SPD-Fraktionsvize Gernot Erler "Wir wollen von den USA eine Antwort haben"

Der SPD-Fraktionsvize im Bundestag, Gernot Erler, sieht keinen Grund, über deutsche Beiträge zur Stabilisierung des Irak nach einem Krieg nachzudenken. Zunächst müsste die US-Regierung ihre Pläne für eine Nachkriegsordnung präsentieren, erklärt der Außenpolitiker im Interview mit SPIEGEL ONLINE.

SPIEGEL ONLINE:

Herr Erler, wie sollen die deutsch-amerikanischen Beziehungen wieder repariert werden?

Gernot Erler: Unsere Beziehungen beruhen auf einem multilateralen Beziehungsgeflecht, auf mehreren Ebenen. Ingesamt sind die Beziehungen stabil. Allerdings gibt es eine Schwierigkeit auf der Ebene der Regierungschefs, die im Zusammenhang mit dem Wahlkampf zu sehen ist. Je länger der Abstand zum Wahlkampf sein wird, umso größer sind die Chancen, zu vernünftigen Verhältnissen zurückzukehren.

SPIEGEL ONLINE: Rechnen Sie damit, dass Gerhard Schröder auf der Nato-Tagung Mitte November in Prag dem US-Präsidenten wieder die Hand schüttelt - und zwar öffentlich?

Erler: Ich bin sehr sicher, dass wir zu einer vernünftigen Lösung in diesem Spannungsverhältnis kommen. Wir haben zu viele Gemeinsamkeiten. Die Nato-Konferenz in Prag, auf der ja über die Aufnahme weiterer osteuropäischer Staaten entschieden werden soll, ist eine dieser großen Gemeinsamkeiten.

"Eine absurde Phantasie"

SPIEGEL ONLINE: Nun gibt es Gerüchte, wonach der Kanzler in Prag sein Veto für eine Osterweiterung der Nato einlegen könnte, wenn die US-Regierung bei ihrer sturen antideutschen Haltung bliebe.

Erler: Das ist völlig lächerlich. Eine absurde Phantasie. Wir sind den Ländern gegenüber, die in Prag um Aufnahme ersuchen, Verpflichtungen eingegangen, zu denen wir stehen.

SPIEGEL ONLINE: In der Irak-Frage hat es in den vergangenen Tagen sehr gegensätzliche Erklärungen von deutscher Seite gegeben. Während der außenpolitische Koordinator im Auswärtigen Amt, Karsten Voigt, deutsche Folgeleistungen nach einem Sieg über den Irak nicht ausschließen wollte und auch der Außenminister ähnlich in der "New York Times" vernommen wurde, schloss Joschka Fischer dies nun am Dienstag wieder aus. Was gilt denn nun?

Erler: Debatten über Folgeleistungen sind sehr spekulativ. Die Regierungsparteien, der Kanzler und der Außenminister bleiben dabei, dass es zu keiner deutschen Beteiligung an einem Irak-Einsatz kommen wird....

SPIEGEL ONLINE: ....auch nicht an einem Folgeeinsatz?

Erler: Moment. Eine Zustimmung zu einem Folgeeinsatz nach einem Krieg im Irak hieße ja, dass sich die Politik in eine andere Richtung bewegen würde. Deutschland hat aber klar zu verstehen gegeben, dass es sich auf einem anderen Gebiet, und zwar beim Aufbau und der Friedenssicherung Afghanistans, stärker als bisher engagieren will. Afghanistan ist für uns der entscheidende Testfall für den Kampf gegen den internationalen Terrorismus - wir sind dort ja nicht nur mit Truppen, sondern auch beim Aufbau der Polizei, des Bildungssystems vor Ort.

Deutsche Afghanistan-Leistung anerkennen

SPIEGEL ONLINE: Also ist das das Ersatzfeld für die deutsche Außenpolitik?

Erler: Nein. Wir glauben, dass sich der Erfolg des Kampfes gegen den Terror hauptsächlich in Afghanistan entscheidet - und nicht anderswo. Das ist der Beitrag, den wir sichtbar leisten - und dafür erwarten wir auch Anerkennung.

SPIEGEL ONLINE: Sie schließen also definitiv aus, dass nach einem Sieg der Amerikaner über Saddam Hussein die Deutschen mit Polizeikräften, Entwicklungshilfe, Verwaltungshilfe oder finanziellen Leistungen zur Stabilisierung eines neuen Irak beitragen?

