Arbeitsministerin Nahles im Interview "Es gibt zu viele Burn-out-Opfer"

Warum sind so viele Deutsche unzufrieden mit ihrem Job und erkranken deshalb? Arbeitsministerin Nahles setzt auf mehr Qualifizierung und bessere Führung. Ihrer Partei macht die SPD-Politikerin Mut für die kommenden Wahlen.
Ministerin Nahles: "Arbeitgeber animieren, neue Modelle zu ermöglichen"

Ministerin Nahles: "Arbeitgeber animieren, neue Modelle zu ermöglichen"

Foto: Sean Gallup/ Getty Images

Wie werden wir in Zukunft arbeiten? Mit dieser Frage will sich die zuständige Bundesministerin intensiv beschäftigen - Andrea Nahles hat das Thema "Arbeiten 4.0" zu einem Schwerpunkt gemacht, am Donnerstag wird sich das Kabinett bei einer Klausur in Meseberg damit beschäftigen.

"Vor allem sehe ich meine Verantwortung darin, mich um die Menschen zu kümmern, die noch ohne Internet in die Arbeitswelt gestartet sind und sich nun darin zurechtfinden müssen", sagt die SPD-Politikerin Nahles. "Ich will noch in dieser Legislaturperiode entsprechende Gesetze umsetzen." Die Arbeitsunzufriedenheit der Deutschen sei zu hoch, "es gibt zu viele Burn-out-Opfer", so Nahles. Auch die Grenzen zwischen Privatleben und Beruf müssten neu austariert werden. Den Sonntag wünscht sich die Sozialdemokratin weiter als freien Tag. "Aber auch da scheint sich in der Gesellschaft etwas zu verändern", sagt sie.

Ihrer Partei spricht Nahles für die Zukunft Mut zu. "Es gab noch keinen Politiker in Deutschland, der unbesiegbar war - auch Merkel nicht", sagt sie über die CDU-Vorsitzende und Bundeskanzlerin. "Aber erst mal ist die SPD gut beraten, gut zu regieren und ihr Profil zu schärfen."

Lesen Sie das komplette SPIEGEL-ONLINE-Interview:

SPIEGEL ONLINE: Frau Nahles, wir wollen mit Ihnen über die Arbeit reden. Sind Sie mit Ihrem Job zufrieden?

Nahles: Ja. Ich kann anpacken und gestalten, das gefällt mir.

SPIEGEL ONLINE: Gar nichts zu meckern?

Nahles: Natürlich gibt es auch Dinge, die nerven. Vor allem, dass ich oft den ganzen Tag nicht rauskomme an die frische Luft. Und: dass es immer wieder Überraschungen gibt, die ich nicht eingeplant habe. Aber ich darf mich schon sehr glücklich schätzen: Als Arbeitsministerin kann man das Land ein Stück gerechter machen, es ist der Job, den ich immer haben wollte.

Zur Person
Foto: Jörg Carstensen/ dpa

Andrea Nahles, Jahrgang 1970, ist seit Ende 2013 Bundesministerin für Arbeit und Soziales. Zuvor war die Sozialdemokratin aus Menden in der Vulkaneifel vier Jahre lang Generalsekretärin der SPD. Die frühere Juso-Chefin, lange Zeit Wortführerin der SPD-Linken, hat eine vierjährige Tochter.

SPIEGEL ONLINE: Als Ministerin wollen Sie jetzt die Arbeitszufriedenheit der Deutschen verbessern und starten einen großen Dialog über "Arbeiten 4.0". Klingt für uns nach einer PR-Veranstaltung, bei der nicht viel herauskommen wird. Was soll das Ganze?

Nahles: Nur heiße Luft machen ist nicht mein Ding. Was ich anpacke, meine ich ernst: Ich will noch in dieser Legislaturperiode entsprechende Gesetze umsetzen. Wir haben ein Grünbuch "Arbeiten 4.0" aufgesetzt und alle eingeladen, mit ihren Ideen an diesem Prozess mitzuwirken. Unsere Gesellschaft steckt in einem radikalen Strukturwandel, der zwar sicher nicht das Ende der Arbeit bedeutet, aber eine Menge an Veränderungen. Dazu kommt: Die Arbeitszufriedenheit in Deutschland ist viel niedriger, als es in einem so hoch entwickelten Land sein sollte. Es gibt zu viele Burn-out-Opfer.

SPIEGEL ONLINE: Was hat sich da verändert?

