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Sigmar Gabriel: Reise ins Sozi-Märchenland

Foto: Ronald Wittek/ dpa

SPD-Chef auf Reisen Gabriel im roten Märchenland

Berlin ist ganz weit weg: Sigmar Gabriel tourt durch Rheinland-Pfalz, das gemütliche Reich von Kurt Beck. Nur Entspannung will beim SPD-Chef nicht so recht aufkommen - Thilo Sarrazin und eine Gruppe aufmüpfiger Schüler bescheren ihm auf der Sommerreise ein paar Turbulenzen.

Sigmar Gabriel

"Hi", ruft und läuft schnurstracks in den Sandkasten. Vor ihm sitzen acht Kleinkinder, sie machen sich mit Schaufeln an einem recht eigentümlichen Gebilde zu schaffen. Der SPD-Chef kniet sich zu ihnen, er ist jetzt in etwa so groß wie sie, nur ein bisschen breiter.

"Was baut 'n ihr da?" Die Kleinen zucken. "Eine Erdbeertorte", sagt eine. "Eine Erdbeertorte", sagt Gabriel. "Natürlich."

Sigmar Gabriel ist auf Sommerreise in Rheinland-Pfalz, es ist seine erste als SPD-Vorsitzender, und er ist gleich mittendrin: Er besucht einen Kindergarten in Ludwigshafen. Kein einfacher Termin, denn irgendwie muss er die Kleinen bei Laune halten, obwohl sie mit ihm nichts anfangen können. Aber er hat ja zwei Bobby-Cars mitgebracht, und das macht die Sache schon besser. "Schön gemeinsam benutzen", sagt er.

Die Sonne scheint, die Kinder freuen sich. Gabriel grinst.

Rheinland-Pfalz

SPD

Berlin ist jetzt ganz weit weg. Das soll auch so sein bei dieser zweitägigen Reise. Der SPD-Chef hat harte Tage hinter sich, die Genossen zerstritten sich über die Rente mit 67, nur mühsam zimmerten sie einen Kompromiss zusammen. Ein bisschen Abstand kommt da gerade recht, und wo könnte der größer sein als in , diesem sozialdemokratischen Märchenland. Seit 16 Jahren ist Kurt Beck hier Ministerpräsident, er herrscht wie ein gutmütiger Monarch - mit absoluter Mehrheit, versteht sich. Im März sind Landtagswahlen, und Beck, der auf dem Berliner Parkett einst so ungeschickt agierte, strotzt vor Selbstbewusstsein. Er ist wieder wer in der , und Gabriel schätzt ihn. Auch deswegen ist er in sein Reich gekommen.

"Ich hoffe, wir setzen jetzt nicht auf"

Die "MS Europa" gleitet über den Rhein, das Ziel ist Worms, die Stimmung der 150 Genossen an Bord ist ausgelassen. Es gibt Kuchen und Wein, orangefarbene Gardinen und SPD-Tischdecken. Gabriel und ein paar Demokratietheoretiker sollen etwas dazu sagen, wie man die Bürgerbeteiligung stärken kann.

Das passt ihm gut, er würde das gerne zu seinem großen Thema machen. Er ist seit langem auf der Suche nach einem eigenen Thema. Er braucht eins, wenn er Kanzler werden will. Und das mit der Demokratie scheint vielversprechend, mit all den Volksentscheiden, Referenden und was es da sonst noch so gibt.

Das Schiff ächzt, Gabriel sagt: "Ich hoffe, wir setzen jetzt nicht auf." Alle lachen. Er auch.

Die Diskussion plätschert vor sich hin, der Parteichef sagt, die SPD müsse sich wieder mehr entlang der Realitäten orientieren. "Wenn heute bei uns jemand sagt, zwei mal zwei ist fünf, dann gründen wir erst mal einen Arbeitskreis und gucken, ob er recht haben könnte."

Andererseits müsse die Partei wieder mehr diskutieren, offener werden. Zum Beispiel, indem man den nächsten Kanzlerkandidaten in einer Art Vorwahl bestimme. Das kommt gut an, die Gäste holen sich den nächsten Wein.

