Sicherheitskonferenz "Ich bin nicht überzeugt!"

Mit einer engagierten Rede stellt sich Joschka Fischer auf der Münchner Sicherheitskonferenz gegen den Irak-Kurs der USA. US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld bleibt unbeeindruckt. Gefallen dürfte ihm indes die Nachricht, dass nun doch deutsche Patriot-Raketen in der Türkei verfügbar sein werden.

München - Joschka Fischer trägt seine Bendenken vor. Er spricht von weiteren Inspektionen im Irak, notfalls auch schärferen. Er tut es engagiert, seine Stimme vibriert an manchen Stellen. Der Außenminister legt sich ins Zeug, als gelte es, seine grüne Parteibasis zu überzeugen. Nur hier, im Großen Konferenzsaal im Hotel "Bayerischer Hof", sitzen am Samstag Verteidigungs- und Sicherheitsexperten aller Länder. Und hier sitzt auch der Vertreter des mächtigsten Landes der Welt, das dabei ist, das Problem Saddam Hussein mit Gewalt zu lösen.

"Sind wir schon am Ende aller militärischen Mittel angekommen?", fragt Joschka Fischer und dreht sich nach links um. Dort sitzt Donald Rumsfeld und nippt an seinem Wasserglas. Der US-Verteidigungsminister bleibt kühl, äußerlich fast unbewegt. Nur einmal grinst er, als Fischer im Verlaufe seiner Ausführungen seinen "Freund", den US-Außenminister Colin Powell, erwähnt.

Das sind die kleinen Spitzen, die sich Männer auf internationalen Parkett austeilen. Einen Freund wird Fischer den mächtigen Mann aus dem Pentagon wohl kaum nennen. Was geht in diesem Augenblick in Rumsfelds Kopf vor? Hält er Fischer für naiv, eben einen typischen Repräsentanten des "alten Europa"? Oder für einen Mann, der keine Entschlossenheit zeigt? Oder gar für einen gefährlichen Gegner, der den Unmut vieler Europäer und ihrer Bevölkerungen bündelt?

Rumsfeld hat auf der 39. Münchner Sicherheitskonferenz eine für seine Verhältnisse fast schon freundliche, zurückhaltende Rede gehalten. Gleich zu Beginn drückt der 70-Jährige sein Unverständnis über die Aufregung aus, die sein Wort vom "alten Europa" ausgelöst hat. In seinem Alter bedeute "alt" eine Art von Zuneigung, grinst er. Wenn er will, kann Rumsfeld so charmant sein wie er bei anderer Gelegenheit ruppig ist. In der bayerischen Landeshauptstadt hält er sich mit sarkastischen Bemerkungen zurück. Er beantwortet geduldig die Fragen, in der Sache aber bleibt er eisenhart. Niemand wolle Krieg, sagt er. "Aber die Risiken eines Krieges", lautet sein Schlüsselsatz, müssten abgewogen werden gegen die "Risiken, nichts zu tun", während der Irak an seinen Massenvernichtungszielen festhalte.

Rumsfeld stellt sich den Fragen

Fast eine Stunde lang stellt sich Rumsfeld den Fragen der Teilnehmer. Die meisten sind deutsche Politiker, die sich an ihn wenden. Mit einemmal wird der Saal, wie es die Grüne Antje Volmer beschreibt, zum Austragungsort einer "innerdeutschen Debatte". An den Stellungnahmen kann Rumsfeld ablesen, wie gespalten die politische Klasse Deutschlands ist. Die Vertreter von CDU und CSU bekunden ihre Loyalität - der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag Friedbert Pflüger betont, wenn sie die Wahlen gewonnen hätten, dann hätte Deutschland als neunter Staat die Erklärung der acht europäischen Regierungen zugunsten der USA mit unterschrieben. Die rot-grünen Vertreter versuchen es mit dem Spagat zwischen Beschwörungsformeln zum deutsch-amerikanischen Verhältnis und mit kritischen Fragen.

Manche überheben sich dabei - wie die Grünen-Chefin Angelika Beer. Während sie eine Frage an die andere reiht, wird Rumsfeld mächtig ungeduldig. "Mir geht das Papier aus", sagt er und der Saal lacht. Der Sozialdemokrat Gert Weisskirchen versucht es mit einem halben Appell, aber in der Sache geht es ihm nicht besser: "Ist es nicht so, dass wir eine Wahl haben zwischen Krieg und Containment?", fragt der SPD-Außenpolitiker. Rumsfeld lässt solche Bedenken höflich an sich abtropfen. Seit 1991 habe Saddam Hussein 17 Uno-Resolutionen gebrochen: "Er ist nicht eingedämmt worden." Es sei nun an der Uno, ihre Glaubwürdigkeit zu beweisen.

