Gekürztes Elterngeld Bestraft für die gute Tat

Eine schwangere Frau nimmt ein halbes Jahr Pflegezeit, um ihren krebskranken Vater in dessen letzten Lebensmonaten zu begleiten. Als ihr Sohn geboren wird, bekommt sie deswegen nur wenig Elterngeld. Eine von vielen Ungerechtigkeiten gegenüber den Millionen Menschen, die Angehörige pflegen.
Kathrin Schweppe-May mit Jakob: "Gesetz ist Gesetz"

Kathrin Schweppe-May mit Jakob: "Gesetz ist Gesetz"

Foto: SPIEGEL ONLINE

Jakob purzelt auf seiner Babydecke herum. Er ist acht Monate alt, und das mit dem Gleichgewicht ist manchmal noch eine unkalkulierbare Sache. Mit seinen blauen Augen strahlt er seine Mama an. Sein Opa hätte diesen Blick gern einmal erwidert. Aber er hat den Kleinen nicht mehr kennenlernen können. Er ist fünf Wochen vor Jakobs Geburt im vergangenen November gestorben. An Lungenkrebs. Obwohl er nie geraucht hat.

Kathrin Schweppe-May, Jakobs Mutter, hat sich in den sechs Monaten vor dem Tod ihres Vaters intensiv um ihn gekümmert. Sie nahm von Mai bis November 2012 ein halbes Jahr Pflegezeit, ließ sich von ihrer Arbeit bei einer PR-Agentur in Hamburg freistellen, um ihrem Vater in Unterfranken in dessen letzten Lebensmonaten nah zu sein und ihrer Mutter zu helfen, die mit der Situation allein nicht fertig wurde. Die beiden Frauen pflegten den 63-Jährigen zu Hause - er sollte nicht in einem Heim sterben.

Sie trafen damit den gleichen Entschluss wie so viele Angehörige von Schwerstkranken oder Behinderten. Von den 2,5 Millionen Pflegebedürftigen in Deutschland werden knapp 1,2 Millionen von ihren Partnern, Kindern oder Eltern zu Hause versorgt. Das bedeutet eine enorme Ersparnis für die Sozialkassen. Würden all diese Menschen vollstationär in Heimen versorgt, müssten allein dafür 3,2 Millionen Vollzeitarbeitskräfte eingestellt werden, hat der Sozialverband VdK errechnet. Das würde Lohnkosten von bis zu 145 Milliarden Euro ausmachen, erklärt dessen stellvertretender Bundesgeschäftsführer, Jens Kaffenberger. "Das System würde ohne die Angehörigen zusammenbrechen."

615 statt 1200 Euro

Schweppe-May kommt ihr Engagement teuer zu stehen. Weil die 33-Jährige in der Pflegezeit kein Geld verdient hat, fällt ihr Elterngeld viel niedriger aus als erwartet: 615,95 Euro im Monat statt rund 1200. Das will sie so nicht hinnehmen.

Es ist jedoch nur eins der Probleme, auf die Schweppe-May stieß. Denn während sie ihren Vater pflegte, hatte sie auch noch mit einem bürokratischen Monster zu kämpfen. Denn der Teufel steckt bei der Pflegezeit im Detail. Wer zahlt die Krankenversicherungsbeiträge? Und wie steht es mit Arbeitslosen- und Rentenversicherung? Schweppe-May berichtet von diversen ergebnislosen Telefonaten, keiner fühlte sich zuständig. "Bei der Krankenkasse wusste überhaupt niemand Bescheid. Ich hatte den Eindruck, die hatten damit noch nie zu tun." Erst im Mai 2013, ein Jahr nach Beginn der Pflegezeit, konnte die Agentur für Arbeit in Hamburg endgültig klären, dass die Pflegekasse die Beiträge für die Arbeitslosenversicherung zahlen muss.

