- • Kanzler-Handy im US-Visier?: Merkel beschwert sich bei Obama
- • Kanzler-Handy im US-Visier?: Westerwelle bestellt US-Botschafter ein
Spähvorwürfe: SPD stellt Freihandelsgespräche mit USA in Frage
Foto: Markus Schreiber/ AP/dpaBerlin - Die USA und die Europäische Union verhandeln seit Juli über eine Freihandelszone. Doch nach den neuen Spähvorwürfen gegen US-Geheimdienste - die womöglich das Handy der Kanzlerin ausgeforscht haben könnten - stellen einige Sozialdemokraten das Vorhaben in Frage.
Es sei für ihn kaum vorstellbar, mit den USA ein Freihandelsabkommen abzuschließen, wenn das Land Freiheitsrechte der Bürger gefährde, sagte SPD-Chef Sigmar Gabriel nach einem Treffen mit dem französischen Sozialistenchef Harlem Désir in Berlin. Jetzt sei eine klare und eindeutige Antwort Europas auf die Abhöraffäre um den US-Geheimdienst NSA gefordert.
EU-Parlamentschef Martin Schulz (SPD) forderte das Aussetzen der Freihandelsgespräche mit den USA. "Ich glaube schon, dass wir jetzt mal unterbrechen müssen", sagte Schulz am Donnerstag in Brüssel am Rande eines Treffens der europäischen Sozialdemokraten. "Es gibt bestimmte Standards und Kriterien, die müssen erfüllt sein, sonst macht es ja keinen Sinn, miteinander zu sprechen", sagte Schulz.
SPD-Chef Gabriel war der erste deutsche Spitzenpolitiker, der am Donnerstag im Zusammenhang mit den neuen Spähvorwürfen das größte Freihandelsprojekt der Welt in Frage stellte. Die Position ist für die SPD allerdings nicht neu: Der damalige Kanzlerkandidat Peer Steinbrück forderte im Wahlkampf, die Verhandlungen über das Freihandelsabkommen zwischen EU und den USA so lange auszusetzen, bis die Dimension der Spionage bis ins Letzte aufgeklärt ist.
Nun könnte das Thema erneut ganz oben auf der EU-Agenda sein. Am Donnerstag startet in Brüssel ein Gipfel der Europäischen Union. Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatschef François Hollande werden dabei nach Angaben aus Paris auch über die neuen Spionagevorwürfe gegen die US-Geheimdienste beraten.
Frankreich hatte bereits im Juli nach den ersten NSA-Enthüllungen gefordert, die Freihandelsgespräche zu verschieben. Deutschland blockte den Vorstoß jedoch ab.
Nach einer SPIEGEL-Anfrage im Zuge aktueller Recherchen geht die Bundesregierung dem Verdacht nach, dass Merkels Handy überwacht worden sein könnte. Sie telefonierte am Mittwoch bereits mit US-Präsident Barack Obama und habe klargemacht, "dass sie solche Praktiken, wenn sich die Hinweise bewahrheiten sollten, unmissverständlich missbilligt und als völlig inakzeptabel ansieht", so ihr Sprecher Steffen Seibert. Das Auswärtige Amt bestellte am Donnerstag den US-Botschafter ein.
Als Konsequenz aus den Spähaktionen der NSA hat das Europäische Parlament bereits ein vorläufiges Ende des Zugriffs von US-Terrorfahndern auf hiesige Bankdaten gefordert. Die Mehrheit der Abgeordneten stimmte am Mittwoch in einer nicht-bindenden Resolution für eine Aussetzung des Swift-Abkommens, das den Austausch von Informationen zwischen den US- und EU-Behörden über internationale Überweisungen regelt. "Wir dürfen uns nicht alles gefallen lassen", sagte die SPD-Innenexpertin Birgit Sippel SPIEGEL ONLINE.
Jetzt fordern auch EU-Parlamentarier weitergehende Konsequenzen. Die Europäische Union tue gut daran, neben dem Swift-Abkommen mit den USA auch andere Verträge auszusetzen, die den Informationsaustausch regelten, sagte der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Fraktion im Europaparlament, der Österreicher Hannes Swoboda. Die NSA sei ein "über sich hinausgewachsener Apparat in den USA, der alles und jedes ausspionieren will".
Der grüne Innenexperte Konstantin von Notz forderte am Mittwoch - noch vor Bekanntwerden der neuen Vorwürfe - ebenfalls, dass auch andere Abkommen zwischen den USA und der EU überprüft werden müssten. Er verwies explizit auf die Gespräche zum Transatlantischen Freihandelsabkommen. Die EU-Politiker müssten auf ihrem Gipfel "zum NSA-Skandal klar und unmissverständlich Position beziehen und gemeinsam ein deutliches Zeichen in Richtung USA senden".
Geplant war, dass mit der neuen Freihandelszone die weltgrößte Wirtschaftszone der Welt entstehen sollte, und im besten Fall mehr Wachstum, Jobs und sinkende Preise folgen. Das Vorhaben ist jedoch umstritten.
