Gabriel trifft Clement Als wenn nix gewesen wäre

Einst wollte die SPD Wolfgang Clement rauswerfen. Plötzlich wird er von Parteichef Gabriel hofiert. Bei einem Termin in Berlin spielen sich die beiden die Bälle zu.
SPD-Chef Gabriel, Ex-Minister Clement: Ein bisschen Resozialisierung

SPD-Chef Gabriel, Ex-Minister Clement: Ein bisschen Resozialisierung

Foto: Jˆrg Carstensen/ dpa

Um viertel vor zehn spaziert Dirk Niebel die Friedrichstraße entlang. Der ehemalige Entwicklungshilfeminister ist schon eine Weile Rüstungslobbyist, aber es sind ausnahmsweise nicht Panzer oder Haubitzen, weswegen er an diesem Morgen unterwegs ist. "Ich guck mir mal an, was der Sigmar Gabriel so macht."

Das, was der Sigmar Gabriel so macht, ist nämlich neuerdings auch für FDP-Politiker wie Niebel interessant. Der SPD-Chef will die Genossen im Parteienspektrum in Richtung Mitte verschieben. Dass das nicht jedem Sozialdemokraten gefällt, ist für Gabriel ein Indiz dafür, auf dem richtigen Weg zu sein. An diesem Freitag stellt er das neue Buch von Wolfgang Clement vor, der jahrzehntelang in der SPD war, 2008 aber eine öffentliche Wahlempfehlung gegen die Genossen aussprach und deshalb aus der Partei ausgeschlossen werden sollte. Clement ging schließlich freiwillig, er steht inzwischen der FDP nah.

Gabriel will ihn ein Stück weit resozialisieren - vielleicht auch, um ein Signal an die Freidemokraten zu senden. Aber es ist eben auch der Sound von Clements Buch, der dem SPD-Chef gefällt. Das Werk heißt "Das Deutschland Prinzip", knapp 180 Autoren aus Politik, Wirtschaft und Kultur schwärmen darin von der Stärke der Republik. Hinter dem Projekt steht die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, ein Verein, der in der SPD als Sammelbecken für Neoliberale verschrien ist. Gabriel ist das egal. Er findet gut, dass die Initiative ausnahmsweise mal nicht über angebliche Auswüchse im Sozialstaat nörgelt.

"Auch ihr merkt endlich, dass das doch irgendwie ein ganz gutes Land ist", sagt er zu den Machern des - viereinhalb Kilo schweren - Buches.

Der Termin mit Gabriel tut Clement gut

Es ist ein etwas spezieller Termin. Man trifft sich im Keller des Kulturkaufhauses Dussmann. Rund hundert Leute sind gekommen. Unternehmer, Berater, Gründer. Einstecktücher, wohin man blickt. Dussmann-Chefin Catherine von Fürstenberg-Dussmann, Amerikanerin und früher mal Schauspielerin und Designerin, spricht ein Grußwort. "Er ist wirklich der ambassador für soziale Marktwirtschaft in Deutschland", sagt sie über Clement.

Nunja, das sehen manche anders. Als Wirtschafts- und Arbeitsminister in der Regierung von Gerhard Schröder hat Clement den Ein-Euro-Job erfunden und die Zeitarbeit ausgeweitet. In der SPD sieht man ihn nicht zuletzt deshalb als Verräter an den Idealen der Partei. Der Termin mit Gabriel tut Clement gut. Zuletzt hatte er leichte Schwierigkeiten, noch ernst genommen zu werden, er bewegte sich in dieser Hinsicht in etwa auf der Stufe von Hans-Olaf Henkel, dem ehemaligen Industriechef. Aber jetzt sitzt er wieder an der Seite des Vizekanzlers. Und ein bisschen ist es, als wenn nichts gewesen wäre.

Gabriel und Clement duzen sich, spielen sich die Bälle zu. Der Ex-Wirtschaftsminister hält eine kleine Ruck-Rede. Mit Kritik an Gabriel und dem Kurs der Großen Koalition hält er sich eher zurück. Stattdessen ein kleiner Forderungskatalog: Mehr Investitionen in Bildung, mehr Innovation, mehr politische Debatte, und eine entschlossene Digitalisierungsstrategie. "Wir brauchen eine Gründerkultur", fordert Clement. Dazu gehört aus seiner Sicht natürlich auch, die Bürokratie zurückzudrängen, wo es nur geht.

So so, die Bürokratie. Es gebe ja einige, die erzählten sich, dass diese sich gerade in Clements Amtszeit gewaltig ausgeweitet habe, sagt Gabriel und schiebt hinterher. "Ist bestimmt ein Gerücht, das nicht stimmt." Lacher im Publikum.

"Dummes Geschwätz"

Streit gibt es nicht zwischen den beiden, ein paar Unterschiede aber werden schon deutlich. Er teile ja die Rufe Clements nach mehr Innovation und zusätzlichen Anstrengungen im Bildungsbereich. Aber es gehe eben um "Wandel und Sicherheit", sagt Gabriel und verwendet damit eine Formel, die so klingt, als wolle er sie als Überschrift für seinen Wahlkampf 2017.

Gabriel knöpft sich die Mindestlohn-Kritiker vor und jene, die über die Rente mit 63 herfallen. Die beiden Projekte der Großen Koalition hat auch Clement schon gerüffelt. Da sei viel "dummes Geschwätz" von manch selbst ernannten Ordo-Liberalen dabei, schimpft Gabriel. Die Urväter des Ordo-Liberalismus hätten einst selbst für den Mindestlohn plädiert, sagt er. "Das waren ziemlich schlaue Leute. Aber man muss sie kennen, bevor man sich auf die öffentlich beruft." Da guckt das Publikum ein wenig verstört.

Clements Buch über die Errungenschaften der sozialen Marktwirtschaft lobt Gabriel in höchsten Tönen. "Wäre ich noch Politiklehrer, würde ich es im Unterricht einsetzen", sagt der SPD-Chef. "Es ist ein wirklich gutes Buch. Das ist nicht als Kompliment gemeint, sondern einfach eine Tatsachenbeschreibung."

Einen Tipp habe er aber doch. "Nicht immer nur über Digitalisierung reden", rät er Clement und zeigt auf den ungewöhnlich schweren Brocken. "Die viereinhalb Kilo kriegt man auf wenige Gramm, wenn man es als E-Book veröffentlicht."

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