SPD in der Regierungskrise Große Kollision

CDU und CSU zerlegen sich im Streit über die Flüchtlingspolitik. Die SPD hält sich raus. Dabei ist sie auch Leidtragende der Krise. Was wollen die Genossen eigentlich?
Andrea Nahles, Horst Seehofer

Andrea Nahles, Horst Seehofer

Foto: Michael Gottschalk/ Photothek via Getty Images

Andrea Nahles setzt jetzt auf Europa. Die SPD-Chefin reiste am Dienstag nach Brüssel, um sich mit EU-Abgeordneten und der Vizepräsidentin der EU-Kommission, Federica Mogherini, zu treffen. Nahles ist als Europapolitikerin bislang kaum in Erscheinung getreten. Doch in der aktuellen Regierungskrise kann ein wenig internationales Flair nicht schaden, hoffen die Genossen.

Die SPD ist in einer komplizierten Lage. Die Große Koalition steckt in einer existenziellen Krise, Innenminister Horst Seehofer und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (beide CSU) treiben Kanzlerin Angela Merkel (CDU) im Streit über die Flüchtlingspolitik vor sich her, setzen Fristen und drohen offen mit dem Bruch. Und die SPD? Kommt kaum noch vor, versucht sich rauszuhalten und ist doch auch Leidtragende der Krise.

Die Sozialdemokraten sind gefangen in einer Koalition, die große Teile der Partei nicht wollten. Der Streit über die Zurückweisung von Asylbewerbern droht nicht nur die Union zu spalten, er stellt auch die SPD vor massive Probleme.

Inhaltlich sind die Genossen auf Merkels Seite. Sie lehnen Seehofers nationalen Alleingang ab und pochen auf eine europäische Lösung. Doch strategisch steckt die SPD in einem echten Dilemma: Nahles und Co. können sich kaum links von Merkel positionieren - weil sie damit ihr Stammklientel, das die Flüchtlingspolitik der Partei ohnehin kritisch sieht, weiter vergraulen würden. Zugleich können sie die Pläne der CSU, die ja offenbar weit über die Zurückweisung an den Grenzen hinausgehen, auch kaum akzeptieren. Das würde einen Aufstand in der Partei auslösen.

Nahles drohte am Montag bereits mit einer Blockade, sollte Seehofer sich durchsetzen. "Ich kann deswegen nur sagen, dass eine Einigung zwischen CDU und CSU keinen Automatismus für die Zustimmung der SPD bedeutet", sagte sie. Es gehe um eine gemeinsame europäische Lösung und um das "Wie" der Abweisung.

"Seehofers Plan löst kein einziges Problem"

Wenn es um die eigenen Vorstellungen geht, bleibt die SPD vorerst aber noch recht unkonkret. Nahles schlägt vor, das beschleunigte Asylverfahren, das 2016 für Menschen aus sicheren Herkunftsstaaten vereinbart wurde, auch für die sogenannten Dublin-Fälle anzuwenden. Also zum Beispiel für Flüchtlinge aus Syrien oder Afrika, die zunächst in einem anderen EU-Staat registriert worden sind.

"Das wäre im Gegensatz zu Seehofers Plan vereinbar mit dem europäischen Recht", sagte SPD-Vize Ralf Stegner dem SPIEGEL. Wenn Deutschland im Alleingang Asylbewerber zurückweise, würde das dazu führen, dass in Italien und Griechenland kein Flüchtling mehr registriert werde, warnt der schleswig-holsteinische Landeschef: "Seehofers Plan löst kein einziges der Probleme, verschärft aber die bestehenden."

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Asylstreit: Die wichtigsten Akteure der Krise

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Die SPD-Führung saß am Montag bis spätabends zusammen und diskutierte die verschiedenen Szenarien. Einige seien sehr pessimistisch, dass Merkel und Seehofer sich noch einigen, heißt es aus der Runde. Und selbst wenn: Dann droht der nächste Konflikt. Denn ob Seehofers Masterplan die Zustimmung der SPD findet, ist sehr fraglich. Bisher liegt er der SPD nicht mal vor.

Offenbar plant der Innenminister, die Versorgung von Flüchtlingen fast komplett von Geld- auf Sachleistungen umzustellen. "Davon steht nichts im Koalitionsvertrag", warnte Stegner: "Wir werden keine Schikanen gegen Menschen mitmachen und auch nicht zulassen, dass die Union durch die Hintertür gegen unsere Vereinbarungen verstößt."

"Endlich eigene Ideen vorlegen"

Doch würde eine Eskalation in dieser Frage der SPD wirklich nutzen? In Umfragen liegt die Partei seit Monaten unter ihrem historisch schwächsten Bundestagswahlergebnis von 20,5 Prozent. Neuwahlen kann die SPD also kaum wollen.

Was ist die Alternative? Nils Heisterhagen, Sozialdemokrat und Ex-Redenschreiber in der IG Metall, hat ein kluges Buch geschrieben, das in der SPD für Aufregung sorgt. Das Werk trägt den Titel "Die liberale Illusion. Warum wir einen linken Realismus brauchen".

Heisterhagens Vorwurf: Die SPD habe Merkels Mantra "Wir schaffen das" leichtfertig übernommen - ohne zu erklären, wie das eigentlich gehen soll. "Die SPD muss endlich eigene Ideen für die Probleme in der Flüchtlingspolitik vorlegen", meint Heisterhagen. "Die SPD ist doch immer eine Partei gewesen, die sich auch ins Detail begibt. Wir können das ja auch schaffen. Nur müssen wir dafür auch Realismus beweisen."

Der Autor empfiehlt vor allem, die Debatte nicht länger nur über die Frage zu führen, wie viele Menschen eigentlich aktuell ins Land kommen. "Die SPD muss die Frage klären: Was geschieht eigentlich mit denen, die schon hier sind? Die müssen in den Arbeitsmarkt integriert werden", sagt er. Nur ein Viertel der Flüchtlinge habe bislang einen Job, das sei zu wenig. Heisterhagen befürwortet staatlich geförderte Maßnahmen - etwa in den Bereichen Altenpflege, Straßenreinigung oder Bau. "Da gibt es großen Bedarf", sagt er. "Die SPD sollte keynesianisch denken und Jobs einfach schaffen. Wir brauchen einen New Deal für Integration."

Die aktuelle Debatte in Deutschland sieht der Autor mit großer Sorge: "So wie die Diskussion derzeit geführt wird, profitiert davon nur die AfD."

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