SPD digital Chatten mit "Münte"
Berlin - Die SPD gibt sich gern modern. Drei Wochen vor dem Bundesparteitag in Berlin sucht sie auf allen Kommunikationskanälen den Kontakt zur Parteibasis und zu den Wählern. Aber noch nicht jeder in der Parteizentrale, dem Willy-Brandt-Haus in Berlin, weiß wovon er spricht: "Sie wollen zu dem Schatt mit Herrn Müntefering?", fragt die Dame am Empfang in bester Lautschrift.
Spontan und professionell zeigte sich hingegen der Partei-General am Computer. Die Fragen wurden moderiert, das heißt alles, was unter der Gürtellinie lag, erreichte Müntefering nicht. "Ein Live-Chat birgt immer ein Risiko. Aber die Fragen wurden fast ausnahmslos weitergeleitet", erklärte ein Mitarbeiter nach der einstündigen Plauderrunde.
Seine Antworten diktierte der Politiker einer Mitarbeiterin. Die Arme vor der Brust verschränkt und mit konzentriertem Blick auf den Bildschirm reagierte Müntefering auf Fragen von "Jockel", "Frieder" und Co. "Kann man eigentlich rausfinden, wo die alle sitzen?", wollte "Münte" wissen.
Die Teilnehmer stellten alle Fragen, die der SPD zur Zeit weh tun: Musste das sein mit dem Testpanzer für die Türkei? Bröckelt die SPD am linken Rand? Wer schließt die Lafontaine-Lücke? Was tut ihr gegen die Jugendarbeitslosigkeit? Wann kommt der Atomausstieg? Alle Fragen beantwortete er im professionellen Politiker-Deutsch.
Nur die Aufforderung "Münte soll Kanzler werden" ignorierte er ohne Lächeln, dafür quittierte er den Satz "Was ist eigentlich mit Ihren Haaren passiert?" laut lachend mit: "Das ist der Berliner Schnitt."
"Hi @ all" grüßte einer. "Was ist das denn?", wunderte sich der SPD-Mann über die kryptische Sprache. Ein anderer stellte die Testfrage: "Wissen Sie, was eine Flatrate ist?" Müntefering blickt in den Raum: "Was ist eine Flatrate?" Seine Mitarbeiter grinsten verlegen und schwiegen. "Also gut", diktierte er. "Schreiben sie: Ich weiß es nicht." "Soll ich wirklich?", fragte die Schreibkraft. Müntefering nickte. Er weiß: Schwächen oder Unwissen zuzugeben, bringt Sympathiepunkte. Ihm würde nie passieren, was sich Helmut Kohl zu Amtszeiten noch leistete: Auf seine Meinung zur Datenautobahn angesprochen, gab der Ex-Kanzler damals staatstragend Auskunft zur Verkehrspolitik.
Müntefering erklärt lieber mit stoischer Miene im Chat: "Ich habe im Büro keinen PC. Und zu Hause erklärt mir meine Frau die Raffinessen des Computers." Im Internet habe er noch nie gesurft, weil er wasserscheu sei. Aber er wolle alle Wege der Kommunikation nutzen, um den Parteitag im Dezember vorzubereiten. Denn von dem Parteitag erhofft er sich einen Ruck und neue Aufbruchstimmung.
Der Opposition kündigte er für die Zeit danach eine härtere Gangart an: "Nächstes Jahr kommen die nicht mehr im Schlafwagen durch." Aber er blieb Gentleman: Warum sich die SPD nicht bissiger gegen die Union und vor allem gegen Angela Merkel wehre? "Frauen beißt man nicht", war die lakonische Antwort und ein bisschen freute er sich dabei selbst über seine Schlagfertigkeit.
Nach dem Chat erklärte Müntefering gegenüber SPIEGEL ONLINE: "Vielleicht hat unsere Generation noch Probleme mit dem Tempo dieser Kommunikation. Wenn ich um elf Uhr eine Mail erhalte, kommt ja schon zwanzig Minuten später die Mahnung: Wo bleibt die Antwort?" Ein Chat sei vergleichbar mit einem Live-Interview, in dem Fragen und Antworten authentischer kommuniziert werden: Politik im Netz ohne doppelten Boden.