
SPD mit neuer Spitze Heult doch


SPD-Spitzenpersonal Geywitz, Scholz, Walter-Borjans und Esken
Foto: AXEL SCHMIDT/ AFPEs ist so traurig. Die SPD, diese ehemals stolze Volkspartei, rutscht ab in die Bedeutungslosigkeit, demontiert sich selbst, ist am Ende - und das vollkommen selbst verschuldet. Die SPD-Mitglieder haben für Olaf Scholz gestimmt und damit für das ewige Weiter-so, für das Mitregieren in der GroKo um jeden Preis, bis zum bitteren...
Moment, Verzeihung, da ist mir doch jetzt tatsächlich ein alter Textbaustein an den Anfang gerutscht, aber das haben wir gleich, so, jetzt aber richtig. Also wo waren wir, ach ja: Die SPD hat sich selbst zerstört. Sie ist am Ende. Mit der Wahl des weitgehend unbekannten Linksruck-Duos Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken haben die abstimmenden Mitglieder ihre Partei faktisch regierungsunfähig gemacht und damit in alle Ewigkeit unwählbar, denn wer soll noch einer Partei sein Kreuz geben, die gar nicht regieren...
Halt, so geht das auch nicht, Verzeihung, Sie müssen verstehen: Das sind die Reflexe des politischen Journalismus, ich kann nichts dafür, die Soße fließt einem praktisch automatisch in die Tastatur, denn dieses Thema haben wir alle drauf: Das Ende der SPD, so oder so.
Der Unsinn vom Untergang
Wie sie es auch machen, die Genossen: Es kann nur falsch sein. Mitregieren, sich an die Wand regieren lassen von Angela Merkel, jede Menge eigener Politik durchsetzen, aber es nicht in Wahlen gedankt bekommen, die GroKo brav zu Ende bringen und bei der nächsten Bundestagswahl froh sein können, wenn das Ergebnis noch zweistellig ausfällt, alles schrecklich. Furchtbar aber auch: Nach links rücken, die GroKo platzen lassen, staatspolitische Verantwortung vergessen, in der Opposition Selbstfindung betreiben, bei vorgezogenen Neuwahlen froh sein können, wenn es gerade mal über die zehn Prozent werden.
Das große Gesellschaftsspiel "Beerdigung der SPD" geht in die nächste Runde, es ist womöglich die letzte, denn langsam gehen die Schlagzeilen aus: "Adieu, Sozialdemokraten!", verabschiedet sich der "Tagesspiegel", die "Neue Osnabrücker Zeitung" sieht sie "Mit Karacho in den Abgrund" rauschen, die "Bild" packt immerhin noch ein leicht einschränkendes Fragezeichen in den Abschiedsgruß "Tschüss, SPD?!", während die "FAZ" nur noch nüchtern konstatiert: "Die SPD schafft sich ab". Ende, aus, vorbei.
Das ist natürlich Unsinn. Es wirkte bereits wie ein schlechter Witz, als sich vor der Mitgliederbefragung die mehr oder weniger verdeckten Wahlempfehlungen von konservativer Seite für den ihr vertrauten und verlässlichen Bundesfinanzminister Olaf Scholz häuften, deren Gipfel war ein Tweet des geschassten Verfassungsschutzpräsidenten und rechten Posterboys Hans-Georg Maaßen an die "lieben Genossen": "Olaf Scholz genießt mein Vertrauen!" Hat wenig geholfen. Jetzt lassen sich ganze Badewannen füllen mit den Krokodilstränen von Leuten, die nach dem Mitgliederentscheid das Ende der SPD betrauern, obwohl sie im Traum niemals auf die Idee gekommen wären, diese Partei auch nur mit der Drittstimme zu wählen. Bei manchen Politanalysten mag dabei auch noch ein wenig Ärger über das verpatzte Wochenende mitschwingen, hatte man sich die Kommentare für einen Scholz-Sieg (wie hieß übrigens noch mal die Frau an seiner Seite?) doch schon bestens zurechtgelegt.