In der Tat fehlt den beteiligten Stellen die Routine in solchen Fällen: Die Gesetze zur Pflegezeit von 2008 und zur Familienpflegezeit von 2012 gehen offenbar weitestgehend am Bedarf der Schwerstarbeit leistenden Angehörigen vorbei. Kaum jemand nutzt die Angebote. Laut Pflegeversicherungsbericht der Bundesregierung waren es bei der Pflegezeit in den ersten vier Jahren gerade mal 18.000 von 480.000 Anspruchsberechtigten - 3,75 Prozent. Noch desaströser sind die Zahlen der von Familienministerin Kristina Schröder eingeführten Familienpflegezeit: Es gab nicht einmal 200 Versicherungsanträge in anderthalb Jahren. Als die Zahlen vor wenigen Wochen bekannt wurden, sprach die Deutsche Stiftung Patientenschutz von einem "Flop mit Ansage" und forderte einen gesetzlichen Rechtsanspruch. Bisher sind die Betroffenen auf den guten Willen ihres Arbeitgebers angewiesen.

Dabei kann es jeden treffen - auch den Arbeitgeber. Der Vater wird dement, die Mutter erleidet einen Schlaganfall, das Kind hat einen Unfall, der Partner bekommt Krebs. Es kann morgen passieren. Und es passiert nicht immer nur den anderen.

"Da war nicht nur das Ende vor Augen"

Kathrin Schweppe-Mays Vater war sehr sportlich, und als er Schmerzen in den Beinen bekam, tippte niemand darauf, dass sie von Metastasen vom Lungenkrebs herrühren könnten. Es dauerte Monate, bis die Ursache klar war - und dann nur noch ein Jahr, bis er starb. Für die Tochter war es selbstverständlich, dass sie ihren Eltern hilft. Trotz der großen Entfernung, trotz der Schwangerschaft. "Für meinen Papa war es schön, dass da nicht nur das Ende vor Augen war, sondern auch ein neues Leben."

Die Problematik rund um die häusliche Pflege wird sich in den kommenden Jahren dramatisch verschärfen. Die stille Reserve der Hausfrauen, die den schwierigen Job bisher übernommen hat, schrumpft. Immer mehr Frauen sind berufstätig. Und man muss es sich erstmal leisten können, für die Pflege eines Angehörigen teilweise oder ganz auf sein Einkommen zu verzichten. Deshalb fordert der VdK einen Rechtsanspruch auf flexible Arbeitszeiten und Telearbeitsplätze - zumindest da, wo es möglich ist. Und der Rentenanspruch für Pflegezeiten müsse mit denen für Erziehungszeiten gleichgesetzt werden. Außerdem müsse es mehr Entlastung für die Pflegenden geben. "Das ist ein dickes Brett, das weiß ich", sagt Kaffenberger.

Die Politik hat bisher nicht viel mehr als warme Worte für die Betroffenen übrig. Zwar hatte FDP-Chef Philipp Rösler, als er noch Gesundheitsminister war, 2011 zum Jahr der Pflege ausgerufen. Doch aus der wuchtig angekündigten Reform ist bis heute kaum etwas geworden. Auch die Große Koalition davor und Rot-Grün unter Schröder haben nichts Substantielles gerissen. Dabei sind die Folgen des demografischen Wandels seit Jahrzehnten bekannt.

"Gesetz ist eben Gesetz"

Im Wahlkampf spielt das Thema Pflege bisher keine größere Rolle. In den Wahlprogrammen der Parteien taucht es aber sehr wohl auf. Wieder versprechen alle großen Einsatz. Die SPD will vor allem auch die häusliche Pflege stärken - zusätzliche Kosten sollen mit einem um 0,5 Prozentpunkte steigenden Beitrag zur Pflegeversicherung gedeckt werden. Dass die Kosten steigen werden, weiß auch die CDU. "Wir sagen in unserem Wahlprogramm auch, dass in einer älter werdenden Gesellschaft humane Pflege uns weiter Geld kosten wird", sagte Generalsekretär Gröhe kürzlich. Wofür das Geld ausgegeben werden soll, sagte er nicht.

Kathrin Schweppe-May will weiter versuchen, das volle Elterngeld zu bekommen. Einspruch hat sie bereits eingelegt. Sie hat sich an die Hamburger Sozialbehörde gewandt und ans Familienministerium in Berlin. "Ich habe immer wieder zu hören bekommen, dass mein Einwand gerechtfertigt sei, aber Gesetz sei eben Gesetz." Die Elterngeldstelle in Hamburg hat ihr nun geraten zu klagen, falls ihr Einspruch abgelehnt wird - und durchaus Erfolgschancen prognostiziert. Aber bis ein Urteil fallen könnte, geht Jakob vielleicht schon in die Schule.

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