Soziologe Ulrich Beck "Eine Volkswirtschaft steckt die andere an"

Auf alles haben sich die Nationen eingestellt in der vernetzten, rasant wachsenden Weltwirtschaft - nur nicht auf eine Krise der Globalisierung. Der renommierte Soziologe Ulrich Beck warnt im SPIEGEL-ONLINE-Interview: Von der folgenden politischen Misere werden vor allem die Kräfte rechtsaußen profitieren.

SPIEGEL ONLINE: Die Exporte brechen auf breiter Front ein, der Welthandel wird dieses Jahr wohl erstmals schrumpfen. Ist das Konzept der Globalisierung gescheitert?

Beck: Der Prozess der Entgrenzung, wie wir ihn seit dem Mauerfall erlebt haben, wird sich wohl kaum so fortsetzen. Der Glaube ist erschüttert, dass freie Märkte die Probleme der Menschen lösen, dass es also allen besser geht, wenn wir nur den Markt sich selbst überlassen.

SPIEGEL ONLINE: Immerhin hat die Globalisierung in vielen Schwellenländern eine neue Mittelschicht von Hunderten Millionen Menschen hervorgebracht, die heute besser lebt als früher.

Beck: Es gibt zweifellos Gewinner, denen sich neue berufliche Perspektiven eröffnet haben. Aber nach unseren Untersuchungen überwiegt die Zahl der Verlierer.

SPIEGEL ONLINE: Wer gehört zu ihnen?

Beck: Es sind alle Menschen, die in den vergangenen Jahren bereits Einkommenseinbußen hinnehmen mussten und deren Existenzgrundlage nun bedroht ist. Die Globalisierung hat das Versprechen auf stetig wachsenden Wohlstand für viele ins Gegenteil verkehrt. Diese Vorstellung war allerdings auch ziemlich naiv angesichts der Erfahrungen, die wir nach zwei Jahrhunderten kapitalistischer Krisen gewonnen haben. Niemand konnte erwarten, dass nun plötzlich der grenzenlose Honeymoon ausbricht.

SPIEGEL ONLINE: Was bleibt dann übrig von der Globalisierung der vergangenen zwanzig Jahre?

Beck: Es gibt eine seltsame Paradoxie: Einerseits sehen wir deutliche Anzeichen dafür, dass sich die ökonomische Integration verlangsamt. Andererseits kann sich kein Land vom globalen Trend abkoppeln, eine Volkswirtschaft steckt die andere an. Die Interdependenz, auch was Terrorismus oder Klimawandel angeht, nimmt sogar noch zu.

SPIEGEL ONLINE: Aus der Finanzkrise ist eine Wirtschaftskrise geworden. Wird nun daraus eine politische Krise?

Beck: Das steht zu befürchten. Einen Rückfall in nationalstaatlichen Egoismus betrachte ich derzeit als die größte Gefahr. Wir sehen schon jetzt fremdenfeindliche Tendenzen in Ländern wie Großbritannien oder Italien.

SPIEGEL ONLINE: Das bedeutet, die Rechte profitiert von der Globalisierungskrise?

Beck: Noch haben wir in Deutschland keine nennenswerte intellektuelle Rechte. In anderen Ländern sind bereits solche Bewegungen entstanden. Es ist nicht die alte, rückwärts gewandte Rechte, die sich nun zum Beispiel in Großbritannien formiert, sondern eine neue Gruppe, die verschiedene Elemente auf merkwürdige Weise miteinander kombiniert: Sie steht für Menschenrechte und fordert zugleich die Ausgrenzung von Migranten.

SPIEGEL ONLINE: Wie sollte die Politik damit umgehen?

Beck: Ich fürchte, sie wird dem nationalen Druck nachgeben. Leider sind wir gedanklich völlig unvorbereitet in die Krise gegangen. Gleichzeitig erleben wir einen ungeheuren Aktivismus der Politik. Die Regierungen wollen ihre Autorität unter Beweis stellen. Es werden Unsummen ausgegeben, obwohl keiner so genau weiß, ob das Geld auch wirkt.

SPIEGEL ONLINE: Halten Sie die Konjunkturprogramme oder Rettungspakete für überflüssig?

Beck: Das müssen Ökonomen beurteilen. Ich stelle nur fest, dass wir mit nationalstaatlichen Mitteln versuchen, auf globale Risiken zu reagieren. Es ist die große Illusion dieser Epoche, sich davon Erfolg zu versprechen. Nationale Antworten helfen uns in einer so vernetzten Welt nicht weiter. Nehmen Sie nur die Abwrackprämie: Der deutsche Staat spendiert Geld, mit dem sich der Verbraucher dann einen Renault kauft - und nicht einen Mercedes.

SPIEGEL ONLINE: Bundeskanzlerin Angela Merkel hat doch wegen der globalen Dimension der Krise eigens einen Weltwirtschaftsrat angeregt?

Beck: Sie mag zwar global reden, aber sie handelt nationalstaatlich. Als Frankreich und Großbritannien die Idee einer gemeinsamen europäischen Wirtschaftspolitik äußerten, war es gerade die Kanzlerin, die sich dagegen gesträubt hat.

SPIEGEL ONLINE: Welche Institution könnte denn eine gemeinsame Krisenstrategie entwickeln?

Beck: Am ehesten wohl die Gruppe der G-20-Länder, die sich Anfang April in London trifft. Ich hoffe, dass dort etwas zustande kommt, selbst wenn es nur ein kleines, aber weltweit abgestimmtes Paket sein wird. Wir haben schon zu viel Zeit verstreichen lassen.

Das Interview führte Alexander Jung
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
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