Dauerkrise der SPD Die ratlose Partei

Andrea Nahles
Foto: FELIPE TRUEBA/ EPA-EFE/ REX/ ShutterstockEigentlich war es ein trivialer Satz, eine Binsenweisheit, mit der Andrea Nahles am Wochenende große Unruhe in der SPD auslöste. "Wir können nicht alle bei uns aufnehmen", hatte die SPD-Chefin zur Asylpolitik gesagt. Juso-Chef Kevin Kühnert reagierte prompt. Das habe doch niemand gefordert, sagte er. Man dürfe die Sprache der AfD nicht übernehmen, so Kühnert: "Wir müssen damit aufhören."
Auch im Parteivorstand am Montag ging es noch mal um Nahles' Satz. Neben Kühnert meldeten sich weitere Genossen zu Wort. Teilnehmern zufolge kritisierten sie vor allem das Timing der Parteichefin als "ungünstig". Schließlich hätten am Sonntag viele Sozialdemokraten in Berlin gegen die AfD demonstriert. Und sich dabei über die Äußerungen der Vorsitzenden geärgert.
Nahles bat in der Sitzung Teilnehmern zufolge darum, bitte das ganze Interview zu lesen. Es sei aber klar geworden, dass ihre Äußerungen nicht kalkuliert waren.
Nicht kalkuliert, ungünstiges Timing: Die Äußerungen stehen kennzeichnend für den Zustand der SPD seit Monaten. Auch die neue Führung um Nahles und Vizekanzler Olaf Scholz hat bislang keine Strategie erkennen lassen, mit der sie die Partei aus der Krise führen will. Die SPD wirkt planlos, mutlos, kraftlos.
In Umfragen ist die Partei mittlerweile weit von den 20,5 Prozent entfernt, die Martin Schulz im September holte - als historisch schlechtestes Ergebnis bei Bundestagswahlen. Wie zum Höhepunkt des Streits zwischen GroKo-Befürwortern und -Gegnern im Februar droht die SPD von der AfD eingeholt zu werden.
Schwesig lobt Maas
Dabei investiert die Führung viel Energie in die Klärung interner Streitigkeiten. Top-Thema im Parteivorstand war die Russlandpolitik. Man habe das Thema "offen, konstruktiv und solidarisch" diskutiert, sagte Generalsekretär Lars Klingbeil. Hintergrund waren die teils scharfen Töne von Außenminister Heiko Maas zu Beginn seiner Amtszeit, als er Russland "Aggression" in der Ukraine und "zunehmend feindliches" Verhalten vorgeworfen hatte. Vor allem die ostdeutschen Landesverbände und die niedersächsischen Genossen kritisierten Maas offen.

Heiko Maas, Andrea Nahles
Foto: Oliver Dietze/ picture alliance / Oliver Dietze/dpaAuch wenn das Thema in der kommenden Woche noch mal in der Fraktion besprochen werden soll, scheint sich zumindest die größte Aufregung gelegt zu haben. SPD-Vizechefin Manuela Schwesig, die Maas zuvor deutlich widersprochen hatte, gab sich am Montag versöhnlich. Man sei sich "einig, dass es mehr Dialog mit Russland geben soll". Es gebe ein gemeinsames Interesse, zu einer engeren Partnerschaft zurückzufinden, so die Ministerpräsidentin von Meckenburg-Vorpommern: "Dazu hat es gute Vorschläge unseres Außenministers gegeben."
Klar wurde aber auch, dass Maas seinen härteren Kurs nicht ändern wird, sagten Teilnehmer der Sitzung. Wirklich abräumen konnte Nahles das Thema demnach nicht. Aber man hat mal drüber gesprochen.
Keine führende Rolle für Kühnert
Als letztes stieß dann noch der Plan für die Erneuerung der Partei auf Kritik. Mehrere Vorstandsmitglieder störten sich vor allem daran, dass sie die Entscheidung über die führenden Mitglieder der sogenannten Lenkungsgruppen erst in der Sitzung erfuhren. Insgesamt 20 Leute sollen nun erste Ideen für ein neues Programm auf den Weg bringen. Anders als zunächst geplant ist etwa Kevin Kühnert nur einer von fünf Mitgliedern der Lenkungsgruppe "bürgerfreundlicher Staat". Neben ihm gehören der Gruppe auch Schwesig und der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius an - was nicht mehr wirklich nach einer führenden Rolle des 28-jährigen Juso-Chefs aussieht.
Wie geht es weiter bei der SPD? Am Sonntagnachmittag trifft sich die Bundestagsfraktion zu einer Klausurtagung. Dann soll mit den sechs Ministern auch über die Rolle in der GroKo und die Kommunikation gesprochen werden. Doch mit einem großen Aufbruchsignal ist kaum zu rechnen.
Zusammengefasst: Es läuft nicht rund in der SPD. In den Umfragen steht die Partei schlecht da - und ist dazu auch noch mit internen Unstimmigkeiten beschäftigt. Zuletzt sorgte eine Aussage von Chefin Andrea Nahles zur Asylpolitik für Aufregung, aber auch bei Themen wie Russland und erst recht der eigenen Erneuerung sind sich die Genossen längst nicht einig.
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