Sorge vor Großer Koalition CDU spielt Neuwahl-Szenario durch

Kanzlerin Merkel, Fraktionschef Kauder (im Plenarsaal): Misstrauen gegen SPD
Foto: Wolfgang Kumm/ dpaWenn Unionsfraktionschef Volker Kauder in den Jahren der Großen Koalition über seinen SPD-Amtskollegen Peter Struck sprach, lobte er den Sozialdemokraten in den höchsten Tönen. Der SPD-Fraktionsvorsitzende war ein "verlässlicher Partner", die Chemie zwischen Kauder und dem "guten Freund" stimmte. Ein "Glücksfall", freute sich der CDU-Mann.
Wenn sich Kauder dagegen mit dem aktuellen sozialdemokratischen Spitzenpersonal beschäftigt, steigt sein Blutdruck bedenklich. Peer Steinbrücks Wahlkampfattacken seien "unseriös", Erklärungen von Parteichef Sigmar Gabriel gar "nichts wert". Einzig Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier findet vor seinen Augen Gnade. Doch auch ihm hat Kauder schon mal vorgeworfen, er verschleudere Steuermittel wie "Spielgeld". Dass sich die SPD mit einer Neuauflage der Großen Koalition schwertun würde, ist bekannt. Die Sozialdemokraten wollen nicht noch einmal von Angela Merkel kleinregiert werden wie in den Jahren 2005 bis 2009. Doch auch führende Unionspolitiker wie Kauder finden an Schwarz-Rot als Ausweichlösung immer weniger Gefallen.
So gerät zu Beginn des müden Sommerwahlkampfs eine vermeintliche Gewissheit ins Wanken: Es ist keineswegs sicher, dass die Union die SPD automatisch in die Arme schließt, sollte es für Schwarz-Gelb nicht reichen. Zwar schließt Kanzlerin Angela Merkel eine Große Koalition ausdrücklich nicht aus. Dies wäre "völlig unglaubwürdig", ließ sie am Wochenende wissen. Doch in einem kleinen Kreis führender Unionsstrategen macht bereits ein radikales Planspiel die Runde: Was passiert, wenn es stattdessen zu Neuwahlen käme?
Taktische Warnungen und tiefes Misstrauen
Es ist eine Debatte, die es aus Sicht der CDU eigentlich gar nicht geben dürfte. Offiziell stehen Merkel, Kauder und Co. in Treue fest zum Koalitionspartner FDP und verbitten sich Fragen für den Fall eines Scheiterns. Das Problem ist nur, dass derzeit selbst die günstigsten Umfragen allenfalls eine hauchdünne Mehrheit für Schwarz-Gelb versprechen.
Bislang war das vielen Unionspolitikern herzlich gleichgültig, für den Notfall gab es ja die Sozialdemokraten. Einige hätten es sogar begrüßt, wenn sich endlich die Chance böte, die nervigen Liberalen gegen die SPD auszutauschen. "Diese Stimmung hat sich gedreht", stellt Armin Laschet fest, einer von Merkels Stellvertretern an der CDU-Spitze. "Es ist ein später Zauber", sagt Finanzstaatssekretär Steffen Kampeter augenzwinkernd über die neue Sehnsucht nach Schwarz-Gelb.
Natürlich hat die Union großes Interesse, die Chancen für eine Neuauflage der Großen Koalition kleinzureden. Das Bündnis ist bei den Wählern beliebter als jede andere Koalition. Ihnen will die CDU einbläuen, dass eine Stimme für die SPD eben keine halbe Stimme für Merkel ist.
Doch die Warnungen sind nicht nur taktischer Natur. Denn die Liste der Gründe, die aus Sicht der Union gegen eine Neuauflage von Schwarz-Rot sprechen, wird beinahe täglich länger. Scharfe Vorwürfe der SPD gegen die Kanzlerin in der NSA-Affäre, der Linksruck unter Gabriel, die Forderungen nach Vermögensteuer und Euro-Bonds. Zudem verschreckt das Führungschaos an der SPD-Spitze die auf Gehorsam getrimmte Christenunion. "Einer neuen Großen Koalition würde der Stabilitätsanker fehlen", sagt der Parlamentarische Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe im Bundestag Stefan Müller. Die Achse Kauder-Struck gibt es nicht mehr.
Bundespräsident müsste Weg zu Neuwahlen freimachen
Vor allem das Misstrauen gegen SPD-Chef Gabriel sitzt tief. Er würde, so die Unterstellung, eine schwarz-rote Regierung bei erster Gelegenheit platzen lassen. So könnte er erreichen, wofür ihm nach der Bundestagswahl womöglich noch die Chuzpe fehlt - Rot-Rot-Grün. "Die SPD liebäugelt immer mehr mit der Linken. Sie ist nicht mehr die SPD von 2005", warnt CDU-Mann Laschet. Die Drohung mit einem Linksbündnis würde wie ein Damoklesschwert über einer Großen Koalition hängen. Ähnlich sieht das Laschets Parteifreund Kauder.
Allerdings haben CDU und CSU kaum eine Alternative. Nach einem Wahlkampf mit Steuererhöhungen und Veggie-Day wäre eine Regierung mit den Grünen der Unionsbasis kaum zu vermitteln. So reifen im Stillen die Überlegungen für den Fall, dass sich beide Lager nach der Wahl wie festbetoniert gegenüberstehen, weil sich weder Union noch SPD zu einem Bündnis durchringen können und Rot-Rot-Grün nicht zustande kommt.
Wenn es keine klaren Mehrheiten gibt, kommt es auf den Bundespräsidenten an. Joachim Gauck muss dem Bundestag einen Kandidaten zur Kanzlerwahl vorschlagen. So sieht es das Grundgesetz vor. Doch was ist, wenn es keinen Kandidaten gibt, der eine Mehrheit erhalten könnte? Dann wäre die Wahl aus Sicht der Unions-Strategen gescheitert. Als letzter Ausweg kämen, falls Gauck nicht das Wagnis einer Minderheitsregierung eingehen wollte, nur Neuwahlen in Frage.
Es wäre eine Situation, wie sie die Republik noch nicht erlebt hat. Doch die CDU-Strategen ficht das nicht an. "Besser eine Neuwahl mit der Chance auf eine stabile Regierung", heißt es, "als eine dauerhaft instabile Große Koalition."