Sigmar Gabriel trifft Wolfgang Clement Geliebte Provokation

SPD-Chef Gabriel provoziert gern - auch die eigene Partei. Am Freitag stellt er ein Buch des verstoßenen Genossen Wolfgang Clement vor. Für noch mehr Ärger dürfte aber sein neues Strategiepapier sorgen.
Sozialdemokrat Gabriel, Ex-Genosse Clement (Archivbild von 2000): Ab in die Mitte

Sozialdemokrat Gabriel, Ex-Genosse Clement (Archivbild von 2000): Ab in die Mitte

Foto: Wolfgang_Weihs/ picture-alliance / dpa

Neulich ist Wolfgang Clement mal wieder bei einer FDP-Veranstaltung aufgetreten. Im Bremer Bürgerschaftswahlkampf, gemeinsam mit Bundeschef Christian Lindner und der Spitzenkandidatin Lencke Steiner. Der frühere Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen und Superminister für Wirtschaft und Arbeit unter Gerhard Schröder nennt sich "Sozialdemokrat ohne Parteibuch", seitdem Clement 2008 mit dem freiwilligen Austritt erledigte, was ein Parteiordnungsverfahren nicht hatte erzwingen können. Aus Sicht vieler Genossen ist er schlicht ein Verräter.

Es dürfte daher ein interessanter Termin werden, wenn SPD-Chef Sigmar Gabriel am Freitagvormittag mit Clement in Berlin zusammentrifft: Gemeinsam wollen sie ein Buch vorstellen, das der verstoßene Sozialdemokrat im Auftrag der Initiative für Soziale Marktwirtschaft herausgegeben hat. Gabriel will mit Clement anschließend diskutieren. Thema: "Deutschlands Stärken und Schwächen und was die Politik jetzt tun sollte."

"Die aktuellen sozialdemokratischen Positionen zu den zentralen Themen Rente, Arbeitsmarkt und Energie sind aus meiner Sicht allesamt nicht akzeptabel", sagte Clement Ende vergangenen Jahres in einem Interview. Deshalb hat er in den vergangenen Jahren konsequenterweise immer wieder Wahlkampf für die FDP und gegen seine Ex-Partei gemacht.

Was hat Gabriel vor mit Clement?

Will Gabriel den Ex-Genossen wieder in die SPD holen? Mancher Sozialdemokrat traut dem Parteichef ja eine Menge zu, aber soweit dürfte der Vorsitzende nicht gehen. Jedenfalls ist der Termin mit Clement ein weiteres Signal Gabriels für seinen neuen SPD-Kurs: Er will mit aller Macht zurück in die politische Mitte, da wo Gerhard Schröder die Partei zeitweise positioniert hatte - und dafür ist Gabriel zu manchem Opfer bereit.

Die Basis für diesen Kurs haben Gabriel und seine SPD-Vordenker im Wirtschaftsministerium in den vergangenen Wochen auf 22 Seiten notiert. "Impulse für die sozialdemokratische Politik im kommenden Jahrzehnt" heißt es in der Überschrift des Papiers. Die SPD soll es breit diskutieren, am kommenden Montag wird es den Parteivorstand beschäftigen. Zwar hat das SPD-Präsidium der nun vorliegenden Fassung seinen Segen gegeben, aber wohl schon in der Sitzung am Montag wird es Widerstand geben. Die "Süddeutsche Zeitung" berichtet bereits von kritischen Reaktionen.

Moderner will der Vorsitzende seine Partei machen, innovativer, sie mittiger im Parteienspektrum platzieren. Und sie vor allem wieder näher an die Menschen heranrücken. "Es ist vor allem eine Haltungsfrage", heißt es in dem Papier, "Zuhören als ernst gemeintes Angebot (statt nur gespielter Attitüde) muss gerade die Haltung der Sozialdemokratie sein." Darum dürfte es Gabriel auch bei dem Clement-Termin gehen: Auch Verstoßenen wird zugehört.

Heikle Tonlage für Traditionsgenossen

Die Tonlage ist eine, mit der sich Traditionsgenossen schwertun werden. Der Staat spielt nur noch eine Nebenrolle, Erbschaft- oder Vermögensteuer bleiben ungenannt - überhaupt, so der Text, hat "nationale Umverteilungspolitik durch Steuern längst ihre Grenzen gefunden". Der Alltag der Menschen müsse zur Leitschnur werden, und dazu gehören "die Sorge vor Alltagskriminalität, 'Überfremdung' oder die Höhe der Rente gleichermaßen: Keine dieser Alltagssorgen darf der SPD fremd sein, auch dann nicht, wenn sie 'nur' subjektiv empfunden werden". So erklärt sich nachträglich auch Gabriels umstrittener Auftritt vom Januar mit Pegida-Anhängern in Dresden.

Viel Raum wird dem Begriff der Sicherheit eingeräumt, international wie national. Hier fällt stellenweise ein Ton auf, der an Schröders Innenminister Otto Schily erinnert. Neue Sicherheit bedeutet für Gabriel: "Null Toleranz bei Kriminalität und Gewalt, aus welchen Motiven auch immer, und eine angemessen ausgestattete Polizei." Dazu passt Gabriels entschiedene Haltung bei der Vorratsdatenspeicherung.

In einer frühen Fassung waren Gabriels Vordenker mit dem technologiekritischen Teil der Partei sehr hart ins Gericht gegangen. Es gebe eine gesellschaftlich breit verankerte Anti-Welle, die das Wachstumspotenzial der deutschen Volkswirtschaft unterminiere.

Nach dem Motto: "Wir wollen keine Atomenergie, kein Fracking, Banken nur in Form von Sparkassen, keine Freihandelsabkommen, keine Stromtrassen, am liebsten keine Kohleenergie, keine Gentechnologie und keine neuen großen Infrastrukturvorhaben." Das sorgte in den Führungsrunden jedoch für massiven Widerstand - und findet sich jetzt nur noch in deutlich entschlackter Form in dem Papier.

Aber auch so dürften Gabriel heftige Diskussionen mit der Partei bevorstehen. "Solidarität und Gerechtigkeit sind aktueller denn je", sagt Matthias Miersch, neu gewählter Sprecher der Parlamentarischen Linken. Und wie bestellt präsentierte Parteivize Ralf Stegner am Donnerstag ein 50-seitiges Papier seines schleswig-holsteinischen Landesverbandes, in dem Erbschaft- und Vermögensteuer sowie Verteilungsgerechtigkeit überhaupt breiten Raum einnehmen. Und ganz konkret heisst es: "Für die Umsetzung werden Mehrheiten links der Mitte nötig sein."

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