Kritik an Bundestagsritual Wenn die Regierung bestimmt, was die Opposition fragen darf

Angela Merkel
Foto: Michael Sohn/ APDas Herz der Demokratie Deutschlands schlägt im Bundestag, heißt es so schön. Aber manchmal schlägt es ziemlich träge. Immer mittwochs um 13 Uhr zum Beispiel, wenn Sitzungswoche ist. Dann steht die "Befragung der Bundesregierung"auf der Tagesordnung.
Anderswo in Europa ist das der Höhepunkt des Parlamentarismus - in Deutschland ist es die langweiligste Veranstaltung im Bundestag. Das hat mehrere Gründe. Früher schickten die Kabinettsmitglieder gern ihre Staatssekretäre vor, erst nach einem Wutausbruch des früheren Bundestagspräsidenten Norbert Lammert ist nun immer mindestens ein (!) Minister anwesend. Die Befragung selbst dauert gerade mal eine halbe Stunde, ein Teil der Zeit geht für ein Eingangsstatement des Regierungsvertreters drauf. Und das Thema der Befragung, das bestimmt nicht etwa das Parlament - sondern die Regierung selbst. Kein Wunder, dass das Ganze von begrenztem Informations- und Unterhaltungswert ist.
Schon lange wird daher darüber diskutiert, wie die Regierungsbefragung spannender gemacht werden kann. Getan hat sich bisher wenig. Nun aber hat sich die Große Koalition etwas vorgenommen. "Wir wollen den Bundestag wieder zum zentralen Ort der gesellschaftlichen und politischen Debatte machen", heißt es im Koalitionsvertrag. Dazu gehört auch die Reform der Regierungsbefragung.
Die SPD macht nun Druck und drängt die Union zu einer schnellen Umsetzung der Pläne. Dazu gehört, dass künftig die Bundeskanzlerin "dreimal jährlich im Deutschen Bundestag befragt werden kann". Einen entsprechenden Antrag hatte die SPD bereits im September eingebracht. CDU und CSU waren seinerzeit dagegen, nun aber steht es so im Koalitionsvertrag.
Außerdem wollen die Sozialdemokraten erreichen, dass nicht mehr die Regierung, sondern die Abgeordneten das Hauptthema der Regierungsbefragung festlegen können. Dazu allerdings findet sich im Koalitionsvertrag nur ein schwammiger Wortlaut. Die Befragung solle "neu strukturiert" werden, heißt es.
SPD-Fraktionsgeschäftsführer Carsten Schneider hat eine klare Vorstellung von der Bedeutung des Halbsatzes. "In der Regierungsbefragung braucht es mehr Spontaneität. Der Bundestag muss die Themen und die Fragen selbst bestimmen und nicht die Regierung", sagt er dem SPIEGEL.
In seltener Einigkeit fordern das auch alle Oppositionsfraktionen. "Das Thema der Regierungsbefragung bis heute nicht selbst festlegen zu können, zeugt von wenig Souveränität des Parlaments. Damit will ich mich nicht abfinden", sagt etwa Britta Haßelmann, Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen. Sie findet: "Als Parlamentarier wissen wir, wozu wir die Bundesregierung befragen wollen."
"Ein selbstbewusstes Parlament muss selber bestimmen, was es die Bundesregierung fragt", fordert auch FDP-Fraktionsmanager Marco Buschmann. Eine Reform der Regierungsbefragung sei "dringend nötig". Das sieht die Linke genauso, sie will die Bundeskanzlerin sogar vier Mal jährlich im Parlament befragen: "Wir wollen mindestens einmal im Quartal die Bundeskanzlerin befragen. Was die Kanzlerin vor der Bundespressekonferenz kann, schafft sie auch im Parlament", sagt Jan Korte, Parlamentarischer Geschäftsführer der Linksfraktion. Auch die AfD sei für die Reform, wie ein Sprecher erklärt.
SPD will schnelle Änderung, Union hält sich zurück
"Die SPD hat im Koalitionsvertrag schon einen Durchbruch erreicht und die Blockadehaltung bei der Union aufgebrochen", sagt Carsten Schneider. Sie strebten nun eine schnellstmögliche Einigung mit den anderen Fraktionen zur Änderung der Geschäftsordnung des Bundestags an.
Britta Haßelmann von den Grünen äußert allerdings Zweifel an der Durchsetzung der Reformen: "Wir haben Sorge, dass es sich bei der Vereinbarung im Koalitionsvertrag um eine bloße Absichtserklärung handelt", sagt sie.
Tatsächlich schweigt die Unionsfraktion bislang zu dem Vorhaben.
Auf eine Anfrage des SPIEGEL wollte sich Unionsfraktionsgeschäftsführer Michael Grosse-Brömer (CDU) nicht äußern. Im Oktober sagte er in einer Bundestagsrede, das Fragerecht solle Instrument der parlamentarischen Kontrolle bleiben und nicht zum Kampfinstrument der Opposition werden. "Ich glaube, es liegt im gemeinsamen Interesse, dass wir sachlich argumentieren", sagte er. Deswegen habe er Bedenken. Die Union sei aber bereit, darüber zu reden.
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