Erler: Ich will es mal so ausdrücken: Wir haben immer die Frage gestellt, wer Verantwortung trägt und wer Pläne für eine Nachkriegssituation im Irak hat - etwa für den Wiederaufbau des Landes, die Sicherheitskontrolle und die Stabilität in der Region. Solange diese Fragen nicht beantwortet sind, macht es überhaupt keinen Sinn, irgendwelche eigenen Angebote zu unterbreiten. Wir wollen erst einmal die Antworten haben. Deswegen gibt es Angebote für Folgeleistungen gegenwärtig nicht aus dem Parlament und auch nicht aus der Regierung.

Die USA sollen Nachkriegspläne vorlegen

SPIEGEL ONLINE: Aber was täten Sie denn in dem Fall, in dem die Amerikaner sagen, sie hätten die Deutschen gerne nach einem Sturz Saddam Husseins im Irak?

Erler: Ich wiederhole mich da gerne. Wir müssen erst einmal die Antworten haben. Es ist ja ohnehin nicht ausgemacht, dass es zu einem Krieg kommt. In den USA wird derzeit sehr intensiv über die möglichen Kosten und die Folgekosten eines Krieges diskutiert.

SPIEGEL ONLINE: Wie soll sich Deutschland im Uno-Sicherheitsrat verhalten, wenn eine neue, verschärfte Resolution gefasst werden sollte? Soll der deutsche Vertreter zustimmen?

Erler: Im Augenblick sehe ich nicht, dass es zu einer Resolution kommt, die eine Art Freibrief für eine Militäraktion der USA enthält. Der Widerstand von drei der fünf ständigen Mitglieder des Uno-Sicherheitsrates - Russland, China und Frankreich - steht dagegen. Solange dieser Widerstand anhält, macht es keinen Sinn, über eine solche Resolution zu reden. Hinzu kommt, dass auch der britische Premier von seiner eigenen Partei aufgefordert wurde, militärische Gewalt höchstens als letztes Mittel einzusetzen - nach dem alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft worden sind. Ich bin sicher, dass dieser Beschluss des Labour-Parteitages sich auf die Politik des britischen Premiers auswirken wird.

SPIEGEL ONLINE: Gesetzt den Fall, es kommt doch zu einer Einigung der fünf Großen im Sicherheitsrat -sollte sich dann Deutschland der Stimme enthalten?

Erler: Es bringt nichts, sich derzeit über fiktive Varianten zu unterhalten. Entscheidungen stehen an, wenn sie anstehen. Wir wissen ja auch nicht, wie sich die übrigen zehn nicht-ständigen Staaten im Uno-Sicherheitsrat verhalten.

Die SPD-Fraktion steht zum Anti-Kriegs-Kurs

SPIEGEL ONLINE: Es gibt ein großes Misstrauen nicht nur in den Medien, sondern auch in der Bevölkerung, dass die rot-grüne Regierung im Falle eines Irak-Krieges doch noch umkippt und dem Bundestag eine Zustimmung abtrotzen könnte.

Erler : Wir haben 251 Abgeordnete der SPD, die gerade in den Bundestag gewählt worden sind. Die haben alle im Wahlkampf gesagt, dass sich Deutschland nicht an einem Irak-Krieg beteiligen wird. Und das mit voller Überzeugung - weder mit Soldaten noch mit Geld. Das ist noch wenige Tage alt. Auf die 251 SPD-Abgeordneten ist Verlass. Sie stehen zu dem, was sie im Wahlkampf der Öffentlichkeit gesagt haben.

SPIEGEL ONLINE: Das heißt konkret?

Erler: Diese Abgeordneten sind für einen Kurs einer Beteiligung Deutschlands an einem Irak-Krieg nicht zu haben - gleichgültig unter welchen völkerrechtlichen Bedingungen auch immer.

SPIEGEL ONLINE: Und wenn die Bundesregierung neue Erkenntnisse vorgelegt werden, die die Terrorgefahr des irakischen Regimes belegen?

Erler: Das kann ich mir nicht vorstellen. Die Bundesregierung hat immer auf die Risiken verwiesen, die ein Krieg für die gesamte Region bedeutet. Dieses Risiko bleibt - ob sich nun Deutschland beteiligt oder nicht beteiligt. Insofern kann die Bundesregierung in der Logik ihrer bisherigen Argumentation keiner Beteiligung an einem Irak-Krieg zustimmen.

Das Interview führte Severin Weiland

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