SPD in der Krise Linksschwenk kostet Beck Glaubwürdigkeit

Kurt Beck gerät durch seinen Linksschwenk immer mehr unter Druck. Der hessische SPD-Vize Walter sieht die Glaubwürdigkeit Becks in der Frage der Kooperation mit den Linken zerstört. Forsa-Chef Güllner hält eine Kanzlerkandidatur des SPD-Chefs bereits für aussichtslos.

Berlin/Frankfurt am Main - Kurt Beck kostet sein Linksschwenk immer mehr Ansehen in der SPD und bei den Wählern. Der hessische SPD-Vize Jürgen Walter sieht die Glaubwürdigkeit des zurzeit erkrankten Bundesvorsitzenden der Sozialdemokraten in der Frage der Kooperation mit der Linken zerstört. "Sollte Herr Beck vor der Bundestagswahl behaupten, er würde sich auf keinen Fall mit den Stimmen der Linken zum Bundeskanzler wählen lassen, dann wäre das nur noch politisches Kabarett", sagte Walter der "Frankfurter Rundschau". "Ich befürchte, dass die Glaubwürdigkeit von Kurt Beck in dieser Frage nicht mehr vorhanden ist", wird Walter zitiert.

Walter verlangte zudem Zusagen der Linken über inhaltliche Eckpunkte, bevor sich die SPD-Landesvorsitzende Andrea Ypsilanti in Wiesbaden mit den Stimmen der Linken zur Ministerpräsidentin wählen lässt. "Wenn die Linken jederzeit diese Tolerierung beenden könnten, würden jederzeit Neuwahlen drohen. Dann wäre die SPD abhängig von der Entscheidung dieser sechs Abgeordneten und von Oskar Lafontaine, der in Berlin die Vorgaben macht. Das kann eine vernünftige Partei nicht tun", sagte Walter. Ohne diese klaren Zusagen würde er Ypsilanti nicht anraten, am 5. April zu kandidieren.

Der Chef des Umfrageinstitutes Forsa, Manfred Güllner, hält eine Kanzlerkandidatur Becks bereits für unwahrscheinlich. Der SPD-Chef betone stets, er stehe nahe bei den Menschen. Er halte sich für einen großen Strategen. "Nüchtern betrachtet erscheint eine Kanzlerkandidatur für Beck jedoch völlig aussichtslos", sagte Güllner.

Der Forsa-Chef warnt die SPD vor einem weiteren Linksruck. "Anhand der Wahlergebnisse lässt sich belegen, dass diese Strategie nicht aufgeht", sagte Güllner dem "Münchner Merkur". Die SPD habe bei den neun Landtagswahlen seit Ende 2005 insgesamt rund 2,7 Millionen Stimmen verloren. Nach dem Linksschwenk von Beck seien die prozentualen Verluste noch größer geworden.

"Die Zahlen beweisen, dass den Sozialdemokraten eine Annäherung an die Linke eher schadet. Je stärker die SPD nach links rückt, desto stärker verliert sie in der Mitte", wurde Güllner zitiert. Die enttäuschten SPD-Sympathisanten wanderten vor allem ins Lager der Nichtwähler ab, womit der Anteil der anderen Parteien steige.

Nach der Annäherung an die Linkspartei in Hessen sieht Güllner das Vertrauen in die SPD stark beschädigt. Kein Wähler werde in Zukunft der Zusage trauen, dass die SPD im Bund nach der Wahl 2009 keinesfalls eine rot-rote Koalition eingehe.

Der hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) hat SPD und Grünen vorgeworfen, die Möglichkeit von Koalitionsbildungen mit den Christdemokraten nicht genügend ausgelotet zu haben. Die CDU sei sowohl gegenüber der SPD als auch gegenüber den Grünen zu Konzessionen bereit gewesen, sagte Koch der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Ernsthafte Gespräche darüber hätten aber beide Parteien nicht führen wollen.

Koch gab sich überzeugt, dass eine große Koalition nicht an seiner Person, sondern an politischen Positionen gescheitert sei. "Das, was ich an konservativen Ansichten in der CDU vertrete, gefällt der SPD nicht." Zugleich äußerte er die Erwartung, dass die SPD "nicht alles auf den Kopf stellen" und das Amt des Landtagspräsidenten der stärksten Partei überlassen werde. CDU und SPD haben im Landtag je 42 Abgeordnete, die CDU erhielt bei der Landtagswahl am 27. Januar jedoch gut 3000 Stimmen mehr als die SPD.

Herzog fordert Änderung des Wahlrechts

Angesichts der wachsenden Schwierigkeiten der Parteien, stabile Regierungsmehrheiten zu bilden, hat sich der frühere Bundespräsident Roman Herzog für grundlegende Korrekturen am Wahlrecht ausgesprochen. Durch das Auftreten der Linkspartei als fünfte parlamentarische Kraft ergebe sich eine "fundamentale Veränderung unseres Regierungssystems", schreibt Herzog in der "Süddeutschen Zeitung". Die Vorschriften des Grundgesetzes und des Bundeswahlgesetzes dagegen hätten sich nicht geändert.

Herzog zufolge wird das Regieren in Deutschland in einem Fünf-Parteien-System immer schwieriger. Ohne Korrekturen am Wahlrecht drohe sich der Vertrauensschwund der Bürger gegenüber den bisherigen Volksparteien CDU/CSU und SPD fortzusetzen, schrieb der frühere Bundespräsident. "Die Gefahr von Minderheitsregierungen wird wachsen, sei es, dass von Anfang an keine Koalition mit absoluter Mehrheit zustande kommt, sei es, dass eine solche Koalition auseinander fällt."

Ein Minderheitskanzler dürfte "ein sehr schweres Leben" haben, mahnte Herzog. Im Ausland und besonders bei der Europäischen Union würde er "als lahme Ente gelten, deren Tage gezählt sind und mit der man keine langfristigen Projekte auf Kiel legt".

als/AFP/AP/dpa

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