Münchner Sicherheitskonferenz Steinmeier warnt vor "finsterer Zeit" des Nationalismus

Mahnende Worte zum Auftakt der Sicherheitskonferenz: Bundespräsident Steinmeier fordert von der deutschen Politik mehr Engagement für den Zusammenhalt Europas - und weniger missionarischen Eifer.
Aus München berichtet Christiane Hoffmann
Frank-Walter Steinmeier auf der Münchner Sicherheitskonferenz: "Ist es uns wirklich ernst mit Europa?"

Frank-Walter Steinmeier auf der Münchner Sicherheitskonferenz: "Ist es uns wirklich ernst mit Europa?"

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RONNY HARTMANN/ AFP

Der Referenzrahmen für diesen Auftritt ist klar: derselbe Ort, dasselbe Setting, München, Hotel Bayrischer Hof, die Sicherheitskonferenz - allerdings 2014. Damals hielt hier ein anderer Bundespräsident eine außenpolitische Grundsatzrede, und sie sollte noch lange nachhallen.

Joachim Gauck forderte von Deutschland, mehr Verantwortung in Europa und in der Welt zu übernehmen. Und Frank-Walter Steinmeier, damals noch Außenminister, sekundierte, die Bundesrepublik müsse sich außen- und sicherheitspolitisch "früher, entschiedener und substanzieller einbringen". Seinerzeit versprach Steinmeier, Deutschland werde "Impulsgeber" sein, für eine gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik. Doch wirklich einlösen konnte er das nicht.

Nun also wieder eine Rede Steinmeiers, diesmal als Bundespräsident, sechs Jahre später. Die Welt hat sich inzwischen von Grund auf verändert.

Deutschlands Aufgabe und vorderstes Interesse, das benennt Steinmeier ganz klar, sei nun vor allem eines: Europa zusammenzuhalten. "Dieses geeinte Europa wird nur überleben, wenn wir es als konkretesten Ort deutscher Verantwortung begreifen", so Steinmeier. "Ist es uns wirklich ernst mit Europa?", fragt der Bundespräsident. "Dann darf in Europas Mitte kein ängstliches Herz schlagen."

Deutschland müsse mehr zur Sicherheit Europas beitragen, fordert Steinmeier, "auch finanziell". Die Anstrengung, das Zweiprozentziel der Nato zu erreichen, sei "richtig und notwendig". Verteidigungsausgaben allein könnten aber nicht der "Maßstab für die Friedlichkeit und Sicherheit unserer Zukunft" sein. "Das militärische Instrument ist für unsere Sicherheit unverzichtbar, aber weder das erste noch das erfolgversprechendste", mahnt der Bundespräsident. Und außenpolitische Verantwortung ist aus Sicht Steinmeiers nicht mit militärischen Auslandseinsätzen gleichzusetzen. "Eine solche Gleichsetzung führt in die Irre".

Das transatlantische Verhältnis wird immer brüchiger

Steinmeier spannt einen historischen Bogen: 75 Jahre nach Kriegsende und zugleich 75 Jahre nach der Gründung der Vereinten Nationen macht er eine "zunehmend destruktive Dynamik der Weltpolitik" aus. Als Hauptverantwortliche dafür benennt er Russland, China und die USA. "Vom Ziel internationaler Zusammenarbeit zur Schaffung einer friedlicheren Welt entfernen wir uns von Jahr zu Jahr weiter", warnt er. "In diesem Zeitalter führt uns der Rückzug ins Nationale in eine Sackgasse, in eine finstere Zeit."

Wie also muss europäische Sicherheit gedacht werden, wenn das transatlantische Verhältnis immer brüchiger wird? Wie viel Eigenständigkeit braucht Europa, wie viel Vertrauen gibt es noch in die von Donald Trump geführten USA?

Gleich dreimal bezieht sich das deutsche Staatsoberhaupt auf den französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Er gibt ihm recht, er würdigt dessen sicherheitspolitische Grundsatzrede der vergangenen Woche, die "wichtig" gewesen sei. Macron hatte vor der Pariser Militärakademie einen "strategischen Dialog" der Europäer angeregt , in dem es auch um die Rolle der französischen Nuklearwaffen für die Verteidigung Europas gehen soll. Und Steinmeier fordert von der Bundesregierung, auf Macron einzugehen. "Wir sollten seine Einladung zum Dialog aufgreifen."

Zugleich aber nimmt Steinmeier Macrons zentrale Forderung nach "strategischer Autonomie" Europas nicht auf. Für ihn ist klar, dass europäische Sicherheit nicht ohne die Nato gedacht werden kann. "Für Deutschland ist die Entwicklung einer verteidigungspolitisch handlungsfähigen EU ebenso unabdingbar wie der Ausbau des europäischen Pfeilers der Nato", sagt er.

Nur auf das eine oder das andere zu setzen, hielte er für "strategische Kurzsichtigkeit". Es reiche nicht, die Europäische Union sicherheitspolitisch und militärisch starkzumachen. "Wir müssen auch in die transatlantische Bindung weiter investieren." Macron habe recht, wenn er sage: "Es geht nicht darum, ob wir uns mit oder ohne Washington verteidigen wollen. Die Sicherheit Europas gründet auf einem starken Bündnis mit Amerika."

"Die Sicherheit Europas gründet auf einem starken Bündnis mit Amerika."

Bundespräsident Steinmeier

In Steinmeiers Worten schwingt durchaus unterschwellige Kritik am Tonfall und an den Prioritäten deutscher Außenpolitik mit. Deutschland dürfe nicht nur mit Verweis auf seine historischen Wurzeln sagen, was es alles nicht tun könne. "Wir müssen stattdessen klarer sagen, wo und was wir zur Stärkung des europäischen Pfeilers in der Sicherheitspolitik beitragen können."

Steinmeier fordert mehr "Realismus, Offenheit und Neugier auf das Denken der anderen", er wünscht sich einen "realistischen Blick auf die Welt", der zugleich weder resigniert noch zynisch ist, sondern voller Neugier, "und gelegentlich auch etwas Demut".

"Als Deutschland und als Westen können wir die Welt nicht nach unserem Bilde gestalten", so der Bundespräsident. Deutschland dürfe seine Außenpolitik nicht mit "zu viel Heilerwartung überfrachten". Es stünde "insbesondere Deutschland" gut an, "der Welt weniger missionarisch entgegenzutreten".

Gleichzeitig dürfe man das Ziel einer internationalen Ordnung, die die Stärke des Rechts über das Recht des Stärkeren stelle, nicht aufgeben. "Selbstbewusst, nicht sendungsbewusst", fasst der Bundespräsident die Haltung zusammen, die er von der deutschen Außenpolitik fordert.

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