Nahles: In den vergangenen zehn Jahren hat sich der Ausfall an Arbeitstagen wegen psychischer Belastung verdoppelt, das Zutrittsalter bei Erwerbsminderung ist von 58 auf 48 Jahre gefallen. Da müssen wir ran! Das ist nicht zuletzt auch im Sinne der Arbeitgeber.

SPIEGEL ONLINE: Was wollen Sie tun?

Nahles: Viele glauben ja, mit dem Herunterladen ihrer Lieblingsserie aufs Tablet seien sie in der Zukunft angekommen - aber die Digitalisierung betrifft ganz besonders auch unser Arbeiten. Wir wollen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer darauf vorbereiten, welche Veränderungen sie mit der fortschreitenden Digitalisierung im Job erwartet. Vor allem sehe ich meine Verantwortung darin, mich um die Menschen zu kümmern, die noch ohne Internet in die Arbeitswelt gestartet sind und sich nun darin zurechtfinden müssen.

Burn-out-Selbstprüfung
Foto: Corbis

SPIEGEL ONLINE: Das heißt konkret?

Nahles: Qualifizierung, Fachkräftesicherung, mehr Partizipation der Beschäftigten, aber auch da kümmern, wo neue Arbeit, neue Hotspots entstehen - und nicht zuletzt auch die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

SPIEGEL ONLINE: Sie wollen die Arbeitsqualität, so steht es im Grünbuch Ihres Ministeriums, auch durch bessere Führung verbessern. Wie soll das funktionieren?

Nahles: Wir wollen die Arbeitgeber dazu animieren, neue Modelle zu ermöglichen. Vom Arbeitnehmer 4.0 wird immer mehr Flexibilität verlangt - das muss die andere Seite dann aber auch erfüllen. Bessere Führung heißt dann beispielsweise: Es muss möglich sein, Führungsaufgaben auch in Teilzeit wahrzunehmen. Wir versuchen das gerade in meinem Ministerium.

SPIEGEL ONLINE: Klappt es?

Nahles: Eher nicht so gut, weil es noch eine Menge Hindernisse gibt. Da sind wir dran, ein Selbstläufer ist das jedenfalls nicht. In der Zukunft werden solche Modelle eine immer größere Rolle im Wettbewerb der Arbeitgeber um die besten Arbeitskräfte einnehmen.

SPIEGEL ONLINE: Was ist mit dem Thema Arbeitszeiten?

Nahles: Das ist ebenfalls zentral. Die Frage ist: Bestimmt Arbeit künftig den Takt des Lebens genauso wie bisher? Wünschenswert wäre, das zu entzerren.

SPIEGEL ONLINE: Also keine Trennung mehr zwischen Privatleben und Arbeit?

Nahles: Doch, natürlich, aber wir dürfen auch keine Angst-Debatte führen: Es geht um das richtige Maß, vernünftige Kompromisse - dann profitieren beide Seiten. Natürlich müssen wir auch über das Arbeitszeitgesetz reden, das ist noch an der Arbeitswelt 3.0 ausgerichtet. Mehr Arbeit von zu Hause kann bei dem einen mehr Freiheit bedeuten, bei der anderen nicht. Es muss jeder den passenden Weg finden können. Das meine ich mit Flexibilität. Ich will Arbeitnehmerrechte wahren und mehr Flexibilität schaffen. Das geht.

SPIEGEL ONLINE: Ihre Amts-Vorgängerin Ursula von der Leyen wollte berufliche E-Mails am Wochenende verbieten.

Nahles: Von starren Prinzipien halte ich nichts. VW ist da auch eher rigoros, BMW nicht, bei Daimler läuft gerade eine Mitarbeiterbefragung zu diesem Thema. Daran sieht man: Die Politik kann hier Leitplanken vorgeben, aber doch nicht über die einzelnen Branchen, Betriebe und Regionen Vorschriften machen. Elf Stunden Arbeitsruhe bei einer Krankenschwester sind weiterhin richtig - aber bei einem Angestellten, der abends seine Kinder ins Bett bringt und anschließend noch mal arbeitet, sieht das wieder anders aus.

SPIEGEL ONLINE: Wann schalten Sie Ihr Smartphone oder iPad aus?

Nahles: Wenn ich nach Hause zu meiner Familie komme, schalte ich mein Smartphone aus, weil ich mich dann meiner vierjährigen Tochter widme. Ich lege das Gerät dann immer an den gleichen Ort, aufs Fensterbrett. Alles andere wäre meiner Tochter nicht zuzumuten.

