SPD-Generalsekretärin Nahles in Not

SPD-Generalsekretärin Nahles: "Eine kluge Entscheidung"
Foto: dapdBerlin - Nazim Kenan ist ein kleines Licht in der SPD. Der Sohn kurdischer Einwanderer engagiert sich ab und an ehrenamtlich für die hessischen Genossen, ansonsten studiert er Jura in Frankfurt. Kenan hat einen Brief geschrieben, und obwohl den Mann in Berlin niemand kennt, dürfte sein Schreiben an diesem Mittwoch im Willy-Brandt-Haus herumgereicht werden.
Er werde, so Kenan, "mit sofortiger Wirkung aus der SPD" austreten, weil die Partei aufgrund "wahltaktischer Überlegungen eingeknickt" sei und er den "vollzogenen Rechtsruck" nicht mittragen könne. "Mein Parteibuch werde ich mit der Bitte um Wiederverwertung an das Büro Nahles senden." Denn, so schreibt Kenan, das Verhalten der Generalsekretärin habe ihn "besonders schockiert".
Briefe wie diesen erhält Andrea Nahles gerade einige. Seit sie am Gründonnerstag das über Monate pedantisch vorbereitete Ausschlussverfahren gegen Thilo Sarrazin mal eben versenkte, Migranten wie Kenan geben wütend ihr Parteibuch zurück, Landesvorsitzende grummeln, die Basis rebelliert im Internet offen gegen ihren "Zickzackkurs", die hessischen Jusos fordern ihren Rücktritt. Der Frust vieler Genossen über den plötzlichen Verzicht auf das Tribunal gegen den integrationspolitischen Thesenkrieger - vor allem Nahles bekommt ihn zu spüren.
Sie kann das ganze Bohei nicht so recht verstehen. Nahles sagt, jetzt sei es auch mal gut mit der Streiterei. Immerhin habe man Sarrazin doch zu einem kleinen schriftlichen Kotau gebracht. Die Schiedskommission habe zudem auf eine gütliche Einigung gedrungen. "Unter den gegebenen Umständen" sei der Handschlag daher "eine kluge Entscheidung" gewesen. Sie hat das den Genossen in einem Brief geschrieben und im Radio ein Interview gegeben, sie hat vor der entsetzten Hauptstadt-SPD am Dienstagabend die Kehrtwende verteidigt und ein paar Ministerpräsidenten dazu gebracht, ihr öffentlich beizuspringen.
Aber sie weiß auch, dass viele ihrer Parteifreunde ihre Deutung für zu schön halten, um wahr zu sein. Sie, die bei den Rechten in der Partei ohnehin nicht sonderlich hoch im Kurs steht, hat plötzlich auch viele vom linken Flügel gegen sich. Nahles muss mehr denn je um ihren Ruf in der Partei kämpfen.
Treibende Kraft gegen Sarrazin war sie nie
Das Problem ist weniger, dass sie das Verfahren beerdigte. Viele in der SPD haben das Sarrazin-Tribunal von vornherein abgelehnt und es wäre für die Partei wohl besser gewesen, sie hätte das Vorhaben nie beschlossen. Das Problem ist, wie Nahles es getan hat.
Ihre Kritiker fragen sich, warum sie einen Beschluss, der von den Gremien abgesegnet wurde, eigenhändig kassierte, ohne noch einmal Rücksprache zu halten. Sie wundern sich, dass Nahles versucht, eine ziemlich dünne Erklärung Sarrazins als großen Sieg zu verkaufen. Sie kreiden ihr an, dass die SPD durch ihr Hin und Her mal wieder als Partei wahrgenommen wird, die nicht recht weiß, was sie will. Und dass Nahles schon auf der untersten Ebene einknickte, vor der Kreisschiedskommission, finden sie geradezu lächerlich.
