SPD im Umbruch Wann kommt das Aus für die Koalition?

Vize Scholz, Kanzlerin Merkel: "Nicht leichtfertig eine Regierung beenden"
Foto: Fabrizio Bensch / ReutersGehen Sie bitte weiter, hier gibt es nichts zu sehen! Das ist die Botschaft, die die CDU an Tag eins nach dem SPD-Beben gerne aussenden würde.
Während die Sozialdemokraten mit den Erschütterungen des Doppel-Rücktrittsvon Andrea Nahles kämpfen, will sich die CDU als Stabilitätsanker präsentieren, eigene Schwächen vergessen machen - und die Koalition mit der SPDunbedingt fortsetzen.
Bei der CDU-Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer klingt das am Montag beim Auftritt in der Parteizentrale so: Angesichts der internationalen Herausforderungen wäre es "alles andere als förderlich, wenn Deutschland jetzt in eine Regierungskrise oder in einen Dauerwahlkampf gehen würde". Und: "Es gibt gute Gründe dafür, nicht leichtfertig eine Regierung zu beenden."
Ist die CDU denn überhaupt vorbereitet auf einen Bruch der Regierungskoalition? "Für alles, was kommt und möglicherweise nicht kommt, können Sie davon ausgehen, dass die CDU vorbereitet ist."
Da sind allerdings Zweifel angebracht. Denn bis Sonntagvormittag, bis zur Rücktrittsankündigung von Andrea Nahles, stand ja noch Kramp-Karrenbauers Krise im Zentrum der Aufmerksamkeit.
So sind nun weder CDU noch SPD stabile Koalitionspartner, allein in der CSU ist die Führungsfrage geklärt. Kramp-Karrenbauer und CSU-Chef Markus Söder müssen nun abwarten, bis sich die Sozialdemokraten neu sortiert haben.

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Kommissarisch an der Parteispitze stehen nun Malu Dreyer, Manuela Schwesig und Thorsten Schäfer-Gümbel. Und als Übergangfraktionschef soll Rolf Mützenich gemeinsam mit Vizekanzler Olaf Scholz dafür sorgen, dass die SPD vorerst in der GroKo-Spur bleibt. Die Arbeit geht ja weiter, es gibt zahlreiche Gesetzesvorhaben, dazu kommen die offenen Personalien auf EU-Ebene.
Und dann? Hier sind vier Varianten, wie es weitergehen könnte.
- Variante 1: Die SPD steigt aus, es gibt Neuwahlen
Angesichts der derzeitigen Dynamik ist dieses Szenario aktuell sehr wahrscheinlich. Die Operation GroKo-Exit könnte in geregelten Bahnen über einen Parteitagsbeschluss oder gar eine Mitgliederbefragung ablaufen. Denkbar ist auch, dass der Bruch etwas spontaner über eine Sachfrage eingeleitet wird, etwa die von der Union bislang abgelehnte Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung. Wie schnell es zum Bruch kommen könnte? Unklar.
Der bislang für den Dezember geplante Parteitag wird mit hoher Wahrscheinlichkeit vorgezogen, Termine im September und Oktober sind denkbar. Der sozialdemokratische GroKo-Befreiungskampf könnte dann genau in die Phase der drei wichtigen Ost-Landtagswahlen fallen: Brandenburg und Sachsen wählen am 1. September, Thüringen am 27. Oktober.
Vielleicht geht alles aber auch viel schneller. In der nächsten Sitzung des SPD-Vorstands am 24. Juni soll das weitere Vorgehen besprochen werden. Bei dem Treffen soll es auch um die Zukunft der Koalition gehen.
Zöge die SPD ihre Minister aus der Koalition ab, könnte die Kanzlerin über eine Vertrauensfrage im Bundestag den Weg zu Neuwahlen suchen. Sollte Angela Merkel dort keine Mehrheit erhalten und das Parlament auch keinen neuen Kanzler wählen, kann Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nach Artikel 68 Grundgesetz den Bundestag auf Vorschlag der Kanzlerin auflösen.
- Variante 2: Die SPD steigt aus, die Union bildet eine Minderheitsregierung
Die ultrakonservative Werteunion forderte schon am Sonntag das Ende der Koalition und die Bildung einer Minderheitsregierung von CDU und CSU. Nun ist der Einfluss der Gruppierung überschaubar, aber die Idee einer schwarzen Minderheitsregierung hatte in der Vergangenheit auch schon gewichtige Fürsprecher. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble plädierte nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen im Spätherbst 2017 genauso für dieses Modell wie der heutige Gesundheitsminister Jens Spahn.
Im Video: Nahles' Abschied
Die Sache hätte für die Union den Vorteil, dass alle Kabinettsmitglieder und Staatssekretäre von CDU und CSU gestellt würden. Der schwerwiegendste Nachteil an dem Modell ist, dass man sich im Bundestag immer wieder eine Mehrheit suchen müsste.
Aus genau diesem Grund hielt Kanzlerin Merkel nie etwas von der Idee. Und daran dürfte sich nichts geändert haben, eine Minderheitsregierung unter ihrer Führung ist quasi ausgeschlossen.
Dass statt Merkel nun Kramp-Karrenbauer einen entsprechenden Versuch unternimmt, erscheint allein angesichts der unklaren Machtverhältnisse in der CDU als unwahrscheinlich. In diesem Fall könnten nämlich auch andere ihre Ambitionen anmelden, etwa Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet oder der nur knapp im Rennen um den CDU-Vorsitz unterlegene Friedrich Merz sowie Jens Spahn.
- Option 3: Die SPD steigt aus, Jamaika übernimmt
FDP-Chef Christian Lindner ließ seinerzeit die Sondierungen mit Union und Grünen platzen - nun träumt er von einem zweiten Jamaika-Versuch. Denn ausgezahlt hat sich der seinerzeitige Ausstieg für die Liberalen nicht - sagen die Demoskopen. Nun kann sich Lindner einen neuen Anlauf vorstellen - ohne Angela Merkel. Aber damit ist er aus zwei Gründen ziemlich allein.
Zum einen sind die Grünen im Moment knapp dreimal so stark wie bei der Bundestagswahl 2017. In einer Jamaikakoalition müssten sie sich dagegen auf Basis dieses Resultats als kleinster Partner hinter der FDP anstellen. Aus Grünen-Sicht macht das überhaupt keinen Sinn, was Parteichefin Annalena Baerbock am Montag auch erneut deutlich machte. Die Grünen seien nicht "das Reserverad, das einfach so einspringt", sagte sie im ZDF. Ihre Partei hat am meisten Interesse an Neuwahlen.
Zum anderen ist da die ungeklärte Führungsfrage in der CDU. Parteichefin Kramp-Karrenbauer wäre jedenfalls nicht die automatische Kanzlerkandidatin von CDU und CSU.
- Option 4: Die GroKo macht weiter bis 2021
Man kann es sich in der aktuellen Stimmungslage, vor allem in der SPD, kaum vorstellen - doch komplett auszuschließen ist nicht, dass die Koalition bis zum Ende der Legislaturperiode im Herbst 2021 weitermacht. Die SPD müsste für diesen Fall neue Führungsleute wählen, die ihre Partei von der Erfüllung des Koalitionsvertrags überzeugen und das auch über die in den kommenden zwei Jahren anstehenden Landtagswahlen durchhalten könnten.
Klingt derzeit fast unmöglich? Genau.