»Ungeheuerlich und menschenverachtend« SPD attackiert Spahn wegen neuen Masken-Desasters

Gesundheitsminister Jens Spahn
Foto: Kay Nietfeld / picture alliance/dpaWegen einer neuen Maskenaffäre gerät Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) immer stärker in Bedrängnis. »Diese Vorgänge im Bundesgesundheitsministerium sind ungeheuerlich und menschenverachtend«, sagte SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil dem SPIEGEL. »Der Minister muss sich dazu schnellstmöglich erklären, er kann hier nicht mit dem Finger auf andere zeigen.« Es sei »eine Grenze überschritten«.
Der SPIEGEL hatte enthüllt, dass Spahns Ministerium Anfang 2020 für schätzungsweise eine Milliarde Euro unbrauchbare Masken gekauft hatte. Weil sie offenbar regulär nicht verteilt werden durften, wollten Spahns Leute sie demnach in Sonderaktionen an Hartz-IV-Empfänger, Behinderte und Obdachlose abgeben.
Masken sollen vernichtet werden
Inzwischen sieht der Plan vor, die nutzlosen Masken in der Nationalen Reserve Gesundheitsschutz einzulagern. Von dort sollen sie nur in einem Katastrophenfall ausgegeben werden dürfen. Um sie verschwinden zu lassen, sollen sie nach Erreichen der Verfallszeit vernichtet werden .
Klingbeil sagte, die »Liste an Fehlern, die Jens Spahn in der Pandemie zu verantworten hat«, werde immer länger. Der neue Fall könne »nicht ohne Konsequenzen bleiben, wenn Menschen hier wie zweiter Klasse behandelt werden«.
Bärbel Bas, Vizechefin der SPD-Bundestagsfraktion, sagte dem SPIEGEL: Es sei ihr ein »absolutes Rätsel«, wie ein Minister auf die Idee kommen könne, »nicht ausreichend getestete und damit vermutlich minderwertige Masken« in Sonderaktionen an Menschen mit Behinderungen zu verteilen. »Wenn sich das bestätigt, gleichen die Vorgänge einer moralischen Bankrotterklärung des Ministers«.
Spahn »nicht tragbar«
Auch aus anderen Parteien gab es scharfe Kritik. Linkenchefin Janine Wissler legte Spahn kaum verhohlen den Rücktritt nahe. Sie nannte das Verhalten des Gesundheitsministeriums »menschenverachtend und abgründig«. Es stelle sich die Frage: »Was sagt das über das Menschenbild von Jens Spahn aus, wenn er zulässt, dass minderwertige Masken an Hartz-IV-Bezieher, Obdachlose und Menschen mit Behinderung verteilt werden?« Ein Minister, der bereit sei, diese vulnerablen Gruppen bewusst zu gefährden, »ist nicht tragbar«.
Der Linken-Gesundheitsexperte Achim Kessler forderte einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss. »Die Pandemiebekämpfung wird durch zahlreiche und gravierende Fehlentscheidungen von Gesundheitsminister Spahn zum Milliardengrab für Steuergelder«, sagte Kessler. Er verwies zum Beispiel auf die fehlende Kontrolle bei Anbietern von Schnelltests, die jüngst bekannt geworden war. Und auf den Skandal um CDU-Abgeordnete, die an Maskendeals verdient hatten. »Der Minister muss für all diese Fehlentscheidungen zur Rechenschaft gezogen werden.«
Der Gesundheitsexperte der FDP-Fraktion im Bundestag, Wieland Schinnenburg, sprach von einem »schwerwiegenden Vorgang«. Spahn müsse »entweder glaubhaft dementieren oder Konsequenzen ziehen«. Es sei unverständlich, »wie verantwortliche Politiker auf solche Ideen kommen können«. Seine Fraktionskollegin, Medizinrechtsexpertin Katrin Helling-Plahr, sagte: »Spahn hat nun auch das letzte Fünkchen Vertrauen in seine Arbeit als Minister verspielt.«
Die jüngsten Äußerungen legen den Schluss nahe, dass sich die Affäre zum Wahlkampfthema entwickelt. Im Bund regieren Union und SPD in einer Großen Koalition. Ende September wird der Bundestag neu gewählt. SPD-Generalsekretär Klingbeil verband seine Kritik an Spahn mit einer Attacke auf Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet.
»Die Ministerinnen und Minister der Union glänzen vor allem mit handwerklichen Fehlern und Chaos«, sagte Klingbeil. »Das fällt auch auf Herrn Laschet zurück.« Er sei gemeinsam mit CSU-Chef Markus Söder für die Leistung der Ministerinnen und Minister verantwortlich. »Die beiden decken damit auch die Ministeriums-Fehler.«
Der Sozialverband VdK Deutschland zeigte sich entsetzt. VdK-Präsidentin Verena Bentele sagte dem SPIEGEL: Das Verhalten im Ministerium zeuge »von einem inakzeptablen Menschenbild«. Dass die Masken in der nationalen Notreserve jetzt »auf das Überschreiten ihres Ablaufdatums warten sollen, um still und heimlich entsorgt zu werden, macht die Sache nicht besser«.
Derartige »Milliarden-Verschwendungen« dürften »nicht einfach so zu den Akten gelegt werden«. Bentele verwies darauf, dass dieses Geld etwa für die Entlastung von Pflegenden und für Heimbewohner »bitter nötig« gewesen wäre.