So lächerlich, dass in der SPD schon gewitzelt wird, nicht mehr Nahles habe in der Partei jetzt das Sagen, sondern "die Sybille". Gemeint ist Sybille Uken, die als Vorsitzende des Kreisschiedsgerichts die Einigung mit Sarrazin einfädelte. Nahles wird das ärgern. Sie verteidigt sich: "Eine solche Initiative der Schiedskommission kann nicht einfach ignoriert werden."
Es ist alles ziemlich blöd gelaufen für die 40-Jährige. Sie ist in die Sache eher geschlittert als reingerannt. Natürlich war sie nie eine Gegnerin des Ausschlussverfahrens gegen den umstrittenen Ex-Bundesbanker. Natürlich hat auch sie die Hand gehoben, als das Präsidium im September 2010 das unpopuläre Vorhaben gegen jenen Mann beschloss, der Akademikerinnen mit einer Gebärprämie zu mehr Kindern bewegen will. Aber als treibende Kraft kann man Nahles nicht bezeichnen, das muss man ihr zugutehalten.
Sie hatte anfänglich geglaubt, das Problem Sarrazin irgendwie anders entschärfen zu können. Sie hoffte, Zeit würde Wunden heilen, warum nicht eine Kommission, die tagt und tagt und dann irgendwann niemanden mehr interessiert. Doch Parteichef Sigmar Gabriel hatte sich Hals über Kopf für einen Ausschluss entschieden und so blieb ihr und den anderen führenden Genossen nichts anderes übrig als zuzustimmen, wollten sie ihren Vorsitzenden nicht düpieren.
Und plötzlich war sie Verfahrensbeauftragte, also eine Art "Chefanklägerin". Von da an war klar, dass sie es sein würde, die die unangenehme Aufgabe hatte, den wie auch immer gearteten Ausgang des Verfahrens zu kommunizieren.
Nahles steht vor schweren Wochen
Mag sein, dass es ein hinterhältiger Trick des Vorsitzenden war, der sich gegen Sarrazin aufplusterte, die Partei ins Abenteuer stürzte, aber nicht selbst die Drecksarbeit erledigen wollte. Manche von Nahles' Vertrauten sehen das so und die seit Gründonnerstag anhaltende Sprachlosigkeit Gabriels spricht dafür, dass sie nicht ganz unrecht haben. Er duckt sich weg. Nur eine dürrer Satz war bislang von ihm zu hören, in dem er Nahles "für ihr Handeln" seine "Rückendeckung" gab.
Aber richtig ist auch: Das Sarrazin-Verfahren - so unsinnig es von vornherein gewesen sein mag - war für Nahles auch eine Chance, sich in der Partei als Krisenmanagerin zu profilieren. Sie hätte einen Weg finden können, sich gemeinsam mit dem Parteivorsitzenden des Verfahrens zu entledigen, noch bevor es startete. Und wenn nicht, hätte sie Haltung zeigen und ein Exempel statuieren können, dass man mit ihrer Partei nicht alles machen kann - und wenn sie sich vor allen Instanzen eine blutige Nase geholt hätte. Nahles hat diese Chance nicht genutzt. Sie hat dem Druck nicht standgehalten.
Jetzt steht sie vor schweren Wochen. Sie muss sich etwas einfallen lassen, wie sie die Verprellten wieder einsammelt. Nahles muss die in Sachen Sarrazin gespaltene Partei einen, was für die anstehenden Landtagswahlen in Bremen, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin ziemlich wichtig sein wird. Vor allem muss sie darauf hoffen, dass Sarrazin bei seinen künftigen Auftritten Maß hält. Sonst droht ihr jedes Mal eine unangenehme Debatte.
Nahles wird den Streit überstehen. Es bleibt den Sarrazin-Kritikerin in der Partei nichts anderes übrig, als den Frieden vom Gründonnerstag zu akzeptieren. Ein Zurück ist nicht mehr drin, ein drittes Ausschlussverfahren gegen Sarrazin wird es nicht geben. Ein paar Tage noch, dann wird sich die erste Aufregung wahrscheinlich gelegt haben.
Doch der Fall Sarrazin wird lange an Nahles haften bleiben.