen Deutschland und anderen europäischen Ländern", stellt Töpfer fest.

Jeder Brite wird dreihundertmal am Tag erfasst

So werden hierzulande 25 bis 30 Städte mit rund 100 Kameras überwacht, während in Frankreich knapp 300 Städte und in den Niederlanden rund ein Fünftel der Kommunen überwacht werden. In Großbritannien, dem "Videoüberwachungsland", werden 530 Städte von 40.000 Kameras überwacht. Insgesamt sollen auf der Insel rund 4,3 Millionen "digitale Augen" installiert sein, die jeden Bürger rund dreihundertmal am Tag erfassen.

Für Alexander Dix ist England deswegen "das negative Gegenbeispiel". Der Berliner Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit kann das Argument, dass die bewegten Bilder bei der Aufklärung dienlich seien, nicht nachvollziehen: "Meist sieht man die Täter doch nur von hinten, tragen Mützen und sind nach den Aufnahmen nicht zu erkennen."

Er begrüßt den engen rechtlichen Rahmen, den es in Deutschland gibt und der die Vorgehensweise auf drei Ebenen regelt: Bei Überwachung auf privatem Grund oder in Unternehmen kommt so das Bundesdatenschutzgesetz zur Anwendung. Paragraph sechs B schreibt vor, dass die Überwachung verhältnismäßig sein muss, Warnschilder aufzustellen seien und eine Kontaktadresse angegeben werden muss, an die sich Betroffene wenden können. Bei der Überwachung von staatlichen Unternehmen wie den öffentlichen Verkehrsmitteln kommt das Landesrecht zur Anwendung.

Grundlegender Wechsel der Sichtweise

Auch die Überwachung des öffentlichen Raumes durch die Polizei ist föderal geregelt. Hier greift das jeweilige Polizeirecht, mit teilweise unterschiedlichen Regelungen: "In Berlin wird eine Videoüberwachung angewandt, wenn es um gefährdete Objekte geht", sagt Dix, "in Brandenburger ist es schon weiter gefasst, da können auch gefährdete Orte überwacht werden."

Eine weitere Ausweitung befürchtet auch der Bundesbeauftragte für Datenschutz, Peter Schaar, der seit einiger Zeit vor einem "grundlegenden Wechsel in der Sichtweise der Sicherheitsbehörden" warnt: Der Trend ginge weg von der gezielten Beobachtung hin zur präventiven Rundumüberwachung. "Man kann sagen, dass wir uns immer mehr in einer Überwachungsgesellschaft befinden", stimmt Dix ihm zu, "der Bürger ist immer öfter bereit, Daten freizugeben und Eingriffe in seine Privatsphäre zu dulden."

Doch gerade hier sei der Datenschutzbeauftragte gefordert: "Wir müssen klar machen, welche Gefahren drohen", sagt er, "jeder Mensch hat ein Recht auf eine Privatsphäre."

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