NSA-Skandal Merkel spricht mit Obama über Spähaktionen

US-Präsident Obama mit Kanzlerin Merkel (beim Berlin-Besuch):
Foto: Marcus Brandt/ dpaBerlin/Washington - Es dürfte schon angenehmere Gespräche zwischen US-Präsident Barack Obama und Bundeskanzlerin Angela Merkel gegeben haben. Am Mittwochabend telefonierten die beiden Politiker - es ging um die Spähaktionen durch den US-Geheimdienst NSA. Obama habe versichert, Bedenken der europäischen Partner sehr ernst zu nehmen, teilte das Weiße Haus in Washington mit. Er habe versprochen, den Europäern Informationen über die Aktivitäten der US-Dienste zur Verfügung zu stellen.
Regierungssprecher Steffen Seibert erklärte, eine Arbeitsgruppe von Geheimdienstexperten aus den USA und der EU könnte bereits am kommenden Montag ihre Arbeit aufnehmen. Der Expertendialog soll sich laut Bundesregierung "vor allem um Fragen der Aufsicht über die Nachrichtendienste, der Nachrichtengewinnung sowie die Themen Datenschutz und Schutz der Privatsphäre" drehen.
Die Arbeitsgruppen tagen parallel zum Start der Verhandlungen über das transatlantische Freihandelsabkommen. Daran will Merkel festhalten; Frankreich hatte zuletzt vorgeschlagen, die Gespräche zu verschieben.
Politikern von FDP und SPD ist die Haltung der Kanzlerin zu weich. Sie fordern unmittelbare Konsequenzen aus den Vorwürfen gegen die USA. Die Bundesregierung gerät immer stärker unter Druck: Das Auftreten von Innenminister Hans-Peter Friedrich ist selbst innerhalb der Koalition umstritten.
Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner sprach sich dafür aus, den automatischen Datenaustausch mit den USA zu unterbrechen. "Ein solcher Datenaustausch ist erst wieder sinnvoll, wenn es ein gemeinsames Verständnis von bürgerlichen Freiheiten gibt", sagte Lindner der "Welt". Dass es den USA vor allem um Terrorbekämpfung gehe, stellte er in Frage: "Außenvertretungen der EU sind sicherlich kein Rückzugsgebiet für islamistischen Terror."
"Überwachung ist aus den Fugen geraten"
Nach Informationen des SPIEGEL überwachen die US-Amerikaner offenbar gezielt EU-Vertretungen: In einem als "streng geheim" eingestuften Papier der NSA vom September 2010 wird beschrieben, wie die NSA die diplomatische Vertretung der EU in Washington attackiert. Demnach wurden nicht nur Wanzen in dem Gebäude im Zentrum der US-Hauptstadt installiert. Auch das interne Computernetzwerk wurde infiltriert. Das geht aus geheimen Dokumenten hervor, die der Whistleblower Edward Snowden besitzt.
Zudem fand der SPIEGEL heraus, dass die NSA in Deutschland monatlich rund eine halbe Milliarde Telefonate, E-Mails oder SMS überwacht - systematisch wird ein Großteil der Telefon- und Internetverbindungsdaten kontrolliert und gespeichert. Die USA betrachten Deutschland in Geheimdokumenten zwar als Partner, zugleich aber auch als Angriffsziel.
SPD-Bundestagsfraktionschef Frank-Walter Steinmeier forderte die US-Regierung am Mittwoch auf, die Abhöraktionen zu stoppen. Die Internet- und Telefonüberwachung des US-Geheimdienstes NSA sei aus den Fugen geraten.
SPD-Chef Sigmar Gabriel griff das Krisenmanagement der Bundesregierung an und forderte rechtliche Schritte. Er rief die Bundesanwaltschaft dazu auf, Ermittlungen gegen die Verantwortlichen der beteiligten Nachrichtendienste einzuleiten. "Es handelt sich um einen Angriff auf in der Verfassung geschützte Grundrechte", sagte Gabriel SPIEGEL ONLINE. "Ich fände es angemessen, wenn die Bundesanwaltschaft ein Verfahren gegen die Verantwortlichen der amerikanischen und britischen Geheimdienste anstrengt."
Zugleich appellierte Gabriel an die deutsche Justiz, den von den USA gejagten Ex-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden in Moskau zu befragen und gegebenenfalls in ein Zeugenschutzprogramm aufzunehmen. Snowden hat unter anderem für Deutschland Asyl beantragt. Die Bundesregierung lehnt dies ab.