SPD-Antrag zur Wehrpflicht Freiwillige Kampfansage an die Union

Mit der Forderung nach einer "freiwilligen Wehrpflicht" läutet SPD-Chef Kurt Beck die Abkehr von der Wehrpflicht ein. Damit verlässt die SPD den Grundkonsens der Bundesrepublik und den Boden des Koalitionsvertrags - aber gewinnt einen neuen Wahlkampfrenner.

Berlin - Häufig sind es die umständlichen Sätze, die die größte Sprengkraft haben. "Wir streben an, zum Dienst in den Streitkräften künftig nur noch diejenigen einzuberufen, die sich zuvor bereit erklärt haben, den Dienst in der Bundeswehr leisten zu wollen", heißt es in dem Antragsentwurf der SPD-Führung, den der Parteivorstand am Montag beschließen soll.

Der Satz ist eine kleine Revolution. Damit verabschiedet sich die SPD-Führung de facto von einer Institution der Nachkriegsgeschichte: der Wehrpflicht. Die Bundeswehr soll zur Freiwilligen-Armee werden - bislang ein Tabu in den deutschen Volksparteien.

Nach dem Willen der SPD müssten junge Männer zwar immer noch die obligatorische Musterung über sich ergehen lassen. Eingezogen aber würde nur noch, wenn die Bundeswehr ihren jährlichen Bedarf an Rekruten nicht aus Freiwilligen decken kann - ein unwahrscheinliches Szenario. Auch zum Zivildienst könnte niemand mehr gezwungen werden, denn hierbei handelt es sich um einen Ersatzdienst für Wehrpflichtige.

Wehrgerechtigkeit nur noch auf dem Papier

Der Streit um die Abschaffung der Wehrpflicht tobt in der SPD seit Jahren. Besonders die Jusos haben immer wieder daran erinnert, dass die derzeitige Praxis unhaltbar ist. Die Wehrgerechtigkeit steht längst nur noch auf dem Papier: Nur ein Fünftel der Männer eines Jahrgangs leistet derzeit ihren Wehrdienst ab.

Dennoch hatte sich die SPD-Führung bis zuletzt gegen diesen Traditionsbruch gestemmt. Vizekanzler Franz Müntefering, Fraktionschef Peter Struck und Parteichef Kurt Beck wollten das Konzept des "Staatsbürgers in Uniform" nicht aufgeben. Die gesellschaftliche Verankerung der Soldaten in der Gesellschaft ist Teil des Gründungskonsenses der Bundesrepublik.

Die Wehrpflichtgegner in der SPD sind aber inzwischen so stark geworden, dass die Parteiführung eine Zerreißprobe auf dem Parteitag im Oktober befürchtete. Sie wollte um jeden Preis verhindern, dass zwei Anträge, einer pro und einer contra Wehrpflicht, vorliegen und am Ende die Mehrheit des Parteitags gegen die Linie des Parteivorstands stimmt.

Union: SPD bricht Koalitionsvertrag

Der Kompromiss-Antrag, den Beck am Montag vorlegt, soll nun beiden Seiten erlauben, das Gesicht zu wahren. In dem Text, der SPIEGEL ONLINE vorliegt, ist daher nicht von der Abschaffung der Wehrpflicht die Rede, sondern von der "Fortentwicklung" zu einer "freiwilligen Wehrpflicht". Auch wird betont, die gesellschaftliche Verankerung der Bundeswehr müsse erhalten bleiben.

Die Rhetorik kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Parteiführung nachgegeben hat. Die Wehrpflichtgegner triumphieren. "Das ist die faktische Abschaffung der Wehrpflicht", sagte der Juso-Vorsitzende Björn Böhning SPIEGEL ONLINE. Die Bundeswehr beziffere ihren Bedarf auf 30.000 Rekruten jährlich. Angesichts einer Jahrgangsstärke von 400.000 jungen Männern würden sich immer genug Freiwillige finden, zeigte sich Böhning überzeugt.

Der Vorstoß von SPD-Chef Beck mag den eigenen Laden befrieden, sorgt aber für erheblichen Ärger an einer anderen Front. Der Antrag der SPD stehe "im deutlichen Widerspruch zum Koalitionsvertrag", schimpfte Andreas Schockenhoff, der zuständige Unionsfraktionsvize, gegenüber SPIEGEL ONLINE. Darin bekenne sich auch die SPD zur allgemeinen Wehrpflicht als der "nach wie vor besten Wehrform".

Der Antrag laufe de facto auf die Abschaffung der Wehrpflicht hinaus, sagte Schockenhoff. Zudem höhlten die Vorschläge "die im Grundgesetz verankerte Dienstpflicht" aus. Sie seien daher "nicht akzeptabel".

Die Empörung der Union dürfte den SPD-Parteivorstand allerdings nur in seinem Vorhaben bestärken. Schließlich verbessert jeder weitere Grundsatzkonflikt zwischen den Koalitionspartnern die Chancen, 2009 tatsächlich den gewünschten Richtungswahlkampf zu führen. Neben dem Mindestlohn wäre die Wehrpflicht ein weiteres Thema, das für Emotionen sorgt und gerade junge Wähler locken dürfte. Obendrein setzt Beck so ein weiteres Signal für eine Ampel: Auch FDP und Grüne wollen die Wehrpflicht abschaffen.

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