Europa-Kampfkandidatur bei den Grünen Ska Keller will deutsche Spitzenkandidatin werden

Franziska "Ska" Keller, Jahrgang 1981, ist seit 2009 Mitglied des Europaparlaments. Die Grünen-Politikerin wurde bei der "Green Primary" zur Spitzenkandidatin der europäischen Grünen für die Europawahl Ende Mai gewählt. Keller stammt aus Brandenburg, wo sie 2007 bis 2009 Grünen-Chefin war.
Berlin - Den Grünen steht ein munterer Parteitag am übernächsten Wochenende in Dresden bevor: Die Europaabgeordnete Ska Keller will nach ihrem Erfolg bei der Green Primary über die europäische Spitzenkandidatur nun auch Platz eins auf der deutschen Grünen-Liste für die Europawahl Ende Mai. Damit wird es zu einer Kampfkandidatur mit Rebecca Harms kommen. Harms, Fraktionschefin der Grünen im Europaparlament, war bisher einzige Anwärterin auf die deutsche Spitzenkandidatur.
Dazu könnten weitere Kampfkandidaturen kommen: So will der Europaabgeordnete Sven Giegold, auf Platz 2 gegen Ex-Parteichef Reinhard Bütikofer antreten. Giegold wird aber nur als Zeichen der Erneuerung antreten, falls Rebecca Harms zur Spitzenkandidatin gewählt wird.
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SPIEGEL ONLINE: Wollen Sie in Dresden Spitzenkandidatin der deutschen Grünen werden?
Keller: Ich habe mich entschieden, auf dem Europaparteitag auf Platz 1 anzutreten. Ich will den Delegierten damit ein Angebot machen.
SPIEGEL ONLINE: Warum sollten sie das annehmen?
Keller: Wir Grüne sind die Europapartei - also sollten wir das Ergebnis der Primary auch ernst nehmen. Das ist ein starkes Signal. Es war keineswegs sicher, dass man mich zur europäischen Spitzenkandidatin wählt, aber ganz offenbar habe ich viele Menschen überzeugen können. Nun können die Delegierten auch die Wahl haben, ob sie mich als deutsche Spitzenkandidatin wollen.
SPIEGEL ONLINE: Bei der Primary haben insgesamt nur rund 23.000 Menschen abgestimmt, davon wohl nur ein Drittel aus Deutschland - Sie sind trotzdem der Meinung, dass das Ergebnis Relevanz für die deutschen Delegierten hat?
Keller: Wir haben die Primary ja nicht für die Schublade gemacht. Natürlich hätten wir uns mehr gewünscht - aber 23.000 Teilnehmer sind durchaus ein Erfolg für so ein Experiment. Wir haben europaweite Debatten geführt und als erste Partei eine europaweite Abstimmung gewagt. Natürlich stecken wir damit noch in den Anfängen, aber einen ersten mutigen Schritt sind wir damit gegangen
SPIEGEL ONLINE: Sie sehen Ihre Wahl zur europäischen Spitzenkandidatin also als Mandat für die deutschen Delegierten?
Keller: Die Delegierten sind natürlich völlig frei in ihrer Entscheidung. Aber ich bewerbe mich als Konsequenz aus dem Erfolg bei der Primary.
SPIEGEL ONLINE: Wie schätzen Sie Ihre Chancen ein in Konkurrenz zu Rebecca Harms, die ebenfalls deutsche Spitzenkandidatin werden will?
Keller: Ich denke, dass ich gute Chancen habe.
SPIEGEL ONLINE: Obwohl Ihre Rivalin Harms die Fraktionschefin der Grünen im Europaparlament ist und seit Jahren Aushängeschild der deutschen Grünen in der Europapolitik?
Keller: Ja. Es ist ein offenes Rennen. Aber Fakt ist, dass ich bei der Primary vor Rebecca Harms gelandet bin und gezeigt habe, dass ich Menschen von grünen Ideen begeistern kann. Eine Auswahl auch auf den vorderen Plätzen zu haben, steht uns Grünen gut zu Gesicht: Das ist gelebte Demokratie, damit kennen wir Grünen uns aus.
SPIEGEL ONLINE: Was unterscheidet Sie inhaltlich von Rebecca Harms?
Keller: Ich bin Teil einer Generation, die mit Europa aufgewachsen ist - das ist ein großer Unterschied. Aufgewachsen an der polnischen Grenze habe ich gleichzeitig noch erlebt, wie es ist, mit Schlagbäumen groß zu werden, und wie Europa Grenzen überwinden kann. Jetzt will ich dabei mithelfen, wie Europa weiter zusammenwächst. Aber es gibt auch vieles, was sich in Europa verändern muss. Ich kämpfe für ein Europa, das den Menschen wieder eine Perspektive gibt. Und ich stehe für ein solidarisches und offenes Europa, das sich nicht abschottet, sondern Flüchtlinge schützt. Das müssen wir Grünen im Wahlkampf nach vorne stellen
SPIEGEL ONLINE: Ihnen ist schon bewusst, dass Ihre Kandidatur einiges auf dem Parteitag durcheinanderbringen wird?
Keller: Wir Grüne sind nie schlecht gefahren, wenn es eine personelle Auswahl gab. Es ist gut, den Delegierten die Entscheidung zu überlassen. Das ist auch ein Unterschied zu anderen Parteien, die zuvor ausgehandelten Listen zur Scheinabstimmung stellen.