Unsinn ist das Gerede vom Untergang der SPD vor allem aber deswegen, weil sie trotz aller Wahlniederlagen unbestreitbar die erfolgreichste politische Kraft dieses Landes ist: Deutschland im Jahr 2019 ist ein durch und durch sozialdemokratisches Land, aktuell regiert von einer sozialdemokratisch agierenden Kanzlerin mit CDU-Parteibuch. Dass die prägenden Erfolge der sozialdemokratischen Idee nicht mehr ihrer Partei zugeschrieben werden, hängt dabei wohl im Wesentlichen damit zusammen, dass sich ihr Establishment seit vielen Jahren alle Mühe gibt, bloß nicht als allzu sozialdemokratisch aufzufallen. Man hat das lieber Angela Merkel machen lassen.
Niemand wollte diese GroKo
Die eigentliche Gefahr für die SPD geht nicht vom kommenden Führungsduo Walter-Borjans und Esken aus, ganz im Gegenteil. Die beiden mögen weniger Glamour versprühen als etwa die neuerdings schwarz-rot-golden lackierten Grünen oder unser schnieker Außenminister. Aber sie befinden sich damit näher an der Lebensrealität vieler Bürgerinnen und Bürger in diesem Land als der Großteil der politischen Prominenz. Die dreifache Mutter Saskia Esken strahlt eine bodenständige Kenntnis des Alltags aus, als Programmiererin hat sie dazu wohl mehr Digitalisierungskompetenz als das gesamte Bundeskabinett zusammen. Der vierfache Vater Norbert Walter-Borjans hat als Steuer-CD-aufkaufender Finanzminister in NRW gezeigt, dass er nicht nur darüber reden will, Steuergerechtigkeit herzustellen, sondern bereit ist, sich das Geld bei denen zu holen, die es vor dem Staat verstecken. Wenn der FDP-Chef Christian Lindner sich angesichts der Wahl dieser beiden Sozialdemokraten "baff" zeigt, dann dürfen die das durchaus als Kompliment verstehen.
Ich bin völlig baff. CL #SPDVorsitz
— Christian Lindner (@c_lindner) November 30, 2019
Jetzt wollen Walter-Borjans und Esken mit der Union den Klimaschutz neu verhandeln und vor allem die schwarze Null abschaffen, also angesichts der drohenden Rezession für mehr Investitionen neue Schulden aufnehmen - ein Ansinnen, das viele Ökonomen als Notwendigkeit betrachten. Bleibt die Union bei ihrer Ablehnung, wird die Große Koalition bald zerbrechen. Was wäre der Schaden? Niemand wollte diese GroKo, sie war von Anfang an eine Notregierung mit frühem Verfallsdatum.
Die eigentliche Gefahr für die SPD geht nicht von ihrer neuen Spitze aus, nicht von kommenden Neuwahlen und auch nicht von der politischen Konkurrenz, die jetzt einen willfährigen Gehilfen zu verlieren droht. Die Gefahr für die SPD steckt allein in der SPD selbst. Dass der ehemalige Kanzler und Boss-Genosse Gerhard Schröder keine Freude an der neuen Zeit hat: geschenkt. Dass die "Bild" die entsetzte Witwe von Willy Brandt auffährt: lächerlich. Dass Olaf Scholz jetzt erst einmal seine Niederlage verdauen muss: verständlich.
Wenn es aber die Partei als ganze und ganz besonders ihr intrigengeschulter Apparat im Willy-Brandt-Haus jetzt nicht schaffen, sich hinter den neuen Vorsitzenden zu versammeln, sie nicht dabei unterstützt, offensive sozialdemokratische Politik zu formulieren, zu fordern und durchzusetzen, dann könnte die Partei tatsächlich in den Abgrund rauschen. Oder, um es ausnahmsweise mal positiv zu formulieren: Wenn sich die SPD jetzt traut, wieder von ganzem Herzen sozialdemokratisch zu werden - dann kann sie noch eine große Zukunft haben.