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Außenminister Guido Westerwelle mit US-Botschafter John B. Emerson (im August 2013): Das auswärtige Amt hat den US-Botschafter in Berlin wegen der Handy-Affäre um Kanzlerin Merkel einbestellt.
Das Handy von Angela Merkel steht im Blickpunkt: Wurde das Gerät von der NSA überwacht? Gab es einen Lauschangriff der USA auf die deutsche Bundeskanzlerin?
Um Fragen wie diese zu stellen, rief Merkel bei US-Präsident Barack Obama an. In dem Gespräch habe die CDU-Politikerin klargemacht, "dass sie solche Praktiken, wenn sich die Hinweise bewahrheiten sollten, unmissverständlich missbilligt und als völlig inakzeptabel ansieht", sagte ihr Sprecher Steffen Seibert.
Obama-Besuch in Berlin im Juni 2013: Die mutmaßliche Überwachung des Handys der Kanzlerin durch den US-Geheimdienst NSA könnte zum einen zu diplomatischen Verwerfungen zwischen Berlin und Washington führen.
Zum anderen könnte auch das persönliche Verhältnis zwischen Merkel und Obama dauerhaft Schaden nehmen. Beim ersten offiziellen Besuch Obamas in Berlin prosteten sich die Staatsoberhäupter noch zu.
Auch beim G20-Treffen in St. Petersburg (im September 2013) waren beide Seite an Seite zu sehen. Merkel hat sich für den US-Präsidenten vor allem in Wirtschaftsfragen zur zentralen Ansprechpartnerin in Europa entwickelt.
Vor zwei Jahren hofierte Obama die Kanzlerin im Weißen Haus und verlieh ihr die Freiheitsmedaille, die höchste zivile Auszeichnung der USA.
Kanzleramtschef Ronald Pofalla (CDU) war der erste Regierungsvertreter, der die NSA-Affäre für beendet erklärte. Seine Äußerung, die "vermeintliche Totalausspähung in Deutschland" sei vom Tisch, erntete Spott nicht nur im Internet.
Anschließend verkündete auch Innenminister Hans-Peter Friedrich: Die NSA-Affäre könne abgehakt werden. Alle Verdächtigungen hätten sich "in Luft aufgelöst", so der CSU-Politiker.
Die NSA ist der größte der 16 US-Geheimdienste, zuständig für das Abhören und Auswerten elektronischer Kommunikation weltweit. Hier ein Bild von der Zentrale in Fort Meade, Maryland.
Wie umfassend die Überwachung ist, hat der Whistleblower Edward Snowden enthüllt - in vielen Ländern der Welt war das Entsetzen über die Spähaktionen groß. Zehntausende geheime Dokumente hat der ehemalige NSA-Mitarbeiter Snowden an Medien weitergegeben.
Auch in den USA mehrte sich die Kritik, NSA-Chef Keith Alexander musste sich vor dem US-Parlament rechtfertigen. Er sah sich sogar gezwungen, seine Mitarbeiter und deren Familien in einem Brief zu beruhigen: Darin schrieb er, manche Medien hätten die Enthüllungen "sensationalisiert" und die Motive der NSA in Frage gestellt. Seinen Vertrag will er nicht mehr verlängern.
Blick auf die NSA-Zentrale in Fort Meade: Der Dienst hat 40.000 Mitarbeiter. Das jährliche Budget liegt zwischen acht und zehn Milliarden Dollar. Neuen Enthüllungen zufolge verknüpfen die Spione Orts-, Telefon- und Internetdaten etwa mit Bank- und Fluggastdaten sowie Versicherungsinformationen. So entstehen umfassende Personenprofile.
Die NSA ist der wohl größte Informationssammler weltweit. Um die Datenberge auszuwerten, haben die Cyberspione einen gigantischen Server-Komplex in der Provinz von Utah errichtet. Kosten: zwei Milliarden Dollar.
Das Rechenzentrum in Utah ist für große Datenmengen ausgelegt. Doch US-Senatoren wollen die Befugnisse der NSA künftig beschneiden: Sie haben eine Reform angekündigt, die die massenhafte Telefonüberwachung verbietet. Alexander protestierte dagegen vehement.
Logo der NSA: Lange Zeit wurde selbst die Existenz des Geheimdienstes geleugnet, der ohne Wissen des Kongresses 1952 gegründet wurde.
Um Fragen wie diese zu stellen, rief Merkel bei US-Präsident Barack Obama an. In dem Gespräch habe die CDU-Politikerin klargemacht, "dass sie solche Praktiken, wenn sich die Hinweise bewahrheiten sollten, unmissverständlich missbilligt und als völlig inakzeptabel ansieht", sagte ihr Sprecher Steffen Seibert.
Foto: Rainer Jensen/ dpaBlick auf die NSA-Zentrale in Fort Meade: Der Dienst hat 40.000 Mitarbeiter. Das jährliche Budget liegt zwischen acht und zehn Milliarden Dollar. Neuen Enthüllungen zufolge verknüpfen die Spione Orts-, Telefon- und Internetdaten etwa mit Bank- und Fluggastdaten sowie Versicherungsinformationen. So entstehen umfassende Personenprofile.
Foto: AP/dpaMelden Sie sich an und diskutieren Sie mit
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