Rumsfeld lässt die Europäern nicht im Unklaren darüber, dass die Geduld der amerikanischen Regierung bald am Ende sein könnte. "Diplomacy has been exhausted", sagt er, was soviel heißt wie: "Die Diplomatie hat sich erschöpft". Gebe es noch eine Chance für eine friedliche Lösung? fragt sich Rumsfeld und schießt die Antwort gleich hinterher: "Sure", sicher. Wie sie aussehen könnte, lässt er offen. Aber weil er beiläufig vom "Regime-Wechsel" spricht, zu dem sich der US-Kongress in den 90ern verpflichtet hat, wird die Richtung deutlich: Saddam muss abtreten.

Gespaltenes Europa

Der Auftritt von Rumsfeld und Fischer in München ist auch in anderer Hinsicht bemerkenswert. Hier ist nichts geschauspielert, hier gibt es wirkliche, tiefgreifende Meinungsverschiedenheiten. Fischers Stimme wird fast ein wenig brüchig, als er ins Englische hinüberwechselt und zu Rumsfeld und dem Auditorium ruft: "Excuse me, I am not convinced" - Entschuldigen Sie, ich bin nicht überzeugt.

Es sind Augenblicke, in denen deutlich wird: Hier stehen sich zwei Konzepte, zwei politische Ansätze gegenüber. Auch wenn Fischer mehrmals betont, "Stärke und politische Visionen" gingen einher - der Zweifel an der amerikanischen Strategie bleibt. Fischer verweist auf den Einsatz in Afghanistan und dass dort noch viel Arbeit zu tun sei, er spricht von der gescheiterten saudi-arabischen Nahostinitiative. Und er gibt sichratlos: "Ich hätte mir gewünscht, dass die Vorgehensweise, die Agenda, eine andere gewesen wäre." Doch ist es nicht an Fischer, darüber zu entscheiden. Richard Perle, US-Regierungsberater, wird auf den Fluren des Hotels deutlich: Man könne das eine in Afghanistan tun und das andere nicht unterlassen. Es ist nicht zu übersehen. Hier in München wird nicht nur das getrübte Verhältnis Berlins zu Washington deutlich, auch die Uneinigkeit der Europäer ist offensichtlich. Portugals Verteidigungsminister Paulo Portas muss sich von Außenminister Joschka Fischer einen indirekten Rüffel abholen, als er von den Irrtümern des Pazifismus spricht. Er stimme ihm zwar zu, sagt Fischer. Doch dann legt er nach - wie ein Vertreter einer Mittelmacht. Er wisse nicht, wie viele Soldaten Portugal für den Anti-Terroreinsatz und in Afghanistan zur Verfügung stelle, merkt Fischer süffisant an, die Zahl deutscher Soldaten aber kenne er. Da geht ein Raunen durch den Pressesaal. Später, auf den Fluren des Hotels, sagt Portas, der zum ersten Mal auf der Sicherheitskonferenzist: Die Debatte sei "sehr offen" und "sehr zwanglos". Dann grinst er vieldeutig und geht.

Wie sehr es knirscht zwischen den Kriegsskeptikern in Europa und den USA zeigt sich auch am Beispiel Nato. Vergangene Woche erst hatten Frankreich, Belgien und Deutschland im Nato-Rat eine Entscheidung für militärische Hilfsmaßnahmen an die Türkei verzögert. Nun soll am Montag in Brüssel darüber entschieden werden, ob mit den Planungen für eine Militärhilfe des südöstlichsten Mitglieds begonnen wird. Deutschland könnte mit Besatzungen für AWACS-Überwachungsflugzeuge und Patriot-Luftabwehrraketen dabei sein. Es ist das einzige Mal, dass Rumsfeld rhetorisch heftig wird. Verteidigungsplanungen zu verhindern, sei "unentschuldbar", es sei jenseits seines "Vorstellungsvermögens", sagt der US-Verteidigungsminister. Fischer verteidigt sich. Man habe vor der letzten Sitzung des Uno-Sicherheitsrates kein "Build-up" gewollt - was soviel heißt wie: keine Drohkulisse.

Doch Fischer ist Realist. Er weiß, das sich am Ende Deutschland nicht auch noch seinen Bündnisverpflichtungen zum Schutze eines Nato-Partners entziehen kann. Nato-Generalsekretär George Robertson sei "informell" informiert, dass man "hart" daran arbeite, "um die Dinge voranzubringen". Und dann löst der deutsche Außenminister wieder ein Raunen aus. "Wir werden unseren Beitrag leisten", sagt er. Am späten Nachmittag wird Verteidigungsminister Peter Struck konkret: Die Deutschen werden Patriot-Raketen an die Niederländer liefern. Diese wiederum stationieren Flugabwehr-Batterien und Personal in der Türkei. Rumsfeld wird es mit Genugtuung gehört haben.

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