Dann fällt der Name Sarrazin

Thilo Sarrazin

Dann fällt der Name . Da wird Gabriel fuchsig. Sarrazin liefert gewissermaßen das Kontrastprogramm zu Gabriels Sommerreise. Während der SPD-Chef sich in Kitas und Schulen ein paar hübsche Integrationsbeispiele anschaut, wettert SPD-Mitglied Sarrazin mal wieder über den begrenzten volkswirtschaftlichen Nutzen der Einwanderer-Community.

Grundsätzlich wolle er sich mit Sarrazins Thesen zur Einwanderung ja "intellektuell" auseinandersetzen, sagt Gabriel. Aber sie seien teilweise "sprachlich so was von gewalttätig", dass eine Auseinandersetzung schwer in Frage komme. "Wenn Sie mich fragen, warum der noch bei uns Parteimitglied sein will - das weiß ich auch nicht", sagt Gabriel.

Es ist ein kleiner Ausbruch, der indirekte Appell, Sarrazin solle sich doch bitte eine neue politische Heimat suchen. Mehr kann er erst mal nicht sagen. Von Ausschlussverfahren hält er grundsätzlich nicht viel. Doch er weiß, dass das Thema die Basis reizt. Gerade die Migranten in der SPD verstehen nicht, warum man diesen Mann nicht einfach aus der Partei werfen kann. Dafür haben sie sogar schon vor der Berliner Parteizentrale demonstriert.

Beck steht am Ufer und grüßt

Kurt Beck

Es passt gut, dass jetzt am Ufer steht und die Schiffsgäste begrüßt. Beck hat auch schon oft ein wenig die Contenance verloren, aber die Zeiten sind vorbei. Längst ruht er wieder in sich. Und das färbt ab.

"Sigmar, schau mal die Werbung auf dem Bus", sagt Beck zu Gabriel. "Familienland Rheinland-Pfalz" steht da geschrieben. "Nicht schlecht", sagt Gabriel.

Familienland - tatsächlich ist Gabriel auch deswegen gekommen. In Rheinland-Pfalz ist bereits einiges umgesetzt, was der SPD-Chef gerne überall sähe. Die Kinderbetreuung ist weitgehend kostenlos, Einwandererfamilien werden gezielt gefördert und natürlich werden auch die Haupt- und Realschulen zusammengelegt.

Sozialdemokratie in Reinform.

Auch die Bildung würde Gabriel gerne zu seinem großen Thema machen. Aber mit der Bildung ist das so eine Sache. Alle fordern mehr Geld, aber keiner weiß so recht, wo es herkommen soll. Zwei Milliarden Euro vom Bund für den Einsatz von Schulsozialarbeitern fordert Gabriel. Die zündende Idee hat auch er noch nicht gefunden, er liebäugelt damit, den Wohlhabenden einen Teil ihres Reichtums abzuknöpfen. Aber das ist verfassungsrechtlich heikel. Und dann ist da noch ein Problem: das Thema Schule. Es spaltet. Gabriel weiß, wie schnell die Eltern auf die Barrikaden gehen, wenn die Politik ihnen in die Erziehung hineinredet.

"Sachte, sachte" - Gabriel diskutiert mit Zehntklässlern

Die Tücken zeigen sich auch, als er mit rund 40 Schülern einer Mainzer Realschule diskutiert, die vor kurzem mit einer Hauptschule zusammengelegt wurde. Für "kompletten Schwachsinn" hält eine Zehntklässlerin das eigene Kombi-Schulmodell: "Der Hauptschüler ist am Ende überfordert, der Realschüler unterfordert." Naja, kontert Gabriel leicht irritiert, so leicht sei die Sache ja nicht. Gerade die Kinder von Einwanderern, die die Hauptschule oft ohne Abschluss verließen, hätten im Kombi-Modell doch bessere Chancen.

Naja, sagt die Zehntklässlerin, sie behaupte jetzt mal "ganz dreist", dass die hohe Zahl der Abbrecher unter Einwandererkindern damit zu tun habe, dass sie sich nicht richtig integrierten.

"Sachte, sachte", sagt Gabriel.

Aber Ruhe bringt das nicht. Als eine andere Schülerin sich beklagt, die Hauptschüler würden das Leistungsniveau drücken, wirft Gabriel ihr ein "entsetzliches" Menschenbild vor. Die Schüler blicken ein wenig verdutzt drein.

Aber Gabriel bleibt dabei. Solche Thesen hört er schon genug. Von Thilo Sarrazin zum Beispiel.

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