SPIEGEL ONLINE: In diesen Stunden kann man Sie nicht erreichen, auch nicht die Bundeskanzlerin?

Nahles: Für Notfälle gibt es noch eine Festnetznummer. Ansonsten treffe ich feste Verabredungen, wie auch im Urlaub: Da weiß mein Ministerium, dass ich jeden Morgen mein Smartphone einschalte und E-Mails checke - danach nicht mehr. Und auch da gibt es eine Notfallnummer, unter der ich zu erreichen bin.

SPIEGEL ONLINE: Und der Sonntag - soll der grundsätzlich frei bleiben?

Nahles: Persönlich würde ich uneingeschränkt sagen: Ja. Der freie Sonntag ist für mich wichtig, nicht nur als religiöser Mensch. Das ist ein Tag der Familie und des kollektiven Sammelns. Aber auch da scheint sich in der Gesellschaft etwas zu verändern.

SPIEGEL ONLINE: Sie haben als Arbeitsministerin ein Gesetz nach dem anderen durchs Kabinett gebracht, aber die Wähler scheinen es nicht zu honorieren. Warum kommt die SPD in den Umfragen nicht auf die Beine?

Nahles: Das sind Umfragen. Bei den Wahlen der letzten Zeit standen wir durchaus gut da. Bis zu den nächsten Landtagswahlen wird sich hoffentlich noch mehr bewegen. Was man jetzt schon sagen kann: Die Arbeit der SPD in der Großen Koalition ist vertrauensbildend. Fehlendes Vertrauen hat uns in der Vergangenheit besonders zu schaffen gemacht, aber wir holen auf und halten Wort.

Ministerin Nahles, CDU-Kanzlerin: Ist sie Merkels Lieblings-Sozialdemokratin?

Ministerin Nahles, CDU-Kanzlerin: Ist sie Merkels Lieblings-Sozialdemokratin?

Foto: © Thomas Peter / Reuters/ REUTERS

SPIEGEL ONLINE: Ist Angela Merkel unbesiegbar?

Nahles: Nein. Es gab noch keinen Politiker in Deutschland, der unbesiegbar war - auch Merkel nicht. Aber erst mal ist die SPD gut beraten, gut zu regieren und ihr Profil zu schärfen.

SPIEGEL ONLINE: Sie haben die Große Koalition zu Beginn skeptisch gesehen - ist nach vier Jahren definitiv Schluss mit Schwarz-Rot?

Nahles: Am Ende entscheiden das die Wähler. Natürlich hat ein solches Bündnis auf Zeit auch Vorteile, beispielsweise bei großen Projekten wie der Neuordnung der Bund-Länder-Finanzen oder dem Mindestlohn. Und die Bürger scheinen, wohl auch wegen der außenpolitischen Herausforderungen, ganz zufrieden mit der Großen Koalition zu sein. Aber dauerhaft - wie in Österreich beispielsweise - dürfte daran keiner der Partner ein Interesse haben. Und der Demokratie tut es auch nicht gut.

SPIEGEL ONLINE: Ein vorzeitiges Ende der Koalition schließen Sie aus?

Nahles: Ja. Dafür müsste es einen außerordentlichen Grund geben, und den sehe ich im Moment nicht. Im Gegenteil: Wir haben noch viel vor.

SPIEGEL ONLINE: Ist Parteichef Sigmar Gabriel 2017 als SPD-Kanzlerkandidat gesetzt?

Nahles: Wir haben uns mit dieser Frage bisher nicht beschäftigt und ich rate dringend davon ab, sich dazu in Spekulationen zu ergehen. Als ehemalige Generalsekretärin kann ich sagen: Es liegt viel Würze in einer kurzen Kampagne.

SPIEGEL ONLINE: Eine Dreierkonstellation dürfte 2017 die einzige Chance für die SPD sein, den Kanzler zu stellen. Ist mit dem Erstarken der FDP auch ein Ampel-Bündnis möglich?

Nahles: Dafür müsste die FDP tatsächlich erstarken und klarmachen, wofür sie steht. Das sehe ich aktuell nicht. Jetzt machen wir erst mal unsere Arbeit in der Großen Koalition.

SPIEGEL ONLINE: Wie kommen Sie eigentlich mit der Rolle als Merkels Lieblings-Sozialdemokratin klar?

Nahles: Wie kommen Sie denn darauf?

SPIEGEL ONLINE: Man hört das immer wieder.

Nahles: Ich beanspruche die Rolle nicht für mich. Das bleibt das Geheimnis von Frau Merkel, wen sie von den Sozis am liebsten hat.

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